"Ich bin stolz, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Mir wurde leichter ums Herz", umschrieb Amalie Speidel, die Schwester des in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee ermordeten Ernst Lossa, ihre eigene Seelenlage in ihrem letzten großen Interview mit dem Journalisten und Autor Robert Domes (veröffentlicht in: „Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen“, Bildungswerk Irsee, IMPULSE-Schriftenband 18/2021).

Die am 8. Januar 1931 in Augsburg geborene Amalie war das zweite von vier Kindern der Eheleute Anna und Christian Lossa, die der Volksgruppe der Jenischen angehörten. 1933 nahm der "Fürsorgeverband Schwaben" die Kinder den Eltern weg und brachte sie in verschiedenen Heimen in Augsburg unter. Kurz darauf starb die Mutter 23-jährig an Tuberkulose, der Vater war von Januar 1936 bis Dezember 1938 im Konzentrationslager Dachau mit „Arbeitszwang“ inhaftiert und wurde im Oktober 1941 in das KZ Flossenbürg verbracht, wo er am 30. Mai 1942 mit nur 35 Jahren zu Tode kam. Der jüngste Sohn der Lossas starb als Kleinkind. Die anderen drei Geschwister Ernst, Amalie und Anna lebten im katholischen Waisenhaus in Hochzoll. Da Ernst sich nicht unterordnete, diffamierte eine Gutachterin den Jungen als „Psychopathen“, worauf Ernst in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen wurde. Dort wurde er am 5. Mai 1943 in den Anstaltsteil Irsee abgeschoben, wo er am Abend des 8. August 1944 mit zwei Spritzen Morphium-Skopolamin ermordet wurde.

Dass uns das Schicksal von Ernst Lossa bis heute berührt, verdanken wir dem unermüdlichen Engagement des langjährigen Leitenden Ärztlichen Direktors des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, Prof. Dr. Michael von Cranach, der uns die historischen Krankenakten zugänglich machte und das Gespräch mit den Angehörigen suchte, so auch mit Amalie Speidel, geborene Lossa. Dem gewissenhaften Nachforschen entwuchs ein von Robert Domes sensibel erzählter historischer Roman (Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa, München 2008), der 2016 verfilmt wurde, sowie das Bühnenstück NEBEL IM AUGUST (Der Fall Ernst Lossa vor Gericht) von John von Düffel, das die Intendantin des Landestheaters Schwaben, Dr. Kathrin Mädler, im März 2018 in Memmingen uraufführte.

Seitdem Autor Robert Domes 2010 die jährliche Gedenkveranstaltung „Lichter gegen das Vergessen“ am Allerheiligentag (dem Geburtstag von Ernst Lossa) auf dem ehemaligen „Euthanasie“-Friedhof von Kloster Irsee initiierte, hat es sich Amalie Speidel trotz ihres hohen Alters nicht nehmen lassen, diese von ihrem Wohnort Backnang (Württemberg) aus zu besuchen und stets auch das Gespräch mit den Anwesenden rund um Irsees 1. Bürgermeister Andreas Lieb zu suchen.

„Ihr Mut, über diese schwere Zeit zu sprechen, wie ihre warmherzige, verschmitzte Art bleiben uns unvergesslich“, würdigen Schwabens Bezirkstagspräsident Martin Sailer, Prof. Dr. Michael von Cranach, Robert Domes sowie der Werkleiter von Kloster Irsee, Dr. Stefan Raueiser, die ebenso wichtige wie engagierte Zeitzeugin der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen. Amalie Speidel, geborene Lossa, ist am 3. Juni 2022 mit 91 Jahren in Winnenden verstorben.

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