Vom 1. bis 5. September haben sich mehr als 60 Personen, die adventistische Christen sind oder waren und dem LGBTQIA+-Spektrum angehören, in Aeschiried, im Berner Oberland, getroffen. Dazu gehörten auch Freunde, Angehörige und Unterstützende. Das 21. Europäische SDA-Kinship Treffen fand dieses Jahr zum ersten Mal in der Schweiz statt. Die Teilnehmenden kamen vorwiegend aus deutschsprachigen und anderen europäischen Ländern aber auch aus den USA, Venezuela und Kolumbien.

Organisiert wurde das jährliche Treffen von „Seventh-day-Adventist Kinship Europe“, einer privaten Organisation, die sich seit Jahrzehnten aktiv für nicht-heterosexuelle Menschen in der adventistischen Kirche, für ehemalige Kirchenmitglieder und ihre Familien einsetzt. Unterstützt wurde das Meeting vom treff21, der regionalen adventistischen Kirchgemeinde in Heimberg, die seit 2021 Kinship-Partnergemeinde ist, und von der deutschen Sektion von SDA-Kinship.

„Komm, atme auf!“

Das verlängerte Wochenende stand unter dem Motto „Komm, atme auf!“ Die Besuchenden habe ein „inspirierendes und abwechslungsreiches Programm“ erwartet, sagte Christian Alt, einer der Organisatoren, gegenüber dem APD. Zentral sei die Zeit der Begegnung mit anderen LGBTQIA+-Menschen und unterstützenden Freunden gewesen. Umgekehrt habe dieses Wochenende heterosexuellen Kirchenmitgliedern die Möglichkeit geboten, vielen queeren Menschen persönlich zu begegnen und ihnen Fragen zu stellen.

Der Freitag stand thematisch unter dem Motto „Aufatmen – Depressionen überwinden – Wunden heilen lassen – Leben gestalten“.

Markant höhere Suizidrate

Der Arzt und Theologe Dr. med. Ruedi Brodbeck referierte über konkrete und praktische Wege der Bewältigung von Depressionen. Er verwies dabei auf den großen Wert der zwölf natürlichen Prinzipien für ganzheitliche Gesundheit, wie sie im NewstartPlus®-Konzept zusammengefasst sind. Besondere Beachtung erhielt auch das Thema Vergebung, als Schlüsselelement für seelische Heilung. Menschen aus dem LGBT-Spektrum haben ein rund fünf Mal höheres Risiko, psychisch zu erkranken und eine entsprechend markant höhere Suizidrate. Die allermeisten sind Opfer von Diskriminierung und Ausgrenzung, nicht selten in der eigenen Familie und Kirchengemeinde.

Barbara Brodbeck, (M.A. praktische Theologie), hielt eine Morgenandacht und stellte anschließend unter dem Titel „Seelsorge an LGBTQIA+ Personen – Grundlagen und ethische Überlegungen“ zwei Forschungsarbeiten vor, die sie im Rahmen ihres Theologiestudiums eingereicht hatte.

Gottesdienst in der reformierten Kirche in Kirchenthurnen

Am Samstag fand in der reformierten Kirche Kirchenthurnen/BE ein Gottesdienst statt, zu dem die Veranstalter des Kinship-Wochenendes Freunde und Gäste eingeladen hatten. Anschließend gab es für alle auf einem nahegelegenen Bauernhof ein gemeinsames Mittagessen, ein sogenanntes „Potluck“, gefolgt von einer Tauffeier.

Abgerundet wurde der Tag im Tagungszentrum „Z Aeschiried“ mit einem Kaminfeuer-Interview. Daniel Zwiker. (M.A. Psychotherapeut ASP und Theologe M.A.), gab Auskunft über seine Erfahrungen mit Menschen aus dem LGBTQIA+-Spektrum und ermutigte die Anwesenden, ihren von besonderen Herausforderungen geprägten Lebensweg selbstbewusst zu gehen.

