Seit langem ist es der Klassiker im Milchsektor: Viel Arbeit und hohe Kosten fließen in die Milchproduktion ein, sie können aber von den Erzeugerpreisen nicht gedeckt werden. Besonders wurde die EU-Situation allerdings in 2022 durch rasant steigende Kosten beispielsweise im Energie-, Düngemittel- und Futterkostenbereich und parallel dazu ansteigende Erzeugerpreise, durch die es tatsächlich hier und da zu einer Kostendeckung für einige Erzeuger kam. Für viele Landwirte stiegen aber auch in dieser Zeit die Preise nicht über das Kostenniveau. 
 
Auch wenn teilweise Kostendeckung kurzzeitig bestand, haben Nachfragerückgang und steigende Anlieferungen bereits seit einigen Monaten wieder zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage geführt. Deutlich lässt sich das an dem aktuellen starken Rückgang der Erzeugerpreise im Milchsektor sehen.
 
Dies lediglich als den Beginn einer Marktkorrektur zu bezeichnen, wie es der EU-Agrarkommissar unlängst getan hat, blendet komplett aus, dass ein chronisches Defizit zwischen Preisen und Kosten nicht Marktnormalität sein darf.  

  • Nicht, wenn wir in der EU an einer sicheren Ernährungslage interessiert sind.
  • Nicht, wenn wir wollen, dass die Landwirte die Produktion nicht weiter in Scharen verlassen.
  • Nicht, wenn wir endlich wieder junge Menschen für die Erzeugung von Nahrungsmitteln gewinnen wollen. 

Doch das, wo es jetzt wieder hingeht und was die Milcherzeuger sehr gut kennen, ist ein Zurückkehren für alle zum Klassiker stark unterdeckte Kosten – nur jetzt liegen jene nicht mehr in den 40er-Centbereichen, sondern in vielen Ländern bereits um oder auch schon weit über 50 Cent/ kg Milch. 
Besonders stark zu spüren bekommen diese Entwicklung aktuell Länder wie Litauen und Lettland; weitere werden demnächst folgen. 
 
Der Vorsitzende des European Milk Board, Kjartan Poulsen, warnt davor, die Auswirkungen für das EU-Agrarsystem zu verharmlosen: „Wenn Preise weit unter das Produktionskosten-Niveau sinken, ist das keine Marktkorrektur, sondern Raubbau an unseren Landwirten und unserem Ernährungssystem.“
 
Leider signalisiert die EU-Kommission nicht, dass sie diese Entwicklung ernst nimmt. Trotz der Information aus Litauen, dass mehr als 10 Prozent der Erzeuger die Milchproduktion im Februar 2023 verlassen mussten, wurde eine Unterstützungsanfrage, die die beiden baltischen Länder zusammen mit Bulgarien an die EU gestellt hatten, pauschal abgelehnt. Und auch sonst wurde keine Veranlassung zum Verbessern der Sektorsituation gesehen. „Da muss man sich tatsächlich fragen: Ist dem EU-Kommissar die Ernährungssicherheit der EU wirklich wichtig? Denn es ist bedenklich, dass er dem Abgang von so vielen Landwirten aus dem sowieso schon maroden und überalterten Produktionssystem derart unbekümmert zusieht“, so Poulsen.
 
Die EU-Kommission solle nicht weiter den Fehler machen, das chronische Defizit im Milchsektor als gewünschte Normalsituation darzustellen. Es sei höchste Zeit, den Markt genau zu analysieren und alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das sich anbahnende starke Ungleichgewicht zu verhindern.
Zu diesen Hebeln gehört aktuell der EU-weite Einsatz eines freiwilligen Lieferverzichts und mittelfristig eine Reformierung der EU-Landwirtschaft hin zu einem sozial nachhaltigen System. Ein System, in dem angemessene Preise für ein angemessenes Einkommen der Landwirte sorgen, so dass sie die Produktion von Nahrungsmitteln weiterführen und die EU-Bürger auf ein sicheres und souveränes Ernährungssystem bauen können. 

