„Justus Liebig hat in Gießen die Wissenschaft revolutioniert und sich dafür einen ganz neuen Typ von Labor selbst geschaffen. Sowohl das Labor als Modell als auch die Art zu forschen haben sich von hier aus international verbreitet." Prof. Dr. Angela Agostiano, Präsidentin-elect der European Chemical Society (EuChemS) brachte es am 29. März 2023 auf den Punkt, weshalb das Gießener Laboratorium als erster Ort in Deutschland mit dem „Historical Landmarks Award“ auf europäischer Ebene ausgezeichnet wurde. Sie enthüllte gemeinsam mit Prof. Dr. Gerd Hamscher, Vorsitzender der Justus Liebig-Gesellschaft Gießen (JLGG), eine Plakette, mit der das Laboratorium von Justus Liebig (1803-1873) in Gießen als historische Stätte der Chemie ausgezeichnet wurde.

Bei der feierlichen Verleihung betonten Vertreterinnen und Vertreter der EuChems, der JLGG und der Gesellschaft Deutscher Chemiker e. V. (GDCh) zusammen mit hochrangigen regionalen und internationalen Rednern die internationale Bedeutung des original erhaltenen Labors, in dem Justus Liebig von 1824 bis 1852 die Entwicklung der Chemie zur modernen Wissenschaft einleitete. „Hessen ist stolz auf diesen Spross unserer Heimat und dankt allen Verantwortlichen, die die Erinnerung an das Erbe von Justus Liebig an seiner Wirkungsstätte wachhalten“:  Regierungsvizepräsident Martin Rößler überbrachte die Grüße des verhinderten Ministerpräsidenten Boris Rhein und gratulierte für das Land Hessen zur Auszeichnung für dieses „Kleinod in Mittelhessen“. Auch Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher freute sich für das „Aushängeschild unserer Stadt“ und begrüßte das ehrenamtliche Engagement und die Zuversicht, „auch wenn wir nach dem Brand im Dezember erst einmal alle geschockt waren.“ Prof. Dr. Christoph Meinel, Vorsitzender der GDCh-Kommission „Historische Stätten der Chemie“ betonte die Bedeutung des Labors: „Das Gebäude war ein Knotenpunkt für die Chemie über alle Grenzen hinweg. Solche Erinnerungsorte sind wichtig für das kollektive Gedächtnis!“ Prof. Dr. Peter R. Schreiner, Inhaber des Liebig Chair der Justus-Liebig-Universität Gießen und stellvertretender Präsident der GDCh schlug den Bogen zur Gegenwart: „Justus Liebig wollte immer konkrete Probleme lösen. Mit seiner Arbeitsweise – Forschung und Lehre zu verbinden – hat er Wissenschaftler bis heute inspiriert und das ist sein größtes Vermächtnis, das man an diesem Ort erleben kann.“

Mit dem Historical Landmarks Award zeichnet die EuChems chemische Stätten aus, die eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des kulturellen Gefüges und der Geschichte Europas gespielt haben, um die Bedeutung der Chemie für die europäische Geschichte und das kulturelle Erbe zu würdigen. Das Liebig-Laboratorium wurde in Anerkennung seiner Rolle in der Geschichte der Chemie und des europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls zwischen Menschen und Ideen als erster Ort in Deutschland mit dem EuChemS Historical Landmarks Award ausgezeichnet.
In diesem 1818 errichteten Gebäude, das 1924 in ein Laboratorium umgewandelt und 1833 sowie 1838 durch Justus Liebig erweitert wurde, schrieb der Chemiker Wissenschaftsgeschichte, die unser tägliches Leben bis heute positiv beeinflusst.

