Die meisten Menschen haben zumindest eine vage Vorstellung von den Abläufen auf einer Intensivstation in Akutkliniken: PatientInnen mit schweren bis lebensbedrohlichen Krankheiten oder Verletzungen werden von einem medizinischen Team und umringt von zahlreichen technischen Geräten in angespannter Atmosphäre versorgt. Was aber passiert auf der neurologischen Intensivstation einer Rehaklinik. Paul Alber, Therapieleiter der ELBLAND Rehaklinik in Großenhain, hat mit den erfahrenen Physiotherapeutinnen Reni Frohberg und Claudia Gramsch über ihre Arbeit auf der neurologischen Intensivstation einer Rehaklinik gesprochen.

PAUL ALBER: Sie beiden sind seit fast 10 Jahren auf der Intensivstation der Rehaklinik in Großenhain tätig. Zunächst die Frage: Mit welchen PatientInnen haben Sie es hier hauptsächlich zu tun?

CLAUDIA GRAMSCH: Wir behandeln hier ausschließlich neurologische PatientInnen, also Menschen, die einen Schlaganfall, ein Schädelhirntrauma erlitten haben, oder PatientInnen, die an einer degenerativen neurologischen Erkrankung leiden, wie zum Beispiel MS oder ALS. Der Altersdurchschnitt unserer PatientInnen liegt bei über 65 Jahre. Ab und zu sind auch jüngere PatientInnen darunter, aber das ist eher die Ausnahme.

PAUL ALBER: Würden Sie sagen, dass sich das Patientenklientel vom Schweregrad der Erkrankung im Laufe der vergangenen 10 Jahre verändert hat?

CLAUDIA GRAMSCH: Das können wir so nicht feststellen. Wir haben eher den Eindruck von gehäuft auftretenden Diagnosen, fast schon wellenartig. Ähnlich verhält es sich beim Patientenalter. Mal kommt ein Schwung jüngerer PatientInnen, danach liegt der Altersdurchschnitt wieder bei gefühlt über 80 Jahren.

RENI FROHBERG: Was wir aber schon sehen ist, dass die PatientInnen, welche aus Akutkliniken gebracht werden, früher zu uns kommen, also akuter und instabiler sind.

CLAUDIA GRAMSCH: Das stimmt. Gerade die CIP/ CIM PatientInnen sind anfangs sehr instabil. Bei uns werden sie aber in der Regel relativ schnell stabiler. Auch die Post CovidPatientInnen sind zu Beginn des Rehaverlaufs schwierig zu behandeln, weil an vielen Problemen gearbeitet werden muss – motorisch, vegetativ, kognitiv. Aber auch diese PatientInnen erholen sich überraschend gut.

PAUL ALBER: Das liegt natürlich auch daran, dass Sie hier eine sehr gute Therapiefrequenz leisten können. Wie sieht die Struktur insgesamt aus? Wer behandelt wie viele Menschen?

RENI FROHBERG: Wir sind ein Team von zwei Logopädinnen, zwei Ergotherapeutinnen, zwei Physiotherapeutinnen und einem Masseur. Unterstützt werden wir noch von der Neuropsychologie und der Musiktherapie. Unsere Behandlungszeit ist stark vom Zustand der PatientInnen abhängig, liegt aber meist zwischen 45 und 60 Minuten am Tag. Die Anzahl der PatientInnen schwankt zwischen acht und zwölf. Was auf unserer Station definitiv gut funktionieren muss und in der Regel auch gut funktioniert, ist die Zusammenarbeit mit den Pflegenden und dem Ärzteteam.

CLAUDIA GRAMSCH: Absprachen auf kurzen Wegen mit allen Beteiligten sind unglaublich wichtig. Man muss sich auf jeden einzelnen verlassen können. Ohne dem geht es nicht!

RENI FROHBERG: Ohne Spaß geht es aber auch nicht. Ohne Spaß kriegt man hier niemanden auf die Beine.

PAUL ALBER: Das kann ich mir vorstellen. Bei der Schwere, welche krankheitsbedingt oft generell mitschwingt, kann Humor sicher ein zusätzlicher Antrieb und Motivator sein. Können Sie bitte einmal auf die spezifisch physiotherapeutischen Aufgaben eingehen, die Sie tagtäglich absolvieren?