Am Sonntag konnten die Teilnehmenden aus vier verschiedenen Ausflugsprogrammen auswählen, um bei wunderschönem Spätsommerwetter Land und Leute näher kennen zu lernen.

Stimmen von Teilnehmenden

In der Feedbackrunde zum Tagungsausklang äußerten Teilnehmende, was ihnen Kinship und dieses Wochenende bedeuten. Ein Gast aus den USA betonte, er habe neben der guten Organisation vor allem die herzliche Gastfreundschaft der lokalen Kirchgemeinde geschätzt: „Das war eine fantastische Erfahrung, besonders weil so viele Menschen, auch adventistische Pastoren, als Unterstützende dabei waren. So etwas habe ich selten erlebt“. Eine Teilnehmerin zitierte das bekannte Wort von Axel Kühner: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“, und bekannte: „In den schweren Zeiten meines Lebens wurde Kinship für mich zu einem Teil dieser Hand Gottes“. Ruud Kieboom, Leiter von SDA-Kinship Europa, bemerkte zum Abschluss der Tagung: „Wir sind überwältigt vom unerwarteten Wachstum der Gruppe und möchten eine offene und lernende Gemeinschaft bleiben“.

Seventh-day Adventist Kinship International

SDA-Kinship ist eine private Organisation zur Unterstützung von aktiven und ehemaligen Siebenten-Tags-Adventisten aus dem LGBTQIA+-Spektrum. Sie wurde 1981 in den USA mit dem Ziel gegründet, lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, asexuellen und intersexuellen Menschen und ihren Angehörigen eine sichere geistliche und soziale Gemeinschaft zu bieten. Sie hat heute rund 4.500 Mitglieder in über 60 Ländern.

Der Präsident von SDA-Kinship-International, Floyd Poenitz, wünscht sich für die Zukunft mehr direkten Dialog mit den Verantwortungsträgern der adventistischen Kirche. Er betont, dass die Zeit reif sei, nicht länger über, sondern mit den Betroffenen zu sprechen. Er machte deutlich: „Die größte Herausforderung für SDA-Kinship ist das Bekanntwerden in der eigenen Gemeinschaft. Auch nach über 40 Jahren des Bestehens, wissen nur ganz wenige, dass es Kinship überhaupt gibt. Wir sind leider eines der am besten gehüteten Geheimnisse der adventistischen Kirche. Wer sich outet, d.h. zu seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität öffentlich steht, erlebt bis heute vom eigenen Umfeld Ausgrenzung und Ablehnung. Viele verlassen deshalb die Kirche und leider oft auch den Weg mit Gott. Das muss aufhören. SDA-Kinship strebt nicht nur danach, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem Mitglieder gehört und verstanden werden, sondern ebenfalls Kirchenleiter darüber aufzuklären, was es wirklich bedeutet, LGBTQIA+/queer zu sein.“

Adventistische Kirchenleitung und SDA-Kinship

Laut Christian Alt stehen die adventistische Weltkirchenleitung, sowie viele Pastoren und Kirchenmitglieder, SDA-Kinship kritisch bis ablehnend gegenüber, weil die Organisation eine bejahende (affirming) Position gegenüber queeren Menschen und ihrer Orientierung bzw. Identität einnimmt und auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eintritt, sofern sie nach den biblischen Prinzipien für die Ehe gestaltet werden. Darunter versteht Kinship eine monogame, auf Liebe und Treue beruhende, verbindliche und exklusive Lebensgemeinschaft.

Link zur Stellungnahme (auf Englisch) der adventistischen Weltkirchenleitung zur Homosexualität, einem der Aspekte des LGBTQIA+-Spektrums. Zu den anderen Aspekten gibt es derzeit keine Stellungnahmen.
https://www.adventist.org/official-statements/homosexuality/

Mehr Informationen zu SDA-Kinship International: www.sdakinship.org und kinshipgermany@sdakinship.org.

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