Hintergrund:
So sieht ein sozial nachhaltiges System in der Landwirtschaft aus
 
Krisenvermeidung durch Einsatz des freiwilligen Lieferverzichts
 
Warum?
Als Instrument gegen Überschusskrisen hat sich der freiwillige Lieferverzicht bereits 2016/ 2017 in der EU gut bewährt. Im Gegensatz zur Intervention, bei der bereits verarbeitete Milchprodukte wie Magermilchpulver und Butter lediglich vorübergehend aus dem Markt in die Lagerung genommen werden, reduziert das freiwillige „weniger Produzieren“ tatsächlich das Milchvolumen am Markt. Dazu bietet die EU den Erzeugern einen Bonus für eine bestimmte Anzahl an weniger produzierten Litern Milch an. Gerade in der aktuellen Marktsituation, wo die Milchpreise wieder weit unter die gestiegenen Kosten zu fallen drohen, sollte der Einsatz des GMO-Instrumentes ernsthaft geprüft und die Maßnahme zeitnah geschaltet werden. Dazu sollte: 

  1. die EU-Kommission jetzt für die EU die Daten zum Nachfragerückgang, zu den Produktionssteigerungen und der Entwicklung der Erzeugerpreise sowie weiterer Preisindikatoren und zu Produktionskosten genau erheben und analysieren;
  2. nach dieser Analyse, wenn notwendig, den freiwilligen Lieferverzicht, der in der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) verankert und ein wichtiges Instrument in der EU-Toolbox ist, schalten und;
  3. des Weiteren einen Mechanismus erarbeiten, damit die Maßnahme in Zukunft automatisch auf EU-Ebene geschaltet wird, wenn die Marktlage es notwendig macht.

EU-Überschüsse sind sowohl problematisch für unsere EU-Erzeuger als auch für lokale Produzenten beispielsweise auf afrikanischen Märkten. Denn deren Milchproduktion wird dann mit billigem EU-Milchpulver verdrängt. 

Preise müssen über den Kosten der Produktion liegen
 
Warum?
Ob es die dahinschwindende Ernährungssicherheit in der EU aufgrund der schließenden landwirtschaftlichen Betriebe oder die Unfairness gegenüber den eigenen Landwirten ist. Jeder dieser Gründe ist allein schon wichtig genug, um endlich Bedingungen zu schaffen, in denen die Erzeugerpreise die Kosten der Produktion decken, um bestehenden, als auch neueinsteigenden LandwirtInnen die Nahrungsmittelproduktion (weiter) zu ermöglichen. Dazu sollte es EU-weit über eine Verordnung verpflichtend sein, Preise an die Erzeuger zu zahlen, die über den Produktionskosten liegen. Dies sollte für alle Landwirte und damit auch für jene gelten, die Mitglieder in Genossenschaften sind.Die jetzige Position der ErzeugerInnen am Markt erlaubt diese Kostendeckung nicht. Das haben auch die bisherigen, lückenhaften GMO-Vertragsartikel und auch die Möglichkeit zur Bündelung der Landwirte durch Erzeugerorganisationen noch nicht geändert.  

