Der Ukraine-Krieg könnte die Versorgung afrikanischer Staaten mit Getreide für die Lebensmittelproduktion deutlich verschlechtern und verteuern, sofern die Ukraine als Bezugsquelle ausfällt. Das Land liefert insbesondere nordafrikanischen Staaten große Mengen an Getreide, die auch langfristig nicht durch andere Bezugsquellen zu ersetzen wären. Auch in Deutschland wären die Folgen spürbar, wenn auch weit weniger dramatisch. Dies zeigen aktuelle Modellrechnungen des IfW Kiel.

„Die Ukraine dürfte als Folge des Krieges zunächst von der Weltwirtschaft abgeschnitten werden – Handelswege sind gekappt, Infrastruktur zerstört und alle verbleibenden Produktionskräfte dürften auf eine Kriegswirtschaft ausgerichtet werden. Da das Land einer der wichtigsten Getreideexporteure der Welt ist, insbesondere für den afrikanischen Kontinent, wird dies die dortige Versorgungssituation spürbar verschlechtern“, sagt Hendrik Mahlkow, Handelsforscher am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel).

Gemeinsam mit Tobias Heidland, Forschungsdirektor Internationale Entwicklung und Mitglied im Forschungscluster Afrika, hat er mit dem Handelsmodell KITE (Kiel Institute Trade Policy Evaluation) simuliert, welche langfristigen Folgen ein Handelsstopp mit Weizen und sonstigem Getreide für die Lebensmittelproduktion, wie Mais oder Hirse, aus der Ukraine für Afrika hätte. Demnach wären insbesondere Tunesien und Ägypten negativ betroffen.

In Tunesien würden die gesamten Weizenimporte des Landes dauerhaft um über 15 Prozent zurückgehen, die Importe von übrigem Getreide um fast 25 Prozent. Ägypten würde über 17 Prozent weniger Weizen und knapp 19 Prozent weniger sonstiges Getreide importieren können, Südafrika 7 Prozent weniger Weizen und über 16 Prozent weniger sonstiges Getreide.

Importe von sonstigem Getreide wären auch in Kamerun (-14 %) sowie Algerien und Libyen (-9,6 %) – im Handelsmodell als Gruppe zusammengefasst – spürbar niedriger. Die Weizenimporte würden deutlich sinken in Äthiopien (-9,6 %), Kenia (-7,9 %), Uganda (-7,1 %), Marokko (-6,2 %) und Mosambik (-6 %). 

„Die zentrale Bedeutung der Ukraine für Afrikas Lebensmittelversorgung wird aus unseren Modellrechnungen deutlich, besonders in Ländern die Getreidearten konsumieren, die sie vom Weltmarkt kaufen. Die Ukraine ist als Getreidelieferant auch langfristig nicht zu ersetzen. Ihr Ausfall verschlechtert Afrikas Versorgung und treibt auch die Preise in die Höhe“, so Mahlkow.

„Eine Möglichkeit das Weltmarktangebot an Getreide kurzfristig zu erhöhen wäre, auf den Anbau von Biobenzin zu verzichten und die Böden für Brotgetreide zu nutzen. Alleine in Deutschland betrifft dies drei Prozent aller landwirtschaftlichen Nutzflächen. Allerdings muss so eine Entscheidung schnell erfolgen, denn die Aussaat beginnt in den kommenden Wochen.”

Wenn weniger Getreide zur Verfügung steht, steigen in der Folge die Preise, teilweise eklatant. In Tunesien würde laut Simulation sonstiges Getreide langfristig um über 24 Prozent teurer, in Algerien und Libyen um knapp 9 Prozent, in Ägypten um über 4 Prozent. Der dauerhafte Anstieg des Weizenpreises läge in Kenia bei fast 9 Prozent, in Uganda bei fast 8 Prozent, in Tunesien bei 5 Prozent, in Mosambik bei 4 Prozent, in Ägypten bei über 3 Prozent.

Westliche Länder wären weit weniger von einem Ausfall der Ukraine als Getreidelieferant betroffen, als der afrikanische Kontinent. Sie sind nicht so stark auf die Importe angewiesen und können den Ausfall besser kompensieren. Deutschland beispielsweise könnte langfristig 4,8 Prozent weniger sonstiges Getreide importieren, was eine moderate Preissteigerung von rund 2 Prozent zur Folge hätte.

„Erinnerungen an den Arabischen Frühling werden wach, als stark steigende Lebensmittelpreise die Menschen zu Protesten auf die Straße trieben. Die internationale Gemeinschaft sollte afrikanische Länder jetzt verstärkt dabei unterstützen, ihre Lebensmittelproduktion zu verbessern. Dies würde sie langfristig widerstandsfähiger gegenüber Angebotsschocks machen und ist auch im Hinblick auf den sich verstärkenden Klimawandel eine kluge Strategie”, so Tobias Heidland vom Africacluster des IfW Kiel.

„In globalen Krisen kommt den reichen Ländern des Westens eine besondere Verantwortung zu, denn die Folgen treffen vor allem Menschen mit niedriger Kaufkraft, die nicht in der Lage sind höhere Preise zu zahlen. Diese stark betroffenen Menschen finden sich bei global nachgefragten Gütern insbesondere in den ärmeren Ländern und im Falle von Lebensmitteln besonders in den Städten.”

Dies Handelsmodell KITE-Modell (Kiel Institute Trade Policy Evaluation) simuliert die langfristige und dauerhafte Veränderung von Handelsströmen, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. Dies kann beispielsweise durch das Auftreten von Handelshemmnissen geschehen, wie hier durch den Ausfall eines ganzen Landes als Handelspartner, aber auch durch Handelserleichterungen, etwa durch den Abschluss von Freihandelsabkommen. 

Die kurzfristigen Folgen und Anpassungsprozesse werden im Modell nicht abgebildet. Sie dürften im konkreten Fall vielfach noch deutlich stärkere Verwerfungen nach sich ziehen als in der langen Frist, da Anpassungen der Produktion und des Konsums Zeit benötigen.

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