Die heutige Auftaktkonferenz zur deutschen Carbon Management Strategie stößt bei Bürgerinitiativen und den Umweltverbänden Greenpeace, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf Kritik. Mit dem Ausschluss von Bürgerinitiativen aus dem Verfahren und der de facto Vorfestlegung auf die CO2-Abscheidung und -Endlagerung (CCS) als vermeintlich alternativlos im Kampf gegen die Klimakrise droht die Politik ihre eigentliche Aufgabe aus dem Blick zu verlieren: echte und sofortige Emissionsminderungen.

Die Entscheidung für eine stark subventionierte CCS-Wirtschaft mit landesweiten Pipeline-Netzen, Terminals und CO2-Deponien in der Nordsee untergräbt den bestehenden gesellschaftlichen Konsens im Umgang mit der CCS-Technik. Dieser Konsens, der vor zehn Jahren nach Protesten und langen Auseinandersetzungen erreicht wurde, darf nicht in Frage gestellt werden. 

„Das Wirtschaftsministerium hat bereits Fakten geschaffen”, kritisieren die Organisationen übereinstimmend. „Der jetzt startende Prozess ist nicht ergebnisoffen und schließt wichtige gesellschaftliche Gruppen aus.” 

Der Weg Deutschlands zur Klimaneutralität erfordere einen breiten, transparenten und ergebnisoffenen Dialogprozess aller gesellschaftlichen Gruppen. Dazu gehöre die Debatte um den gesellschaftlichen Konflikt über die  CO2-Endlagerung. Der aktuelle, an Industrieinteressen ausgerichtete Vorschlag einer CO2-Managementstrategie, die unter Zeitdruck isoliert auf eine CO2-Entsorgungsinfrastruktur für die treibhausgasintensive Energie- und Schwerindustrie schielt, werde dem nicht gerecht.

Greenpeace Klimaexperte Karsten Smid kritisiert: „Mit der Verpressung und dauerhaften Deponierung von CO2 in tiefen Gesteinsschichten will die Bundesregierung eine gigantische CO2-Entsorgungsinfrastruktur aufbauen. Dabei kann niemand gewährleisten, dass das CO2 bei der Endlagerung auch dauerhaft im Untergrund verbleibt. Es würden neue systemische Risiken entstehen, die wieder einmal die nachfolgenden Generationen als Ewigkeitslasten tragen müssen.”

Kerstin Meyer, Expertin für Wirtschaftspolitik des BUND betont: Kunststoffe, Zement, Stahl, Düngemittel verursachen in der Herstellung hohe CO2-Emissionen. Um diese zu verringern, stehen diese Industrien vor einem umfassenden Umbau ihrer Produktion und treffen Entscheidungen für die nächsten Jahrzehnte. Die geplanten hohen staatlichen Subventionen für CCS-Anlagen sind daher eine fatale Weichenstellung. Sie verhindern den ökologischen Umbau unserer Wirtschaft. Der Gesamtverbrauch an Energie würde mit CCS sogar steigen. Eine Wirtschaft die auf CO2-Entsorgung baut, verlängert das fossile Zeitalter, befeuert den Rohstoffhunger und verschärft die Verschmutzungskrise. Der Hochlauf einer CCS-Wirtschaft wäre eine Entscheidung mit großer Tragweite, die gesellschaftlich diskutiert werden muss.”

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe ergänzt: „Momentan scheint sich ein großer Teil der Industrie darauf einzustellen, seine Emissionen schon bald einfach mittels CO2-Speicherung wegzaubern zu können. Die Speicherung von CO2 ist jedoch das allerletzte Mittel der Wahl, das erst nach Ausschöpfung aller Optionen zur Vermeidung schädlicher Treibhausgase überhaupt in Betracht gezogen werden darf. Die Strategie der Regierung darf deshalb keinesfalls auf eine Art Schützenhilfe für die Gaslobby hinauslaufen, mit der diese ihre fossilen Geschäftsmodelle künstlich am Leben hält. Bei Restemissionen, die sich wirklich nicht anderweitig vermeiden lassen, muss zunächst die Speicherung in renaturierten natürlichen Ökosystemen politisch und finanziell priorisiert werden, bevor über die Möglichkeit einer geologischen Speicherung nachgedacht wird.“

Karin Lüders von der Bürgerinitiative Kein CO2-Endlager e.V sagt: „Wir wissen: Die CO2-Abscheidung ist sehr Energie-aufwendig, ist immer unvollständig und verursacht einen großen Rohstoffverbrauch. CCS dient deshalb nicht dem Klimaschutz. Es ist ein Angriff auf die Lebensgrundlagen von Mensch und Umwelt. Eine CO2-Verpressung unter der Nordsee ist verantwortungslos und gefährdet das Weltnaturerbe Wattenmeer, denn von den dort über 15.000 vorhandenen Bohrlöchern sind viele nicht ordnungsgemäß verschlossen und damit undicht. Wenn dort CO2 austritt, wird es kaum bemerkt und ist nicht reparierbar. Wir fordern: Kein CO2-Endlager unter Land und unter der Nordsee.“

Christfried LenzBürgerEnergieAltmark eG: „Unser Protest hat schon 2015 erreicht, dass die in der Altmark von Gaz de France errichtete CO2-Verpressungsanlage rückgebaut wurde, ohne je in Betrieb gegangen zu sein. Sollte jemand die Frechheit besitzen, den abgestandenen CCS-Kaffee den Altmärkern erneut vorsetzen zu wollen, der wird daran keine Freude haben.”

Hintergrund: 
Bereits vor zehn Jahren versuchte die Energiewirtschaft, CCS an Kohlekraftwerken als vermeintliches Zukunftsmodell zu verkaufen. Vor allem in Norddeutschland fanden daraufhin große Proteste gegen den Einsatz der Technik statt.

Es gibt eine starke CCS-Lobby in Politik und Wirtschaft, die sich einseitig auf Fachveröffentlichungen der Industrie stützt. Ihre Annahmen über eine positive Klimawirkung von CCS sind  jedoch nicht belegt, der großtechnische Einsatz erst in einigen Jahrzehnten möglich und langfristige Probleme nicht auszuschließen. Auch der Weltklimarat weist deutlich auf die hohen Kosten und vor allem Risiken hin, die mit der CCS-Technik und den Endlagern einhergehen. Es besteht die Gefahr einer falschen Prioritätensetzung, die in einen fossilen lock-in führen, statt auf Vermeidungsstrategien und naturbasierte Lösungen zu setzen.

Die vom Wirtschaftsministerium postulierte vermeintliche Alternativlosigkeit der Nutzung des Untergrundes zur Endlagerung von CO2 zur Erreichung des Netto-Null-Ziels für Deutschland im Jahr 2045 ist nicht gegeben. Der Ausstieg aus den Fossilen muss Priorität haben. Das Potenzial natürlicher Senken, wie z.B. Wälder mit nachhaltiger Holzwirtschaft und andere naturbasierte Lösungsansätze, die Biodiversitätsschutz und Klimaschutz miteinander verbinden, dürfen nicht ausgeklammert werden. Dass ambitionierte Reduktionspfade in Deutschland möglich sind, hat das Umweltbundesamt in der 2019 erschienenen RESCUE-Studie  dargelegt. Klimaneutralität kann erreicht werden ohne Anwendung von CCS, bei starken Annahmen für den Ausbau von Erneuerbaren, Umbau der Wirtschaft und Verhaltens- und Lebensstiländerungen. 

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