CLAUDIA GRAMSCH: In erster Linie geht es darum, den Menschen kennenzulernen, um die vorhandenen Ressourcen zu entdecken oder wenigstens zu erahnen. Bei noch nicht kommunikationsfähigen PatientInnen geht es auch darum, eine Möglichkeit der Interaktion zu schaffen.

PAUL ALBER: Wie entdecken Sie Ressourcen bei PatientInnen, die Einschränkungen im Bewusstsein haben oder sediert sind?

RENI FROHBERG: Da spielen Erfahrungswerte eine sehr große Rolle. Sedierung ist nicht gleich Sedierung. Hier gibt es Abstufungen. Es geht darum, kleine Zeichen, kleine Bewegungen wahrzunehmen. Eine kurze Blickfixierung, ein Finger, der sich bewegt, oder ein Kopf, der sich leicht dreht – das alles hilft uns, PatientInnen besser einschätzen zu können.

CLAUDIA GRAMSCH: Ganz viel passiert natürlich auch über den Körperkontakt. Dann probiert man über einfache verbale Kommunikation in Interaktion zu gehen und beobachtet und fühlt, ob der Patient reagiert und ob eine Reaktion reproduzierbar ist.

PAUL ALBER: Das heißt also, wenn Sie von Ressourcen sprechen, dann meinen Sie Ressourcen auf allen Ebenen – kognitiv, vegetativ und motorisch?

CLAUDIA GRAMSCH: Ja, genau. Oft ist es so, dass die Kognition die Motorik limitiert. Das bedeutet für uns dann auch, die Therapie auf kognitiver Ebene zu führen: Wie kann ich den  Patienten motivieren, eine Bewegung zu machen oder eine Handlung auszuführen. Das ist sehr spannend, aber auch sehr herausfordernd. Hier ist viel Kreativität gefragt.

PAUL ALBER: Was müssen Sie von den PatientInnen wissen, um Motivation bzw. Anreize zu schaffen?

CLAUDIA GRAMSCH: Hilfreich ist es immer, wenn uns Angehörige Informationen geben können. Wichtig sind für uns Informationen über die Wohnsituation, das Berufsleben, aber auch über Hobbies. Was hat der Mensch gerne gemacht, wie war er in seiner Familie eingebunden, gibt es hier Unterstützung etc.? Das sind alles Dinge, die man in der Therapie verwenden kann, um Aufmerksamkeit zu wecken. Auf dieser Basis können dann eher Kommunikation und Aktivitäten stattfinden, weil sie für den Patienten bedeutsam sind.

RENI FROHBERG: Schön ist es auch, wenn Angehörige Fotos mitbringen, zum Beispiel von Familienfeiern oder besonderen Momenten. Das sind alles individuell emotional geladene Dinge, die praktisch eine Interaktion hervorbringen können.

PAUL ALBER: Welche Rolle spielt Musik?

CLAUDIA GRAMSCH: Das ist sehr unterschiedlich. Einige PatientInnen sprechen sehr deutlich darauf an und gehen in Interaktion, andere weniger. Unsere Musiktherapeutin hat da aber ein sehr gutes Gespür.

PAUL ALBER: Ist das Motivieren zu und Identifizieren von Interaktion auf einer neurologischen Intensivstation nicht oft sehr zermürbend?

CLAUDIA GRAMSCH: Im Gegenteil, meist ist es sehr spannend. Es ist jeden Tag anders und man muss flexibel bleiben – das ist die schöne Herausforderung. Auch die medizintechnischen Gegebenheiten, mit denen man hier arbeitet, machen die Arbeit aufregend. Man lernt immer wieder etwas Neues dazu.

RENI FROHBERG: Die Beatmungsmaschine, das Absaugen der Trachealkanülen, die unterschiedlichsten Geräte zum Trainieren der Atmung – das alles bietet viel Abwechslung.

PAUL ALBER: Somit haben Sie jeden Tag sowohl die menschliche Herausforderung Ihre schwer erkrankten PatientInnen betreffend, aber auch die technischen Anforderungen zu meistern. Hinzu kommt die notwendige Zusammenarbeit mit den anderen Professionen. Was sind hier die speziellen Problematiken, mit denen Sie umgehen müssen?

