Gutes tun und Menschen in Not helfen: Aus dieser Motivation heraus haben nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte und tatkräftige Männer und Frauen das Unionhilfswerk gegründet. Auch heute noch ist Freiwilligenarbeit eine tragende Säule. Doch deren Formen haben sich mit dem gesellschaftlichen Wandel verändert, die Motive und Erwartungen der Freiwilligen sind heute andere als damals. Das Unionhilfswerk hat darauf eine innovative Antwort gefunden.

Traditionelles Ehrenamt auf dem Rückzug

Heute werden die Begrifflichkeiten oft verwischt, doch lange Zeit war klar: Ein „Ehrenamt“ im Unionhilfswerk zu haben bedeutete, sich freiwillig mit einem gewählten Mandat innerhalb der Vereinsstruktur zu engagieren, etwa als Bezirks- oder Landesvorsitzende*r, als Schatzmeister*in oder Beiratsmitglied. Freiwilliges Engagement spielte sich hauptsächlich in den Bezirksverbänden ab, wo sich die Vereinsmitglieder in der Nachbarschaftshilfe, der Unterstützung älterer, einsamer Menschen, der Organisation von Bastelgruppen oder Ausflugsfahrten einbrachten. Doch ab den 90er Jahren verzeichnete das Unionhilfswerk einen stetigen Mitgliederrückgang. Es fehlte an Nachwuchs. Auch andere Wohlfahrtsverbände standen vor diesem Problem, ebenso große Institutionen wie Kirchen, Parteien oder Gewerkschaften.

Wir wollen mitgestalten! „Neue Freiwillige“ auf dem Vormarsch

Bereits in den 1970er und 1980er Jahren war in Westdeutschland von einer „Krise des Ehrenamts” die Rede. Diese „Krise” wurde jedoch weniger durch einen allgemeinen Rückgang des ehrenamtlichen Engagements ausgelöst als vielmehr durch dessen Strukturwandel: Ehrenamtliches Engagement verlagerte sich von den großen Verbänden weg zu kleineren Projekten der Frauen-, Gesundheits- oder Umweltbewegung und zeitlich befristeten Bürgerinitiativen. Werte wie christliche Nächstenliebe verloren für viele Menschen an Bedeutung. Individualisierung und Wertewandel brachten mit sich, dass sich die Erwartungen der sogenannten „neuen Freiwilligen” an die ehrenamtliche Tätigkeit veränderten: Sie wollten mitgestalten, sich selbst verwirklichen, eigene Ideen einbringen. Es ging ihnen um ein Geben und Nehmen statt Selbstaufgabe. Flexibilität, eine eher lockere Bindung an eine Organisation sowie eine zeitliche Befristung des Engagements erhielten einen höheren Stellenwert. Die Strukturen eines formal organisierten Ehrenamts erschienen vielen jüngeren Menschen zu starr und galten ihnen daher eher als unattraktiv.

Wertschätzend und individuell begleitend: Professionelles Freiwilligenmanagement

Das Unionhilfswerk reagierte auf diese Veränderungen und stellte die Freiwilligenarbeit auf neue Füße. Die Idee: Das weiterhin wichtige langfristige Vereinsengagement durch zeitlich begrenzte Einsätze ergänzen und den Interessierten einen zentralen Ansprechpartner für das freiwillige Engagement zur Verfügung stellen. Zu diesem Zweck wurde die Stelle eines „Koordinators für Freiwilligenmanagement“ eingerichtet und zum 1. April 2003 mit Daniel Büchel besetzt, der bereits seit 1999 für das Unionhilfswerk tätig war. Die Einrichtung eines Freiwilligenmanagements bedeutete einen Meilenstein in der Geschichte des Unionhilfswerks. Doch die neu geschaffene Stelle war nur der Anfang. Im Laufe der Zeit wurde die Freiwilligenarbeit immer weiter professionalisiert. Freiwillige beteiligten sich bereits an der Entwicklung neuer Freiwilligenprojekte wie dem Jugend-Mentoring-Bereich. Leitlinien wurden ausgearbeitet und den veränderten Bedürfnissen der Freiwilligen Rechnung getragen. Ihre individuellen Erwartungen werden seitdem in einem ersten Gespräch herausgearbeitet: Wie kann ich mich auf sinnvolle Art und Weise einbringen? Welches Aufgabenfeld passt zu mir? Welche Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten habe ich? Nachdem ein passendes Betätigungsfeld gefunden ist, werden die genauen Aufgaben und die Rahmenbedingungen des Engagements wie etwa Aufwandsentschädigung, zeitlicher Umfang, feste Ansprechpartner*innen vor Ort, Fortbildungsmöglichkeiten etc. verbindlich und transparent vereinbart. Außerdem wurden Möglichkeiten entwickelt, sich zuerst einmalig bei Schnupper-Engagements einzubringen und es wurde eine Kultur der Anerkennung und Wertschätzung etabliert So finden beispielsweise regelmäßig Dankeschön-Feiern und -Fahrten statt, den Freiwilligen wird auf Augenhöhe begegnet und sie werden beteiligt.