Justus Liebig war ein wahrhaft internationaler und vielseitiger Forscher. Dies spiegelte sich in seiner wissenschaftlichen Praxis wider, die er in seinem Gießener Laboratorium verfolgte, etwa als Pionier, der die Anwendbarkeit der chemischen Analyse für ein tieferes Verständnis der Physiologie und der Landwirtschaft aufzeigte. Ebenso wichtig ist, dass seine Herangehensweise an das wissenschaftliche Forschen und die chemischen Wissenschaften das künftige Verständnis dieses Bereichs als Grundlagenwissenschaft innerhalb und außerhalb Europas geprägt hat. Darüber hinaus haben wir ihm auch so praktische Dinge wie den Silberspiegel oder das Backpulver zu verdanken. Seine Errungenschaften sind eng mit dem Gebäude verbunden, in dem Liebig die „Mutter aller Labore“ errichtete, in einem Hörsaal Vorlesungen mit Experimenten hielt und mit seinen Studenten und Doktoranden zusammen forschte.
2003 hatte die GDCh Liebigs Labor anlässlich seines 200. Geburtstages als „Historische Stätte der Chemie“ ausgezeichnet, die EuChemS-Plakette verdeutlicht nun die internationale Bedeutung. Die European Chemical Society, Dachorganisation von 49 europäischen chemischen Gesellschaften repräsentiert mehr als 120.000 Chemikerinnen und Chemiker aus 34 Ländern und verleiht den Preis „EuChemS Historical Landmark“ seit 2018. Die Nominierung erfolgte durch die GDCh und wurde von der Justus-Liebig-Universität und der Universitätsstadt Gießen unterstützt.

Auf der Plakette können sich Besucherinnen und Besucher über die Entdeckungen und Durchbrüche der Vergangenheit informieren. Darüber hinaus verbindet die Auszeichnung alle EuChemS-Denkmäler miteinander und schafft so ein Netzwerk von historisch bedeutsamen chemischen Stätten in ganz Europa. Dieses Netzwerk macht den geografischen Umfang und die Vielfalt der europäischen Wissenschaftslandschaft sichtbar und fördert sie innerhalb der chemischen Gemeinschaft und darüber hinaus. Es würdigt die Entdeckungen und Durchbrüche, die das Zugehörigkeitsgefühl der europäischen Chemiker stärken, und erinnert sie daran, dass in der Geschichte der Chemie sowohl Menschen als auch Ideen durch Begegnungen und Kommunikation über nationale Grenzen hinweg zirkuliert, geteilt und geformt wurden.

Gerd Hamscher, Professor für Lebensmittelchemie und Lebensmittelbiotechnologie an der Justus-Liebig-Universität und Vorsitzender der JLGG erklärte: „Zum ersten Mal wird dieser europäische Preis an eine historische Stätte der Chemie in Deutschland verliehen. Dies zeigt in beeindruckender Weise auch die hohe internationale Reputation des Liebig-Laboratoriums. Zugleich sind die Unterstützung und Verankerung des Liebigmuseums hier in der Region deutlich spürbar.“
Die Justus Liebig-Gesellschaft setzt sich dafür ein, dass der Standort von Liebigs Laboratorium der Bedeutung der dort erbrachten wissenschaftlichen Leistungen gerecht wird und gleichzeitig der historische und wissenschaftliche Kontext der Epoche, in der Liebig tätig war, erhalten bleibt. Das Gebäude wird seit 1920 bis heute als Museum für chemische Wissenschaften betrieben. Mit – vor der Pandemie – rund 8.000 Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt pro Jahr vermittelt das Museum der Öffentlichkeit die wichtige Botschaft von der Bedeutung der Chemie nicht nur als Naturwissenschaft, sondern in vielen Bereichen unserer Geschichte und Kultur. Das Museum tut dies nicht nur mit seinen Ausstellungen auf 370 qm, sondern auch mit Experimentalvorlesungen, die sich an die Jugend und die breite Öffentlichkeit richten.

Die EuChemS Historical Landmarks:
Die Ytterby-Mine, Schweden
Der ABEA Industriekomplex auf Kreta, Griechenland
Die Minen von Almaden, Spanien
Die Edessa Hanffabrik, Griechenland
Justus Liebigs Laboratorium in Gießen, Deutschland
Die Forschungsstation auf dem Jungfraujoch, Schweiz
Chemische Labore in Coimbra, Lissabon und Porto, Portugal

Mehr Informationen auf https://www.euchems.eu/awards/euchems-historical-landmarks/

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