RENI FROHBERG: Wir haben jede Woche eine Teambesprechung mit allen Fachbereichen, um einen generellen fachlichen Austausch zu gewährleisten.

CLAUDIA GRAMSCH: Und das braucht es auch. Denn immer wieder zeigen sich unterschiedliche Blickwinkel auf die PatientInnen. Die Pflege zum Beispiel ist vor allem auf die Versorgung der PatientInnen fokussiert. Manchmal muss das auch schnell gehen. Wir von der Therapie können uns aber erlauben, Prozesse langsamer durchzuführen, zum Beispiel beim Positionieren des Patienten, beim Lagewechsel im Bett, oder beim Transfer vom Bett in den Rollstuhl. Hier möchten wir dem Patienten Zeit geben, um selbst aktiv werden zu können – sowohl gedanklich, als auch funktionell motorisch. Unser therapeutischer Anspruch ist es, für den Patienten so viel Mobilität wie möglich zu schaffen. Da ist natürlich die Pflege herausgefordert, das mitzutragen. Glücklicherweise unterstützt uns unsere Pflege hier schon  tatkräftig und gibt den PatientInnen auch die Zeit, die sie brauchen, um selbstwirksam zu werden.

CLAUDIA GRAMSCH: Auf der anderen Seite können wir Therapeuten nicht immer alles Medizinische im Blick behalten. Da braucht es gute Übergaben seitens der Pflege vor der Therapie. Pflegefachkräfte haben einen guten Überblick darüber, was vor der Therapie schon gelaufen ist, was nach der Therapie stattfinden wird und welche Untersuchungen noch geplant sind. Wie geht es dem Patienten aktuell, sind Medikamente umgestellt worden? All diese Dinge sind für uns extrem wichtig, um die Therapien entsprechend anpassen zu können. Der enge Austausch mit der Pflege ist für eine erfolgreiche Planung und Durchführung der Therapie unabdingbar.

PAUL ALBER: Das finde ich einen interessanten Punkt. Oft wird sicherlich vergessen, welche Aufgaben die jeweils andere Berufsgruppe zu tun hat. Dementsprechend wird natürlich auch der Patient anders betrachtet. Gibt es in der Zusammenarbeit mit den anderen Professionen Reibungspunkte?

RENI FROHBERG: Immer! Aber das macht auch ein gutes Team aus, dass man sich abspricht und auch mal Themen klärt, bei denen es knallt. Das regeln wir offen im Team und das funktioniert in der Regel auch gut.

CLAUDIA GRAMSCH: Es bleibt nicht aus, dass man mal Klartext sprechen muss, wenn man anderer Meinung ist. Nur so lassen sich Differenzen aus der Welt schaffen.

PAUL ALBER: Ich möchte nochmal auf Ihr Patientenklientel eingehen. Sie haben es mit neurologisch schwerstbetroffenen Menschen zu tun. Hinter jedem Patienten steht eine Tragödie. Wie gehen Sie mit dem emotionalen Druck um? Ist es nötig, sich abzugrenzen?

CLAUDIA GRAMSCH: Die Erfahrung hilft hier viel. Wenn man schon einige Schicksalsschläge gesehen hat, lernt man allmählich das einzuordnen. Wichtig ist auch, dass man untereinander im Team über emotional schwierige Situationen reden kann und nach einer Therapie bespricht, was einem begegnet ist und was einen mitgenommen hat. Auch unsere Neuroteams, die ja einmal wöchentlich stattfinden, fungieren manchmal als eine Art Supervision, in der jeder einbringen kann, was ihm/ihr bei bestimmten PatientInnen gerade schwer fällt und was belastend ist. Gerade wenn man an die Situation eines schwerbetroffenen Patienten denkt, bei dem noch nicht klar ist, wie es weitergehen soll und kann, wieviel Teilhabe am Leben zukünftig überhaupt noch möglich ist, gerade dann spricht man darüber. Manchmal geht es auch in eine ganz andere Richtung, dass wir den Menschen palliativ begleiten. Ich glaube, dass es wichtig ist zu wissen, wie man selbst zum Leben, aber auch zum Sterben steht. Man braucht schon eine Stabilität, um nicht von den Emotionen und Gedanken umgehauen zu werden, die im Umgang mit Schicksalsschlägen auftauchen.

