Rund elf Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Europa leiden an einer chronischen Entzündung der Nasenwege und der Nasennebenhöhlen. Bei zwei bis vier Prozent der Menschen kommt es zu Wucherungen der Nasenschleimhaut, sogenannten Nasenpolypen. „Die Lebensqualität der Betroffenen ist oft sehr stark eingeschränkt“, erklärt Prof. Dr. Claus Bachert vom Universitätsklinikum Gent/Belgien. Die Symptome reichen von einer ständig verstopften Nase oder anhaltendem Schnupfen über Einschränkungen des Geruchsinns bis zu Schmerzen im Gesichtsbereich. Wurden die Patienten früher ausschließlich mit kortisonhaltigen Nasensprays sowie oft einer operativen Entfernung der Polypen behandelt, stehen heute zusätzlich hochwirksame Arzneimittel zur Verfügung.

Die Hintergründe der Erkrankung beschreibt HNO-Experte Bachert wie folgt: „Nasenpolypen, auch als Chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen (CRSwNP) bezeichnet, sind eine chronische Erkrankung der Nasennebenhöhlen, die oft mit Asthma-Komorbidität verbunden ist.“ Ursache der chronischen Entzündung seien immunologische Prozesse ähnlich denen einer allergischen Reaktion, wie sie beim Heuschnupfen im Körper ablaufen. „Die Entzündung in Nasenpolypen ist bei 85 Prozent der Patienten durch eine Typ-2-Immunreaktion gekennzeichnet, getrieben durch die Interleukine 4, 5 und 13, die aus den T-Zellen, Mastzellen und eosinophilen Granulozyten freigesetzt werden.“

Schwere oder rezidivierende Nasenpolypen können heute nicht nur chirurgisch, sondern auch medikamentös behandelt werden, da verschiedene Biologika diese Zytokine antagonisieren können, so Bachert weiter. „Patienten mit Nasenpolypen werden oft mehrmals operiert, wobei auch Biologika die Polypen reduzieren und am Wachstum hindern können. Neue Behandlungswege sollten daher die Operation und die Biologika in einer optimalen Weise kombinieren, um die Patienten über Jahrzehnte frei von Nasenpolypen zu halten.“ Hierbei werden mehrere Behandlungsschemata derzeit von Expertinnen und Experten diskutiert.

Für HNO-Fachärztin Dr. Kathleen Chaoui bedeuten die bei der Indikation zugelassenen Biologika einen Quantensprung in der Behandlung der betroffenen Patienten: „Die verfügbaren Antikörpertherapien sind eine bahnbrechende Änderung im bisherigen Therapieschema und helfen den schwer kranken Patienten mit messbar eingeschränkter Lebensqualität.“ So bildeten sich die Nasenpolypen schon kurz nach Start der Therapie zurück und die Patienten seien innerhalb weniger Wochen nahezu beschwerdefrei. Das immense Potenzial der sogenannten Biologicals sei dabei längst nicht ausgeschöpft, fährt die in Berlin niedergelassene Ärztin fort. „Ich könnte mir vorstellen, dass Biologika künftig eine noch größere Rolle bei der Behandlung der Polypen-Patienten spielen. Wir müssen uns unter dem Blickwinkel der Patientensicherheit beispielsweise fragen, ob eine vorherige Operation oder auch Revisionsoperationen künftig verzichtbar sind.“ Mit jedem chirurgischen Eingriff seien Risiken verbunden, die mit der medikamentösen Therapie vermieden werden. Chaoui: „Müssen wir in Zukunft begründen, warum wir kein Biologikum einsetzen?

Während die Behandlung mit den neuen Therapeutika in den HNO-Kliniken bei passender Indikation in der Regel problemlos möglich sei, gestalte sich der Biologika-Einsatz in der ambulanten Facharztpraxis hingegen kompliziert. „Alle drei bei chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen zugelassenen Biologika können in der ambulanten Versorgung verordnet werden. Dies ist bei der derzeitigen Auslastung der rhinologischen Sprechstunden in den klinischen Zentren dringend nötig. Dennoch sind viele HNO-Kolleginnen und -Kollegen angesichts der Regressgefahr verunsichert“, berichtet Chaoui. Aufgrund bundesweit unterschiedlicher Arzneimittelvorgaben könne der Einsatz der sehr teuren Präparate eine sogenannte Wirtschaftlichkeitsprüfung nach sich ziehen.

Auch wenn das Risiko einer finanziellen Rückforderung bei korrekter Indikation und sorgfältiger Dokumentation letztlich gering sei, schrecke die Gefahr eines Prüfverfahrens viele Praxen ab. Dies gelte umso mehr, da der Aufwand für die verordnenden Ärztinnen und Ärzte hoch sei, berichtet Chaoui weiter: „Bei jedem Patienten muss zunächst eine umfangreiche Diagnostik mit anschließender Dokumentation der Befunde erfolgen. Erst dann kann geklärt werden, welches das richtige Biologikum für den individuellen Patientenfall ist.“ Im Sinne der betroffenen Patienten wäre es wünschenswert, wenn es für alle bei der Erkrankung zugelassenen Biologika die gleichen Sicherheiten in der Verordnung gebe. Derzeit habe nur ein Präparat mit der sogenannten bundesweiten Praxisbesonderheit einen besonderen Status. „Dies würde ich mir für alle zugelassenen Präparate wünschen“, so HNO-Ärztin Chaoui.

Bei der 55. Fortbildungsveranstaltung für HNO-Ärzte im Congress Center Rosengarten Mannheim geht es in verschiedenen Programmpunkten um Biologika im HNO-Bereich. Zum Rundtischgespräch „Biologicals: Künftig Erstbehandlung bei Polypen?“ (27. Oktober 2022, 14:30 bis 15:55 Uhr) haben sich neben Prof. Dr. Claus Bachert und Dr. Kathleen Chaoui auch Priv.-Doz. Dr. Achim Beule aus Münster sowie Priv.-Doz. Dr. Mandy Cuevas aus Dresden angekündigt. Am gleichen Tag (27. Oktober 2022, 9:00 bis 10:25 Uhr) stellen Priv.-Doz. Dr. Adam Chaker aus München, Prof. Dr. Martin Wagenmann aus Düsseldorf und Dr. Ulrike Förster-Ruhrmann aus Berlin Fallbeispiele zu Nebenwirkungen und Komplikationen von Biologika vor. Verschiedene Symposien vertiefen das Thema im Laufe des Kongresses.

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