„Was wir brauchen, ist eine geeignete Form der Komplexitätsreduktion, die es uns erlaubt, auch mit geringem Aufwand gute Entscheidungen zu treffen“, fordert Joachim Weimann. In Deutschland hätten wir lange Zeit ein gut funktionierendes Instrument gehabt: „Wir haben uns bei der Wahl an einer Weltanschauung orientiert, die von ‚links‘ nach ‚rechts‘ geordnet war. Links war man für Umverteilung und mehr Demokratie, rechts für Wettbewerb und hierarchische Ordnungen, und in der Mitte für Freiheit und weniger Bürokratie.“ Aber die Zeiten hätten sich geändert, warnt der Autor: „Für unsere aktuellen Probleme gibt es keine ‚linken‘ oder ‚rechten‘ Lösungen. Der Zusammenhang zwischen Weltanschauung und Problemlösungsansatz ist verloren gegangen.“ Das gelte für das Klimaproblem genauso wie für den demographischen Wandel, die Migrationsfrage oder die, wie wir mit Künstlicher Intelligenz (KI) umgehen.
Wenn aber die ideologische Verortung nicht mehr als Instrument der Komplexitätsreduzierung funktioniert, was dann? „Dann gibt es Narrative. Angeboten werden sie uns von der Politik, denn die hat gar keine andere Wahl. Nur mit simplen Geschichten dringt sie zu uns durch. Für aufwändige Erklärungen haben wir weder Zeit noch Lust“, erklärt Weimann. Es gebe gute Narrative, die das beste verfügbare Wissen nutzen. Aber auch schlechte, die zu einfach sind, um ein Problem zu lösen und sich nur deshalb durchsetzen, weil sie so einfach sind. Und es gebe die sehr schlechten Narrative, die aus einer verzerrten Wahrnehmung stammen und uns verführen sollen: „Beispiele dafür gibt es zur Genüge, und Putin führt uns gerade vor, dass sie auch heute noch in der Lage sind, einen Krieg zu rechtfertigen.“ Forschungen aus der Psychologie und der Verhaltensökonomik belegen sowohl die Macht von Narrativen als auch, dass gerade die schlechten im politischen Wettbewerb gute Chancen haben, so Weimann: „Sie haben den Holocaust möglich gemacht, und sie erlauben es, das ukrainische Volk als Nazis zu verunglimpfen. Narrative wachsen auf dem Boden der Selbstüberschätzung und werden von starken psychologischen Bodyguards bewacht“.
In seinem Buch erklärt Joachim Weimann, wie wir es dennoch schaffen, dass sich in unseren Demokratien vor allem die guten Narrative durchsetzen. Notwendig sei das Wissen, wie Narrative funktionieren, wie sie sich verbreiten und wie die schlechten verändert oder verbannt werden können. Sein Buch schließt er mit Vorschlägen, wie sich die Bedingungen für eine Befriedigung des „sense making-Triebes“ durch geschickte institutionelle Veränderungen verbessern lassen. Die zentralen Institutionen seien die Wissenschaft und die Medien. Aber letztlich kommt es auf die Endverbraucher von Information an, so Weimanns Appell: „Es sind wir Wählerinnen und Wähler, die bestimmen, welche Qualität unsere Demokratie hat und zukünftig haben wird.“
Joachim Weimann ist Professor an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und leitender Direktor des Magdeburger Labors für experimentelle Wirtschaftsforschung (MaXLab).
Joachim Weimann
Einfach zu einfach
2022, 216 S.
Softcover € 19,99 (D) | € 20,55 (A) | sFr 22.50 (CH)
ISBN 978-3-658-36043-6
Auch als eBook verfügbar
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