Ob Honorararzt, Pflegefachkraft oder Notarzt: Die Scheinselbstständigkeit schwingt wie ein Damoklesschwert über den Selbstständigen. Wir erklären, was so gefährlich daran ist und wie Betroffene Rechtssicherheit erlangen können. 

Behandeln Arbeitgeber freie Mitarbeiter als Selbstständige, obwohl sie abhängig Beschäftigte sind, sprechen wir von Scheinselbstständigkeit“, erklärt Ecovis-Steuerberaterin Annette Bettker in Rostock. Das Verlockende daran: Für die Zusammenarbeit mit Selbstständigen sind keine Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten. Das spart viel Geld. Ob wirklich eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, lässt sich durch ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung feststellen.

Den Status immer prüfen lassen

Führen Ärzte und Ärztinnen kein Statusfeststellungsverfahren bei freiberuflich Tätigen durch und die Rentenversicherer stellen im Nachhinein Scheinselbstständigkeit fest, hat das unangenehmen Konsequenzen für den Praxisinhaber. Als Arbeitgeber wird er zur Kassen gebeten – und das nicht zu knapp:

  • Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen vier bis 30 Jahre sind zu zahlen.
  • Säumniszuschläge in Höhe von zwölf Prozent pro Jahr sind fällig.
  • Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag, also auch die Arbeitnehmeranteile, sind nachzuzahlen.
  • Der Fiskus fordert die Lohnsteuer nach.
  • Die Staatsanwaltschaft leitet eventuell ein Strafverfahren ein.
  • Es droht Regress der Unfallversicherung.

Wie das neue Verfahren läuft

Das bislang umständliche Statusfeststellungsverfahren wurde zum 1. April 2022 reformiert. Um das Verfahren zu beschleunigen, wird künftig nur noch der Erwerbsstatus festgestellt. Ist nicht klar, ob auch eine Versicherungspflicht besteht, müssen Arbeitgeber ein separates Verfahren bei der Krankenkasse durchführen lassen. Konnten Ärzte bisher erst nach Aufnahme einer Tätigkeit das Verfahren anstoßen, lässt sich jetzt durch eine Prognoseentscheidung bereits vor der Arbeitsaufnahme des Selbstständigen der Erwerbsstatus prüfen.

Dreieckskonstellation prüfbar

Auch Gruppenfeststellungen sind möglich: Mediziner können mehrere gleichartige Auftragsverh.ltnisse zu verschiedenen Erwerbstätigen begutachten lassen. Das bietet aber nicht den gleichen Vertrauensschutz wie ein Statusfeststellungsbescheid. Ließen sich bislang nur Zweipersonenverhältnisse klären, also etwa zwischen Arzt und Honorarärztin, sind nun auch Dreieckskonstellationen einzubeziehen. Das Landessozialgericht Berlin- Brandenburg hatte im vergangenen Jahr zwar zu diesem Thema entschieden, dass eine Pflegefachkraft selbstständig tätig ist, weil sie Leistungen über eine Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt an ein Krankenhaus erbracht hatte. Trotzdem garantiert die Zwischenschaltung einer juristischen Person nie Versicherungsfreiheit.

Die Prognoseentscheidung, Gruppenfeststellung und die Entscheidung über Dreieckskonstellationen gelten zunächst nur bis zum 30. Juni 2027. „Die Änderungen sind sehr zu begrüßen. Durch die Einführung der Prognoseentscheidung laufen Ärzte nicht mehr Gefahr, dass ihr Auftragsverhältnis rückwirkend den Scheinselbstständigkeits-Status bekommt und plötzlich hohe Beitragsnachforderungen auf sie als Auftraggeber oder Arbeitgeber zukommen“, sagt Ecovis-Expertin Bettker.

Annette Bettker, Steuerberaterin bei Ecovis in Rostock

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