Die Umweltkatastrophe in der Oder hat zu einem massenhaften Sterben von Fischen und anderer Tiere im Fluss geführt. Bislang wurden fast 140 Tonnen Fischkadaver aus dem naturnahen Strom im Herzen Mitteleuropas entnommen. Nach Überzeugung der im „Aktionsbündnis lebendige Oder” zusammengeschlossenen Umwelt- und Naturschutzorganisationen lässt sich das gesamte Ausmaß der Katastrophe frühestens in ein paar Wochen bewerten. Ein Vergleich mit der Sandoz-Katastrophe am Rhein von 1986, als nach einem Unfall im Chemiekonzern mit giftigen Chemikalien belastetes Löschwasser ein massenhaftes Fischsterben und gravierende Schäden am Ökosystem verursacht hatte, kann aber bereits jetzt gezogen werden. „Wir fordern von Politik und Verwaltung auf beiden Seiten der Oder, dass die Ursachen lückenlos aufgeklärt, schädigende Einflüsse wie der aktuell laufende Oder-Ausbau sofort gestoppt und ein umfassendes Sanierungskonzept für die Oder erstellt wird”, sagte DNR-Geschäftsführer Florian Schöne stellvertretend für die zehn am Aktionsbündnis beteiligten Organisationen. Vorhaben auf beiden Seiten der Oder, den Fluss zu einer Wasser-Autobahn auszubauen, müssten zu den Akten gelegt werden. 

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) veröffentlichte gestern seine Zwischenergebnisse der Ursachenforschung. Die Forscher*innen sehen Indizien, dass das massenhafte Sterben von Fischen und Muscheln womöglich durch eine Algenblüte mit giftiger Wirkung verursacht wurde. Die Fachleute machen zugleich sehr deutlich, dass es sich nicht um ein natürliches Phänomen, sondern um ein menschengemachtes Problem handelt. So gibt es aktuell in den polnischen Medien Berichte von großen salzhaltigen Einleitungen im Bereich der Industriestadt Głogów in dem Zeitraum vom 29. Juli bis zum 10. August 2022. Außerdem meldeten Angler*innen schon im Juli ein Fischsterben oberhalb von Wrocław. Dort wiederum geben die Behörden an, dass die offiziellen Laborergebnisse der staatlichen Stellen in Polen inzwischen nicht mehr auffindbar seien.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki versprach letzte Woche die Wiederherstellung der Oder in ihren Ursprungszustand. „Wenn Morawiecki seine Aussagen ernst meint, müssen alle schädlichen Umwelteinflüsse sofort gestoppt werden – dazu gehören auch besonders die laufenden und geplanten Ausbauarbeiten im Fluss. Einer Erholung der Tier- und Pflanzenwelt durch Renaturierung des Flusses muss jetzt höchste Priorität eingeräumt werden”, so Schöne weiter. Hierfür ist aus Sicht des Aktionsbündnisses die Erarbeitung eines Aktionsplans zur Wiederherstellung der Oder notwendig, der mit einer umfassenden Finanzierung versehen wird. „Das Beispiel der Sandoz-Katastrophe am Rhein zeigt, dass eine Erholung der Oder möglich ist“, erklärte Schöne. „Die Aufarbeitung der Umweltkatastrophe müsse aber durch eine unabhängige Expert*innengruppe sichergestellt werden. Ferner sei sicherzustellen, dass Überwachungssysteme an der Oder bzw. die Alarmsysteme der Anrainerländer funktionieren, um künftig besser reagieren zu können. Die Öffentlichkeit müsse viel früher und mehrsprachig über Verunreinigungen der Oder informiert werden.

Hintergrund: Die Oder ist einer der letzten großen, naturnahen Flüsse in Europa. Über rund 500 Kilometer fließt die Oder ohne größere Hindernisse in die Ostsee, umgeben von intakten und artenreichen Überschwemmungsgebieten. Die polnische und die deutsche Regierung führen seit Jahren Planungen an der Oder durch, angeblich, um den Hochwasserschutz zu verbessern. Ein Gutachten im Auftrag des Oder-Bündnisses zeigte, dass diese Pläne das Hochwasserrisiko aber sogar erhöhen würden. Und mehr noch: Die polnische Binnenschifffahrtsstrategie sieht sogar einen Ausbau zu einer internationalen Wasserstraße vor. Jedoch verstoßen schon die bereits genehmigten Pläne gegen EU-Umweltrecht, zerstören Schutzgebiete mit ihren natürlichen Landschaften und gefährden Arten und Ökosysteme.

Zehn deutsche Naturschutz- und Umweltorganisationen haben sich bereits vor einigen Jahren im „Aktionsbündnis lebendige Oder” zusammengeschlossen und kooperieren mit polnischen und tschechischen Naturschutzverbänden in der Koalition „Zeit für die Oder”. Gemeinsames Ziel ist es, grenzübergreifend die Flusslandschaft der natürlichen Oder zu erhalten und nachhaltig zu nutzen.

Mitglieder im „Aktionsbündnis lebendige Oder“: Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), WWF Deutschland, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Deutscher Naturschutzring (DNR), Rewilding Oder, Naturschutzbund Deutschland (NABU), EuroNatur, Heinz Sielmann Stiftung, Michael Succow Stiftung, Verein der Freunde des Deutsch-Polnischen Europa-Nationalparks Unteres Odertal

Weitere Informationen:
• Gemeinsame Webseite der Umweltverbände im Oder-Bündnis: www.saveoder.org 
• Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) (2022): „Umweltkatastrophe an der Oder: IGB-Forschende verfolgen Spur potenziell giftiger Algen”, Pressemitteilung vom 17.08.2022, online:  https://www.igb-berlin.de/…  
• World Bank Odra-Vistula Flood Management Project for Poland, online: https://projects.worldbank.org/en/projects-operations/project-detail/P147460?lang=en 
• Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (2021): „Stromregelungskonzeption für die Grenzoder: Strategische Umweltprüfung – Festlegung des Untersuchungsrahmens”, Pressemitteilung vom 02.02.2021, online: https://www.gdws.wsv.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20210202_Stromregelungskonzeption_Grenzoder_PM.html?nn=1215048 
• RiffReporter: „Senckenberg-Chef: Massive Renaturierung ist der Schlüssel für eine Erholung der Oder”, Interview von Thomas Krumenacker mit Klement Tockner, online: 16.08.2022, https://www.riffreporter.de/de/umwelt/fischsterben-oder-renaturierung-tockner 
• Gazeta Wyborcza: Słona woda trafiła do Odry w Głogowie z Zakładu Hydrotechnicznego KGHM: "Wody Polskie nie poprosiły o wstrzymanie zrzutu", [Salzhaltiges Wasser aus der hydrotechnischen Anlage von KGHM gelangte bei Głogów in die Oder: "Wody Polskie bat nicht darum, die Einleitung zu stoppen"], 17.08.2022, online: https://wroclaw.wyborcza.pl/wroclaw/7,35771,28801874,slona-woda-trafila-do-odry-w-glogowie-z-zakladu-hydrotechnicznego.html?disableRedirects=true#S.MT-K.C-B.2-L.3.maly 
• Gazeta Wyborcza: Wędkarze chcieli oddać do badania ryby wyłowione pod koniec lipca. Państwowe laboratorium odmówiło, 17.08.2022, online: https://wyborcza.pl/… 

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