RENI FROHBERG: Man hat immer wieder Patienten, die einem ans Herz gewachsen sind und deren Schicksal einen besonders mitnimmt. Aber wir haben auch uns hier auf Station. Das Team fängt auf, manche auch der Glaube. Das hilft weiter. Dazu fällt mir gerade ein Beispiel ein: Vor ein paar Jahren hatten wir einen sehr jungen Patienten, an die dreißig Jahre alt. Dieser Patient hat uns ein Jahr später besucht. Er kam einfach zur Tür herein gelaufen und wir haben alle angefangen zu weinen, weil wir ihn damals in einem Zustand verlegt hatten, in dem nicht klar war, ob er jemals wieder ein normales Leben wird führen können.

PAUL ALBER: Hat Sie die Arbeit auf der Intensivstation und die tägliche Auseinandersetzung mit diesen Themen verändert?

CLAUDIA GRAMSCH: Ich kann nur sagen, ich habe sehr viel von Reni Frohberg gelernt. Sie hat schon vorher mit schwerstbetroffenen Patienten gearbeitet und bringt noch mehr Erfahrung mit. Und ihre Herangehensweise an das Leben und an die Situation der PatientInnen finde ich einfach gut. Ihre offene und direkte Art hat mich schon sehr geprägt und mich letztlich bestärkt in meiner Ansicht zum Leben.

PAUL ALBER: Zum Abschluss: Können Sie noch einen weiteren schönen Patientenerfolg schildern?

CLAUDIA GRAMSCH: Etwas ganz Aktuelles: Wir hatten vor einigen Wochen Besuch von einem Patienten, der vor drei Jahren hier behandelt wurde. Er hatte einen sehr schweren Herzinfarkt, der auch einen Sauerstoffmangel im Gehirn mit massiven kognitiven und motorischen Symptomen zur Folge hatte. Dieser Patient steht mittlerweile wieder voll im Leben und geht normal arbeiten. Er hat uns besucht, weil es ihm ein Bedürfnis war, seine Geschichte zu erzählen und es für ihn wichtig war, ein paar Gedächtnislücken über diese schwere Zeit zu füllen. Das war sehr berührend zu erleben.

RENI FROHBERG: Wir regen unsere PatientInnen auch immer dazu an, wenn sie dann unsere Station verlassen und auf die „Normalstationen“ gehen, unbedingt noch einmal bei uns vorbeischauen und sich zu verabschieden, bevor sie nach Hause gehen können. Das machen auch die meisten PatientInnen und das tut jedem hier gut!

PAUL ALBER: Vielen Dank Reni Frohberg und Claudia Gramsch für diesen sehr persönlichen Einblick in Ihre Arbeit. Man merkt, dass Sie mit viel Herzblut dabei sind.

 

Über die ELBLANDKLINIKEN Stiftung & Co. KG

Die ELBLANDKLINIKEN sind die größte und medizinisch führende kommunale Klinikgruppe in Sachsen. Bereits 220.000 Menschen profitieren jährlich davon. Mit circa 3.000 Mitarbeitern zählen die ELBLANDKLINIKEN zu einem der größten Arbeitgeber der Region.

Die medizinische Versorgung durch die ELBLANDKLINIKEN an den drei Klinikstandorten in Meißen, Radebeul und Riesa wird ergänzt durch ein Fachkrankenhaus und die Rehabilitationsklinik in Großenhain, eine Tochtergesellschaft im ambulanten Sektor mit sieben Medizinischen Versorgungszentren bei insgesamt 27 Facharztpraxen, einer Praxis für Naturheilkunde und Osteopathie und drei physiotherapeutischen Praxen sowie diverse Tochtergesellschaften für Labor, Sterilgut-Versorgung und Service- und Logistik-Dienstleistungen. Die enge Vernetzung aller Häuser stellt den permanenten Austausch von Kompetenzen und Wissen sicher. Diese klinikübergreifende Wechselseitigkeit in inhaltlicher wie räumlicher Nähe fördert und optimiert die medizinische Versorgung in unserer Region. Mit den Profilierungen aller Standorte wird die Spezialisierung der medizinischen Kompetenzen sinnvoll genutzt und den Patienten standortübergreifend zur Verfügung gestellt.

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