Felix ist ein Wunschkind. Lange haben seine Eltern auf ihn warten müssen und erst durch eine künstliche Befruchtung wurde Sarah Bauer* nach zwei Fehlgeburten wieder schwanger. „Von Anfang an war ich darauf bedacht, dass die Schwangerschaft auf jeden Fall erhalten bleibt und war extrem vorsichtig bei allem“, erzählt sie. Familiäre Streitigkeiten machten die Situation der werdenden Mutter nicht leichter. Es folgte ein überstürzter Umzug in eine als ungeeignet empfundene Wohnung, verbunden mit dem Gefühl, dem Kind nicht wie erhofft ein schönes Nest bieten zu können.
Auch Felix‘ Start ins Leben war alles andere als bilderbuchhaft – während der schwierigen und langen Geburt wurden zwischenzeitlich seine Herztöne schlecht; nach der Geburt wurde bei dem Baby schnell eine Trinkschwäche diagnostiziert. Die Probleme schienen sich aufzuaddieren, als das Kind in den ersten Wochen kaum an Gewicht zunahm. „Felix wollte von Anfang an nicht richtig saugen“, sagt Sarah Bauer rückblickend. „Er hat immer den Kopf weggedreht. Am Ende habe ich ihn nur noch im abgedunkelten Raum gestillt, wenn er schlief. Ich fühlte mich auf die Ernährungsfunktion reduziert, ging nirgends mehr hin“ ergänzt sie. Eine Stillberatung habe zwar etwas geholfen – und trotzdem blieb das Gefühl, es insgesamt nicht alleine hinzubekommen. Sarah Bauer schildert die Situation zuhause mit dem ersehnten Baby „wie eine einzige große Krise“. In jedem Detail, das sie erzählt, spürt man die Anspannung, unter der sie auch jetzt noch – neuneinhalb Monate nach Felix‘ Geburt – steht.
„Mütter wie Frau Bauer machen sich selbst großen Druck, haben Versagensängste oder fühlen sich als schlechte Mutter“ weiß Univ.-Prof. Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie. Aufgrund der permanenten Überforderungssituation mit dem Säugling kann es, insbesondere wenn dauerhafter Schlafmangel dazu kommt, auch zu ablehnenden oder aggressiven Reaktionen der Eltern gegenüber ihrem Kind kommen. „Die Scham, für das Baby vermeintlich nicht gut zu sein, egal, was man auch versucht, ist insbesondere bei Müttern groß. In einer solchen Situation der gleichzeitig anhaltenden Erschöpfung und Dauerbeanspruchung wird eine behandlungsbedürftige Depression einer Mutter oft sehr lange nicht als solche erkannt – mit fatalen Folgen für Mutter und Kind“, so Romer. Die Mütter fühlen sich hilflos und diese Unsicherheit wirkt sich als Stressreaktion auf beiden Seiten aus. Ein Teufelskreis entsteht, mit der Gefahr, dass sich ein dauerhaft belastetes Eltern-Kind-Verhältnis über Jahre verfestigt und auch beim Kind zu psychischen Erkrankungen führt.
In dieser Situation steht Eltern – auch Väter können betroffen sein – ab Mai die Eltern-Baby-Tagesklinik am UKM zur Verfügung. Sie bietet zwölf Behandlungsplätze (sechs Eltern / sechs Kinder) für psychisch erkrankte Eltern mit Säuglingen und Kleinkinder im Alter von null bis drei Jahren.
„Unser Angebot richtet sich sowohl an Eltern, bei denen schon vor der Geburt eine psychische Erkrankung oder Belastung bestand, als auch an Eltern, bei denen die Geburt Auslöser für psychische Störungsbilder war“, sagt Univ.-Prof. Udo Dannlowski, Direktor der Sektion Transitionspsychiatrie der Klinik für Psychische Gesundheit. „Wir betrachten Mutter und Kind zusammen mit den Expert*innen der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in einem multiprofessionellen Team aus ärztlichen und psychologischen Kolleg*innen sowie Ergotherapeut*innen und Pflegenden. Postnatale Depressionen, aber auch jegliche andere postpartale psychische Belastung auf Seiten der Eltern sowie Regulationsstörungen beim Säugling werden gemeinschaftlich in den Blick genommen. Behutsam versuchen wir, schwierige Verhaltensmuster aufzulösen und verbessern langsam die Eltern-Kind-Interaktion“, erklärt Dannlowski.
Ob exzessives Schreien, Schlafstörungen oder Fütterprobleme: Betroffene Familien können sich mit allen in Zusammenhang mit der Geburt stehenden psychischen Belastungen sowie sich manifestierenden Bindungsstörungen im Umgang mit ihrem Kind zunächst an die gemeinsame Sprechstunde wenden. „Wir geben in dieser weichenstellenden Lebensphase für das Familienleben Unterstützung und wollen Wege aus der Krise aufzeigen“, so Romer und Dannlowski unisono.
Bei Sarah Bauer wurde nach dem Besuch der Sprechstunde eine mittlere depressive Episode in Folge der schwierigen Begleitumstände der Geburt und der Fütterungsstörung bei Felix diagnostiziert. Eine leichte Ernüchterung klingt immer noch mit, wenn sie sagt: „Ich hatte mir das Stillen immer so schön vorgestellt. Dass das alles so schwer sein kann, das sagt einem niemand, damit hätte ich nie gerechnet.“
Inzwischen steht die junge Mutter mit Felix auf der Warteliste für das neue Tagesklinikangebot, das ab Mai greift. Dann will sie mit ihrem Erstgeborenen den Weg hin zu einer gelingenden Familie neu beschreiten.
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