Die Bundesregierung plant, die Offshore-Windenergie deutlich schneller und stärker als bisher vorgesehen auszubauen – dadurch steigt der Fachkräftebedarf stark an. Um die Ausbauziele zu erreichen, bedarf es einer Gesamtanstrengung der Branche mit einer Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie die Steigerung der Attraktivität der Arbeitsplätze. Zu diesem Ergebnis kommt das Trend- und Marktforschungsinstitut wind:research, das mit seiner nach 2011 und 2019 dritten Auflage der Studie „Wertschöpfung der Offshore-Windenergie in Deutschland“ aktuelle Zahlen und Prognosen darstellt.

Die Offshore-Windenergiebranche in Deutschland hat in den letzten Jahren eine negative Entwicklung durchlaufen: während im Jahr 2018 noch knapp 24.500 Beschäftigte (VZÄ) 9,8 Mrd. Euro Umsatz erwirtschafteten, haben im Jahr 2020 nur noch etwa 21.500 Beschäftigte in der Branche gearbeitet und einen deutlich geringeren Umsatz von ca. 7,4 Mrd. Euro erzielt. Auch die Landschaft der Marktteilnehmer hat sich seitdem deutlich verändert. Viele Unternehmen haben aufgrund von Insolvenzen oder Marktaustritten den Markt verlassen. Und während 2018 noch 33 % der Unternehmen ausschließlich in der Offshore-Windindustrie beschäftigt waren, sind es 2020 nur noch 23 % gewesen – die Spezialisierung im Bereich Offshore-Windindustrie hat in dieser Zeit also um 10% abgenommen. Zwei Drittel der Marktteilnehmer sind mittlerweile auch im Bereich Onshore-Windenergie oder noch weiteren Bereichen tätig.

Die nähere Betrachtung der Beschäftigtenzahlen in der Offshore-Windbranche zeigt außerdem, dass die Wertschöpfung für den Bau von Offshore-Windparks sich nicht – wie oftmals fälschlicherweise angenommen – nur auf die nördlichen Bundesländer konzentriert, sondern stattdessen deutschlandweit verteilt ist (s. Abbildung 1). An den küstennahen Standorten konzentrieren sich naturgemäß die Wertschöpfung im Bereich Transport und Montage sowie Projektentwicklung, Wartung und Instandhaltung. Hier sitzen auch die maßgeblichen Produzenten von Offshore-Windenergieanlagen. In den südlichen Bundesländern sind die Beschäftigten hingegen überwiegend in den Wertschöpfungsstufen Engineering sowie Forschung und Entwicklung, aber auch bei vielen Zulieferbetrieben beschäftigt.

Veränderte politische Rahmenbedingungen läuten Neuanfang in der deutschen Offshore-Windenergiebranche ein

Nach der negativen Entwicklung in den vergangenen Jahren hat sich in den letzten Monaten eine Trendwende in der Offshore-Windenergiebranche angekündigt. Grund hierfür sind insbesondere die geänderten politischen Rahmenbedingungen und die erwartete Markterholung sowie die Ausschreibung der drei Flächen in Nord- und Ostsee mit einem Ausschreibungsvolumen von 958 Megawatt (658 MW in der Nordsee und 300 MW in der Ostsee). So wurden mit Verabschiedung des Europäischen Klimagesetzes im Juni dieses Jahres die neuen EU-Klimaziele rechtlich verankert. Im Juli wurde das EU-Gesetzespaket zum Klimaschutz vorgestellt, mit dem – im Rahmen des weltweit umfangreichsten Klima-Gesetzesvorhaben – sichergestellt werden soll, dass die EU ihren Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030 um 55 % im Vergleich zu 1990 senkt und bis 2050 klimaneutral wird. Insbesondere aber die konkrete Erhöhung der Ausbauziele in Deutschland durch die neue Bundesregierung – 30 GW bis 2030 sowie 70 GW bis 2045 – gibt auch kleinen und mittleren Marktteilnehmern die Hoffnung, dass sich der Markt langfristig wieder erholt und lohnend ist.