Das Engagement erfolgte zunehmend projektbezogen. Die Veränderungen zeigten Wirkung: Die von den Freiwilligen geleisteten Zeitspenden stiegen rasant. Allein in den gemeinnützigen Gesellschaften hatte sich die Zahl der Zeitstunden von 3.700 im Jahr 2003 auf 68.300 im Jahr 2016 erhöht. Das Unionhilfswerk hatte den richtigen Weg eingeschlagen. Mit Gründung der „Stiftung Unionhilfswerk Berlin“ 2015 wurde die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zum Stiftungszweck. Die zentrale Bedeutung des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements für das Unionhilfswerk und die Gesellschaft wurde damit in den Mittelpunkt der Unternehmensträgerstiftung gestellt.

Engagement für Jung oder Alt – je nach Interesse

Um Menschen mit gleichen Interessen zusammenzubringen, für die die Mitgliedschaft in klassischen Vereinsstrukturen bisher keine Option war, wurden zusätzlich zu den bestehenden regionalen Bezirksverbänden des Landesverbands Interessengemeinschaften gegründet. Diese bündeln bestimmte Themen und ermöglichen ein gezieltes Engagement. 2013 nahmen die Interessengemeinschaft „Palliative Geriatrie“, die die Bedürfnisse hochbetagter und demenziell erkrankter Menschen in den Mittelpunkt rückt, sowie die Interessengemeinschaft „Förderung junger Menschen“, die sich für benachteiligte junge Menschen mit und ohne Behinderungen einsetzt, ihre Arbeit auf. 2016 wurde die Interessengemeinschaft „Montessori-Kinderhaus Lissabonallee” gegründet, die auf vielfältige Weise das Kinderhaus Lissabonallee unterstützt. Durch die Interessengemeinschaften wurde vielen der Einstieg in ehrenamtliches Vereins-Engagement erleichtert.

Barrierearm und inklusiv: Visionen für die Zukunft

Und was bringt die Zukunft? Die Mitarbeiter*innen des Freiwilligenmanagements haben sich zum Ziel gesetzt, freiwilliges Engagement für größere Kreise interessant zu machen: „Wir wollen noch barrierefreier werden. Egal, welche kulturellen Orientierungen, welche Fähigkeiten jemand hat – jeder soll sich engagieren können. Die Engagementbereiche sollen auch inklusiver werden, so dass sich Betroffene selbst als Erfahrungsexperten einbringen können. Zum Beispiel psychisch kranke Menschen, die mit ihrer Erfahrung andere Menschen mit Beeinträchtigungen bei Freizeitaktivitäten begleiten”, sagt Daniel Büchel, der bis heute das Freiwilligenmanagement mit seinem Team leitet. Seine „Vision ist es, für diese Vielfalt einen professionellen Rahmen zu schaffen und stetig weiterzuentwickeln, damit Räume für diese wertvollen Begegnungen zwischen Generationen, Kulturen und Orientierungen vorhanden sind. Das ist das, was die Gesellschaft zusammenhält. Und wenn wir einander kennen und füreinander da sind, wirken wir Isolation, extremistischen und antidemokratischen Tendenzen entgegen.“

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