Die Faire Milch – Vorbild für einen ganzen Sektor
 
Warum?
Bei der Suche nach Marken, die den produzierenden Erzeugern einen angemessenen Preis zahlen, der ein faires Einkommen berücksichtigt, wird man in Europa nicht oft fündig. Daher haben die EMB-Produzenten mit der Fairen Milch eine eigene Marke gegründet, die dieser grundlegenden Bedingung gerecht wird. Mit dieser Marke erreichen wir bereits in Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und der Schweiz Verbraucher, denen eine faire Entlohnung ihrer Bäuerinnen und Bauern wichtig ist. Es ist ein Projekt, das allen ErzeugerInnen offensteht und mit dem sichtbar wird, dass in der Milcherzeugung faire Preise möglich sind. Diese Signalwirkung ist insbesondere auch wichtig, um die junge Generation wieder für die Milcherzeugung gewinnen zu können.  Doch im Vergleich zu den vielen Erzeugern, die weiter ohne faire Preise auskommen müssen, ist der Anteil, der aktuell von den Faire Milch Projekten erreicht werden kann, zu gering. Das Projekt kann und sollte ausgeweitet und seine Gemeinnützigkeit öffentlich anerkannt werden, denn zu fairen Bedingungen und fairen Milchprodukten sollten mehr Produzenten und Verbraucher Zugang haben.  

Wirklicher Einbezug der Erzeuger in Konzepterstellung und Umsetzung des Green Deals, inklusive Bereitstellen der richtigen Tools

Warum?
Aktuell werden Erzeuger an der Erstellung des Green Deals nicht beteiligt. Ihnen werden die Ziele lediglich diktiert und sie sollen mit ihrem ohnehin schon niedrigen Agrareinkommen die finanziellen Lasten dieser Strategien tragen. Das muss sich ändern. ErzeugerInnen müssen ins Zentrum der Agrarstrategien gesetzt werden und diese maßgeblich mitgestalten. Der Klimaschutz braucht die Bäuerinnen und Bauern.
Der Green Deal muss genutzt werden, um das aktuelle System zu einem sozial-nachhaltigen Modell zu reformieren. 

Starke horizontale Erzeugerorganisationen, die – ohne Ausnahme von Genossenschaften – Erzeuger für eine bessere Verhandlungsposition bündeln

Warum?
Starke Erzeugerorganisationen sind auch starke Verhandlungspartner, wenn es um das Aushandeln der Erzeugerpreise gegenüber den Molkereien geht. Stark kann so eine Organisation aber nur sein, wenn sie viele Erzeuger bündelt und mit mehreren Molkereien verhandelt, also horizontal ist. Sogenannte vertikale Erzeugergemeinschaften, die von einer Molkerei abhängen, können diese Stärke nie entwickeln. Die bisherige Position der Erzeugerorganisationen ist nicht ausreichend, daher sollte die Mitgliedschaft in solch einer Organisation politisch aktiv gefördert und insbesondere auch für Genossenschaftsmitglieder ermöglicht werden. 

Spiegelklauseln, die gewährleisten, dass importiere Lebens- und Futtermittel den Vorgaben in der EU entsprechen. Deren Befolgung muss zudem durch ausreichende Kontrollen und Sanktionen sichergestellt werden. 

Warum?
Wenn Waren importiert werden, die beispielsweise nicht unter den gleichen Umweltauflagen wie EU-Produkte produziert wurden, schaden sie gleich mehrmals. Zum einen können sie durch geringere Produktionskosten aufgrund der geringeren Umweltqualität die Produkte der EU-Erzeuger unterbieten und diese vom Markt drängen. Das geringe Kostenniveau motiviert zudem zum Auslagern der Produktion außerhalb der EU, was dort zu stärkerer Umweltbelastung führt. Und das für Waren, die in der EU konsumiert werden. 

Abhängigkeit von Importen und schädliche Billigexporte reduzieren, indem die Landwirtschaft aus Freihandelsabkommen herausgenommen wird. 

Warum?
In einer verantwortungsvollen EU-Handelspolitik darf das Dumping von Billigprodukten auf sensiblen Märkten keinen Platz mehr haben. Es zerstört die Lebens- und Einkommensgrundlage der Erzeuger in anderen Staaten. Wenn wir zudem weiter unsere Abhängigkeit von Importen vergrößern, verhindern wir wirkliche Ernährungssouveränität und -sicherheit in der EU, destabilisieren unsere eigenen Produktionsstrukturen und fördern umweltbelastende Transporte.

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