"Offensichtlich scheint es, zumindest nach den Vorstellungen der bisherigen Bundesregierung, so viel Geld in der Gesetzlichen Krankenversicherung zu geben, dass die eigenen politischen Vorgaben nach Wirtschaftlichkeit und Wissenschaftlichkeit in der Medizin keine Rolle spielen", kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) Dr. Norbert Metke die Schiedsentscheidung in Berlin zu sog. Pharmazeutischen Dienstleistungen durch Apotheker auf dem Boden des noch in der zurückliegenden Legislatur verabschiedeten "Apotheken-vor-Ort-Gesetzes (AVOG)".

Wohl auf die Vorstellungen des Dachverbandes ABDA der Apotheker eingehend, wurden u.a. eine erweiterte Medikationsberatung insbesondere auch bei Karzinom- und Transplantationspatienten, Blutdruckmessen und weitere medizinische, diagnostische und therapeutische Maßnahmen in Apotheken vereinbart.

Metke ist sichtlich empört: "Verantwortungs- und sinnvolle Beratung über eine Medikation ist aktive Therapie. Sie bedingt das stetige Hinterfragen der Diagnose und der Richtigkeit des eingeschlagenen Therapieweges. Gerade bei Schwerstkranken mit onkologischen Erkrankungen und bei Transplantierten wird angesichts der Komplexität und des medizinischen Fortschritts detailliertes Expertenwissen gefordert, welches ausschließlich auf dem Boden einer fundierten medizinischen Ausbildung vorhanden sein kann. Und genau diese Grundlagen haben Apotheker nicht, da ihre Ausbildungsordnung tiefere Kenntnisse in Diagnostik und Therapie als Grundlage der Beratung und Behandlung Kranker nicht beinhaltet. Ärzte müssen zwölf Jahre Studium und Weiterbildung absolvieren, um hierfür ausreichende Kenntnisse in Diagnostik und Therapie zu erwerben.

Es bestehen darüber hinaus umfassende Regelungen, in deren Rahmen unsere Mitglieder für bestimmte Leistungen noch einmal umfangreiche Zusatzqualifikationen erwerben müssen und Leistungsnachweise vorzulegen haben. Alles das wird richtigerweise zum Wohl aller Kranken geleistet. Und dann kommen Apotheken und dürfen auf einmal Medikationsberatung für Schwerkranke anbieten, was dann über die Krankenversicherung auch noch bezahlt wird. Das wäre etwa so, wie wenn es künftig reichen würde, einmal ein Modelflugzeug gesteuert zu haben, um dann ein Passagierflugzeug zu fliegen."

Metke weiter: "Während unsere Mitglieder mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen drangsaliert werden, werden nun Beratungsleistungen durch die Apotheken finanziert, für die es weder eine Notwendigkeit gibt, für die die Apotheken nicht geeignet sind und keinerlei Mehrwert für die Versorgung erkennbar ist. Das passt alles überhaupt nicht zusammen. Offensichtlich scheint nicht die Versorgung der Patienten, sondern die der Apotheken im Vordergrund gestanden zu haben."

Der KVBW-Chef ist ernsthaft um das Patientenwohl besorgt: "Eine unsachgemäße Beratung gefährdet die Patientinnen und Patienten und sorgt für Unsicherheit. Wir reden hier nicht über irgendwelche harmlosen Arzneimittelverordnungen. Wir reden über hochkomplexe Therapien für die Behandlungen von Karzinompatientinnen und -patienten. Ebenso bei Transplantationen, die mit zu den schwersten und schwierigsten Behandlungen überhaupt gehören. Wollen wir denn akzeptieren, dass ein Apotheker eine Therapie im Rahmen seiner Beratung umstellt, den Patienten verunsichert oder abweichende Einnahmeempfehlungen abgibt oder empfiehlt, das eine oder andere Medikament wegzulassen oder in einer geringeren Dosis anzuwenden? Wir können nur davor warnen, da Halb- und Teilwissen ohne fundierte Grundlagen in der Medizin fatale Folgen nach sich ziehen können."

Der KVBW-Chef stellte klar: "Wir haben kein Problem damit, wenn die bisherigen Zuständigkeiten im Gesundheitswesen hinterfragt werden. Wir möchten aber schon darauf hinweisen, dass in den Apotheken die Tätigkeit zu weit über 90% aus dem Einzelhandel mit Arzneimitteln, mit Kosmetika, Hustenbonbons, kleinen Gesundheitsratgebern und rezeptfreien Medikamenten besteht. Dabei hat der Apotheker das auszugeben, was der Arzt vorher verordnet hat.

Mit ihren Rabattaktionen, Stempelkärtchen und anderen Werbemaßnahmen unterscheiden sich die Apotheker nicht von anderen Einzelhändlern. Die Apotheker haben erweiterte Kenntnisse in Pharmazie, die Ärzte in Medizin." Metke weiter: "Sicherlich würde ein Apotheker es hinbekommen, den Blutdruck zu messen. Aber er könnte daraus keine Konsequenzen ableiten, außer, dass der Patient gegebenenfalls zum Arzt gehen sollte. Und eine Medikamentenberatung kann sich nur auf die Arzneimittel beziehen, die der Arzt vorher verordnet hat." Für ihn steht außer Frage: "Wo Arzt drauf steht, muss auch Arzt drin sein."

Der KVBW-Vorstand kündigte vor diesem Hintergrund an, die Mitglieder und auch die Patientinnen und Patienten in den Wartezimmern separat zu informieren. "Wir werden unseren Mitgliedern empfehlen müssen, dass sie den Patienten raten, sich am besten an eine Onlineapotheke zu wenden. Da bekommen sie das gleiche Arzneimittel, zudem noch schnell und barrierefrei, werden dann aber wenigstens nicht noch zusätzlich, möglicherweise falsch und schädlich, von jemandem beraten, der in dieser Thematik nicht bewandert ist."

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