Nachdem dem bayerischen Naturschutzverband LBV (Landesbund für Vogel- und Naturschutz) bereits im Dezember ein Gänsegeier im nördlichen Landkreis Lindau gemeldet wurde, ist nun bei Bad Reichenhall ein weiterer unmarkierter Gänsegeier als ungewöhnlicher Wintergast gesichtet worden (siehe Fotos). „Es ist in Zukunft durchaus mit immer häufigeren Nachweisen von Gänsegeiern um diese Jahreszeit bei uns in Bayern zu rechnen, wenn sich die Winter in der Zukunft genauso entwickeln wie der aktuelle“, sagt LBV-Geierexperte Toni Wegscheider. „In einem schneereichen und kalten Winter hätte es ein Gänsegeier in den bayerischen Breiten sehr schwer, da der ungefährliche Aasfresser bisher vor allem in wärmeren Gebieten südlich der Alpen beheimatet ist“, erklärt Wegscheider weiter.

Im Berchtesgadener Land sind Einflüge von Gänsegeiern nicht vollkommen ungewöhnlich. Immer wieder durchqueren zwei der Vögel aus dem nahegelegenen Zoo Salzburg das Gebiet. Diese beiden Exemplare sind jedoch entsprechend markiert und lassen sich so gut von dem nun gemeldeten, unmarkierten Geier unterscheiden. „Wahrscheinlich kommt der Gänsegeier bei Bad Reichenhall aus dem Südosten Europas, zum Beispiel aus dem italienischen Friaul oder Kroatien. Dort gibt es größere Bestände, von denen wir durch Besenderung und Beringung einzelner Vögel wissen, dass sie regelmäßig in die Nordostalpen fliegen“, erklärt Toni Wegscheider.

Der Gänsegeier bei Bad Reichenhall wirkt auf den LBV-Geierexperten fit und gut genährt. „An den umgebenden Bergen kann er genügend Innereien von erlegtem Jagdwild finden. Dank der großen Flächen der Bayerischen Staatsforsten sollten diese auch weitgehend bleifrei sein, da dort keine für Greifvögel hochgiftige Bleimunition mehr verwendet werden darf“, so Wegscheider. Über die Nahrung gewinnt der Gänsegeier ausreichend Energie, um auch bei geringer Thermik im sogenannten Ruderflug fliegen zu können. So bleibt der Vogel mobil und es ist es gut möglich, dass er bereits beim nächsten Wintereinbruch nach Süden abfliegt.

Der Sichtungsort bei Bad Reichenhall liegt ganz in der Nähe des Nationalparks Berchtesgaden. Dort wildert der LBV seit 2021 gemeinsam mit diesem jedes Jahr zwei bis drei junge Bartgeier aus, um die Art auch im östlichen Alpenraum wieder anzusiedeln. Nahrungskonkurrenz kommt zwischen den beiden Geierarten jedoch nicht auf, viel mehr ergänzen sie sich. Gänsegeier ernähren sich von den fleischigen Überresten der Kadaver, wohingegen der Bartgeier im Anschluss die übriggebliebenen Knochen frisst.

Sichtungen melden
Gänsegeier-Einflüge im bayerischen Winter sind äußerst selten. Auch wenn der Vogel aus dem Landkreis Lindau in den letzten Tagen nicht mehr in der Region gesichtet wurde, ruft der LBV alle Naturfreunde dazu auf, Beobachtungen der in Bayern seltenen Geierart über das LBV-Naturtelefon unter 09174/4775-5000 zu melden.

Hintergrund:
Das Verbreitungsgebiet der Gänsegeier erstreckt sich von der iberischen Halbinsel über Italien und den Balkan bis nach Zentralasien und Nordindien. Auch Teile Afrikas und des Nahen Ostens werden von ihnen besiedelt. Während der Sommermonate halten sich aber vor allem Jungvögel auch gerne fernab ihrer Brutgebiete zum Beispiel in den österreichischen Hohen Tauern auf. Diese Vögel stammen dann meist aus Kroatien. Das größte europäische Vorkommen befindet sich in Spanien. Dort leben mit mehr als 30.000 Brutpaaren über 90 Prozent ihres europäischen Bestandes.

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1909 gegründet ist der LBV – Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern e. V. – der älteste Naturschutzverband in Bayern und zählt aktuell über 115.000 Unterstützerinnen und Unterstützer. Der LBV setzt sich durch fachlich fundierte Natur- und Artenschutzprojekte sowie Umweltbildungsmaßnahmen für den Erhalt einer vielfältigen Natur und Vogelwelt im Freistaat ein. Mehr Infos: www.lbv.de/ueber-uns.

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