Landesweit sind 2022 lediglich drei kleinere Wasserkraftanlagen neu in Betrieb gegangen, was der Landesverband Erneuerbare Energien NRW als vertane Chance für die Energiewende wertet.

Der Ausbau der Wasserkraft dümpelt in Nordrhein-Westfalen weiter auf niedrigstem Niveau. Im vergangenen Jahr sind landesweit drei Anlagen mit zusammen 170 Kilowatt Leistung neu ans Netz gegangen, wie eine vom Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW) vorgenommene Auswertung des Marktstammdatenregisters zeigt. Die größte dieser drei Anlagen, eine Mindestwasserturbine mit 125 Kilowatt Leistung, wurde am Kraftwerk Ahausen bei Finnentrop an der Biggetalsperre installiert.

„Bei solchen Minizahlen verbietet es sich von Wachstum zu sprechen“, kommentiert Philipp Hawlitzky, stellvertretender Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW), die jüngsten Zahlen. Im Wasserkraftsektor setzt sich damit die unbefriedigende Entwicklung aus den zurückliegenden Jahren fort: Im letzten Jahrzehnt ist die neu installierte Wasserkraft-Leistung im Land lediglich um etwa neun Megawatt gestiegen. „Nordrhein-Westfalen lässt einen wichtigen erneuerbaren Energieträger nach wie vor weitgehend ungenutzt, was angesichts der aktuellen politischen Debatte um mehr Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Energieimporten völlig unverständlich ist“, betont Hawlitzky.

Dabei hat die Wasserkraft in Nordrhein-Westfalen Potenzial: Mit einer installierten Leistung von rd. 534 MW rangiert NRW mit seinen etwa 480 Anlagen im Bundesländer-Vergleich hinter Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf Platz 4. Die Vielzahl der Betreiber sind regionale Energieversorger, aber auch kleine oder mittelständische Gewerbe- und Industriebetriebe, die zum Teil seit mehreren hundert Jahren mit der Energie des Wassers zuverlässig und verbrauchernah Strom erzeugen – und somit auch ihre Stromkosten senken. Mit etwa 50 Prozent der gesamten Wasserkrafterzeugung liegt der Regierungsbezirk Arnsberg nach wie vor weit vorne in NRW.

Der Ausbau der Wasserkraft liegt nach der letztjährigen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im „überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit“. Auch die aktuelle Notfall-Verordnung auf EU-Ebene sieht das überwiegende öffentliche Interesse ausdrücklich auch für die Wasserkraft. Zudem gibt es von der EU-Kommission, der Bundesregierung aber auch der NRW-Landesregierung die klare gesetzliche Vorgabe, dass Genehmigungen für Wasserkraftanlagen binnen bestimmter Fristen erteilt werden müssen. Je nachdem ob es ein Neubau- oder ein Repoweringprojekt ist, liegen diese Fristen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.

Diese Neubewertung der Wasserkraft scheint bei den Genehmigungsbehörden im Land noch nicht angekommen zu sein. „Es kann einfach nicht sein, dass trotzdem einzelne Investoren nach wie vor ein Jahrzehnt und länger auf die notwendige Genehmigung warten müssen“, sagt Philipp Hawlitzky, Wasserkraft-Experte in Reihen des LEE NRW. „Es wird Zeit, dass die Wasserbehörden die Bedeutung der Wasserkraft nun auch in den Verwaltungsprozessen angemessen berücksichtigen.“

Betroffen von solchen langwierigen Verfahren ist beispielsweise der Betreiber Hubert Verbeek. Er hatte im Jahr 2009 mit den ersten Planungen für ein Wasserkraftwerk mit 105 kW Leistung an der Urft in der Eifel-Gemeinde Schleiden-Gemünd begonnen. Trotz Unterstützung der Lokalpolitik musste der Investor dann bis 2020 über elf Jahre auf das grüne Licht des Kreises Euskirchen warten. Gegen diese Genehmigung klagte dann postwendend der Fischereiverband Westfalen Lippe. Hubert Verbeek: „Wann ich mit meinem Projekt endlich beginnen kann, steht nach wie vor in den Sternen. Dabei leistet die geplante Wasserkraftanlage nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, sondern verbessert durch den Fischaufstieg auch die ökologische Situation vor Ort. Zudem leistet sie einen wichtigen Beitrag für den Hochwasserschutz in der von der Hochwasserkatastrophe 2021 arg gebeutelten Gemeinde.“

Von der Landesregierung erwartet der LEE NRW entsprechend klare Weisungen an die Wasserbehörden zu erteilen und die vorhandenen Potenziale für die Wasserkraftnutzung endlich anzupacken. Von diesen Potenzialen gibt es reichlich im Land – und zwar:

 Das größte Potenzial liegt in der Modernisierung beziehungsweise im Repowering bestehender Standorte. Durch einfache Maßnahmen (z.B. Austausch von Getriebe oder Generator, Einbau einer intelligenten Steuerungstechnik) können die Stromerträge bestehender Anlagen kurzfristig durchschnittlich zwischen 20 bis 25 Prozent gesteigert werden.
 Ein weiteres Potential liegt im Neubau von Anlagen an bereits bestehenden Staustufen in den Gewässern; landesweit gibt es über 13.000 Querbauwerke. Mit den bestehenden 478 Anlagen wird nur an 3,7 Prozent der Querverbauungen in den Gewässern in NRW die Wasserkraft genutzt. Viele Querbauwerke können aus Gründen des Hochwasserschutzes oder der Gewässerregulierung nicht entfernt werden. Eine Nutzung dieser Wehre durch die Wasserkraft bei gleichzeitiger Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit bietet sich daher an.
 Zusätzliche Potenziale für die Wasserkraft gibt es an Talsperren. In NRW gibt es insgesamt 81 Talsperren, im bundesweiten Vergleich ist das der Spitzenwert. An nur 38 dieser Talsperren wird die Wasserkraft bislang genutzt. Das hat auch die neue Landesregierung erkannt und angekündigt, an möglichst allen bestehenden Talsperren die Kraft des Wassers für die Energieversorgung nutzbar zu machen. Auf Maßnahmen zur Umsetzung wartet der LEE NRW noch.

Der Wunsch von Philipp Hawlitzky vom LEE NRW, lautet deshalb: „Es wäre schön, wenn wir für die nächsten neun MW Zubauleistung nicht wieder zehn Jahren warten müssen.“

Über den Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V.

Als Dachverband der Erneuerbare-Energien-Branche in Nordrhein-Westfalen bündelt der LEE NRW die Interessen aus allen Bereichen der Energiewende. Zum Verband zählen mittelständische Unternehmen, Verbände und Bürger. Das gemeinsame Ziel: 100% Erneuerbare Energien bis 2045 – in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr. Dafür engagieren sich auch fünf LEE-Regionalverbände als kompetente Ansprechpartner vor Ort. Denn im Energieland Nr. 1 ist die Branche wichtiger Arbeitgeber für 46.000 Beschäftigte, die 2017 ein Umsatzvolumen von 10 Mrd. Euro erwirtschafteten.

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