Fachkräftemangel bedroht Ausbauziele der Regierung

Eine Herausforderung bei der Realisierung dieser Ziele bleibt der Fachkräftemangel, durch den ein Ausbau des Betriebes für viele Unternehmen erschwert wird. Die Bundesregierung plant, die Offshore Windenergie deutlich schneller und stärker als bisher geplant auszubauen; dadurch steigt der Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren stark an. Auch die Genehmigungsbehörden streben Rechtssicherheit an und haben (ebenfalls) stark wachsenden Bedarf an Ressourcen. Zudem haben möglicherweise insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen mit einem sich zu langsam hochlaufenden Markt bis zum Ende der Dekade zu kämpfen.

Um die Ausbauziele dennoch zu erreichen, bedarf es einer Gesamtanstrengung der Branche mit einer Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie die Steigerung der Attraktivität der Arbeitsplätze. Für die Realisierung der derzeitigen Ausbauziele können bzw. müssen bis 2040 insgesamt über 40.000 Beschäftigte in der Offshore-Windenergiebranche tätig sein (s. Abbildung 2; eine Erläuterung der Szenarien finden Sie im Anhang).

Die über ganz Deutschland verteilte Wertschöpfung ist zudem aufrechtzuerhalten bzw. wiederaufzubauen. Neue Technologien, insbesondere auch netzentlastende Lösungen und leistungsstärkere Anlagen, sind auszubauen und zu stärken. Sie helfen bei der Wirtschaftlichkeit, der Netzverträglichkeit und der Sektorkopplung und tragen darüber hinaus selber zur Wertschöpfung bei.

Derzeit ist zudem die Zuliefererkette nicht mehr vollständig – hierfür fehlen z.B. die Bereiche Turm- und Plattformbau sowie Unternehmen im Bereich Installationslogistik/maritime Logistik. Existierende Engpässe in der gesamten Lieferkette (z.B. Sensorik und Halbleiter) sind aktiv aufzuheben. Für den geplanten Hochlauf braucht es spezialisierte Expert:innen – hierfür benötigt es eine stabile Auslastung der Zulieferindustrie.

Anhang

In der Studie wurden drei Szenarien modelliert, in denen verschiedene Ausbauziele als wesentlicher Faktor definiert sind:

Szenario „Klimaschutz“: beschreibt das Szenario zum „vollständigen Klimaschutz“, welches darauf basiert, das Potenzial in der deutschen Offshore-Windenergie optimal zu nutzen. Dabei wird von einem stark steigenden Strombedarf sowie Anwendungen im Bereich Wasserstoff gerechnet. Mit dem errechneten Potenzial (IWES) von maximal ca. 6.750 Anlagen in der Nord- und Ostsee kann mit einer Leistung von durchschnittlich 10 MW pro Anlage das Ziel erreicht werden.

Szenario „EEG 2021“: entspricht dem aktuell (2020/1) gesetzten Ziel der Bundesregierung von einem weiteren (linearen) Ausbau bis 2040 auf 40 GW. Die deutliche Erhöhung des Ausbauziels bis 2040 spiegelt u. a. den zunehmenden Stromverbrauch, z.B. im Rahmen der Sektorkopplung, wieder und bedingt außerdem wesentliche Entwicklungen von Power-to-X (Gas, Heat, Home, Liquid, …) sowie Speichern. Voraussetzung für die Umsetzung dieses Szenarios ist neben dem weiteren Netzausbau eine kurzfristig wirksam werdende Erhöhung des Ausbauvolumens, das zu mittelfristigen in Betrieb genommenen Projekten führt.

Szenario „65%-Ziel“: entspricht dem (alten) Ausbauziel, das in diversen Appellen („Cuxhavener Appell“ II aus September 2017/„Hamburger Appell“ aus 2018) von den Verbänden der Offshore-Windenergie sowie der Wirtschafts- und Energieminister der Küstenländer gefordert wurde. Darin werden – mindestens – 20 GW bis 2030 und 40 GW (+ weitere) bis 2040 gefordert. Damit soll auch das Ziel, 65 % der Stromerzeugung bis 2030 aus erneuerbaren Energiequellen  – u. a. bei durch die Sektorkopplung voraussichtlich zunehmenden Stromverbrauch – erreicht werden.

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