Herr Prof. Franz, wie steht es um das Männerbild 2022? Wer ist ein „richtiger“ Mann?
Franz (lacht): Ein „richtiger“ Mann heute hat in einer befriedeten Gesellschaft Rollenvorschriften nicht mehr so nötig. Er ist „richtig“, wenn er empathisch mit sich selbst und anderen ist und sagen kann: „Ich fühle mich wohl in meiner Haut.“ Die alten Rollengussformen haben nur noch in begrenztem Umfang Gültigkeit. Im 18. und 19. Jahrhundert dominierte im Zuge der Industrialisierung und Militarisierung ein sehr metallisches Männerbild – mit krankmachenden Auswirkungen teilweise auch noch bis heute. Der patriarchalische Vater war die Autoritätsperson, der Strafende, arbeitend Abwesende und Distanzierte. Er stand eher nicht auf der Seite der Kinder. Das färbte in gewisser Abschwächung übrigens auch auf das Vaterbild der frühen Psychoanalyse ab.
Welche Rolle spielt denn der Vater für die Kinder?
Franz: Eine ganz entscheidende! Eine gute Vaterbeziehung und -bindung prägt und hilft, ein gesundes und langes Leben zu führen. In zwei großen Studien konnten wir zeigen, dass Kinder, die vaterlos aufwuchsen, ein massiv erhöhtes Risiko hatten, psychosomatische Krankheiten wie Depressionen, körperliche Beschwerden oder Ängste zu entwickeln. Und nicht nur das: Der Effekt war sogar noch nach 60 Jahren messbar. Viele Wissenschaftler konnten das zunächst gar nicht glauben. Wir haben lange hin- und hergerechnet, verschiedene Modelle angewendet und Wiederholungsstudien durchgeführt: Das Ergebnis blieb das gleiche.
Was macht den Vater so wertvoll für die Entwicklung des Kindes?
Franz: Schon in den ersten zwei Jahren wird der Grundstein gelegt für das Urvertrauen und ein sicheres Bindungsmuster. Ein Säugling sieht den Vater nicht als fremde Person und entwickelt eine eigene Beziehung zu ihm – auch unabhängig von der zur Mutter. Das Kind lernt, dass es keine Angst vor Abhängigkeit haben muss, dass es sicher ist, Verständnis und Hilfe erfährt. Im Alter von zwei bis drei Jahren streben Kinder – manchmal etwas größenwahnsinnig – nach mehr Selbstständigkeit, zu der auch die Erfahrung von Trennung und Scheitern gehört. Als Entwicklungspartner helfen Väter ihren Kindern dann über die auf die Mutter bezogene Trennungsangst und den einen oder anderen Wutanfall hinweg, z.B. indem sie in spannenden Spielen ihre Kinder ermutigen Grenzen auszutesten. Das zeigt dem Kind: Die Welt ist ein toller Ort, ich brauche keine Angst zu haben und ich schaffe das. Schließlich ist der Vater ein wichtiges Vorbild auch im Hinblick auf seine Beziehung zur Mutter, wenn Kinder etwa zwischen vier und sechs Jahren die eigene Sexualität spielerisch erforschen und in Besitz nehmen.
Einige Kinder wachsen heute auch mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen auf. Was gilt für solche Beziehungen?
Franz: Auch in den meisten homosexuellen Beziehungen gibt es bestimmte “Zuständigkeiten“, die vergleichbar sind mit denen heterosexueller Paare. Bei zwei Frauen etwa ist auch nur eine mit dem Kind schwanger, gebärt und stillt es. Der andere Elternteil übernimmt dafür vielleicht eher die ermutigende Außenorientierung. Viel wichtiger ist, wie gut die Paarbeziehung funktioniert und ob sie dem Kind eine sichere Bindung ermöglicht. Einfühlsame Eltern können dazu beitragen, dass Kinder ein selbstsicheres und gesundes Leben führen können.
Was meinen Sie: Wie weit sind wir damit in der Realität?
Franz: Der geschichtliche und gesellschaftliche Rahmen bestimmt wesentlich, wie Kinder aufwachsen. Es ist mit gewissen Abstrichen immer noch so: Frauen übernehmen überwiegend die Elternzeit, kümmern sich um das Kind. Männer dagegen tragen nach wie vor meistens den beruflichen und finanziellen Druck und wollen heute auch mehr Familie leben. Gesellschaftlich müssen wir deshalb mehr Sensibilität für Väter und junge Familien aufbringen. Und auch die politischen Rahmenbedingungen müssen besser werden, damit Eltern es sich auch leisten können, sich selbst um ihr Kind zu kümmern, wenn sie das wollen. Aus psychoanalytischer Sicht würde man sich vielleicht wünschen, dass Kinder die ersten drei Jahre in ihrer Familie aufwachsen dürfen – und zwar zu gleichen Teilen betreut von Vater und Mutter. Doch von einem solchen bindungsfreundlichen Familienmodell sind wir weit entfernt. Dabei ist es eigentlich unsere wichtigste Aufgabe als Gesellschaft, Kindern gut ins Leben zu helfen und mehr Empathie für ihre Bedürfnisse zu entwickeln.
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