Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) der AOK Baden-Württemberg weist für Patientinnen und Patienten klare Vorteile im Vergleich zur Regelversorgung (RV) auf. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt (Main) und des Universitätsklinikums Heidelberg. Für die Jahre 2011 bis 2020 zeigen Hochrechnungen, dass bei 119.000 Diabetikern über 11.000 schwerwie-gende Komplikationen vermieden werden konnten. So wurden unter anderem rund 350 Fälle neu aufgetretener Erblindungen und circa 2.250 Schlaganfälle vermieden. Die in der HZV von 5.400 Ärztinnen und Ärzten betreuten 1,78 Millionen AOK-Versicherten erhalten insgesamt eine nachweislich intensivere und besser koordinierte Versorgung. Im Jahr 2020 gab es allein zwei Millionen Hausarztkontakte mehr und 1,9 Millionen unkoordinierte Facharztkontakte ohne Überweisung weniger. Die bessere Versorgungsqualität wird seit Jahren bei geringeren Kosten erreicht. Im Rahmen der heute (15.05.) in Berlin vorgestellten Evaluationsergebnisse betonen die Vertragspartner, die HZV und die angeschlossenen Facharztverträge konsequent weiterzuentwickeln.

Die Vertragsunterschrift am 8. Mai 2008 zum bundesweit ersten HZV-Vertrag war die Blaupause für viele weitere Verträge. Und sie steht in der ambulanten Versorgung für den wettbewerblichen Aufbruch in eine Selektivvertragswelt ohne Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Der Vollversorgungsvertrag der AOK Baden-Württemberg setzt bis heute qualitative Maßstäbe – nicht zuletzt auch deshalb, weil die HZV deutlich mehr Freiheitsgrade zur eigenverantwortlichen regionalen Versorgungsgestaltung ermöglicht. Dr.Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und MEDI GENO Deutschland erklärt: „Unsere Hausarzt- und Facharztverträge waren, sind und bleiben die bessere Alternative zur KV-Regelversorgung und Call-Center-Medizin. Die Zauberformel lautet Steuerung der Patientenversorgung. Das geht nur mit Selektivverträgen auf Vollversorgungsbasis. Der HZV-Vertrag war auch von Anfang an ausbaufähig angelegt, sowohl für die hausärztliche Behandlung als auch zur besseren ambu-lanten Versorgung durch ein strukturierteres Zusammenspiel von Haus- und Fachärzten.”

Für viele Kassen sei der Kollektivvertrag aber immer noch zu bequem. Die gesetzliche HZV-Kassenpflicht, die vorschreibt eine HZV anzubieten, reiche nach den Erfahrungen der Vertrags-partner nicht aus. Damit bundesweit deutlich mehr Patienten von den nachgewiesenen Vorteilen profitieren können, fordern sie deshalb, dass Vollversorgungsverträge von der Bundespolitik durch Anschubfinanzierungen und Bonifizierungen explizit gefördert werden müssen.

Von den Vorteilen der HZV seien viele eingeschriebene Versicherte überzeugt, so der Vorstands-chef der AOK Baden-Württemberg, Johannes Bauernfeind: „Wir sind insgesamt sehr zufrieden mit der Entwicklung der HZV. Bei unseren teilnehmenden Versicherten kommt sie gut an. Die koordinierte Versorgung durch den Hausarzt ist für 9 von 10 Versicherten der wichtigste Teil-nahmegrund.“ Regelmäßige Befragungen ergeben, dass rund 90 Prozent der Teilnehmenden die HZV weiterempfehlen und mehr als 90 Prozent sehr zufrieden mit dem Versorgungsangebot sind. „Dabei sind die jährlichen Kosten pro Patienten um rund 40 Euro niedriger als bei einem vergleich-baren Versicherten in der Regelversorgung”, so Bauernfeind weiter. Voraussetzung für erfolg-reiche Versorgungsstrukturen wie die HZV seien aber stabile Kassenfinanzen. Die könnten nur dann erreicht werden, wenn die Effizienzvorteile durch Selektivverträge dort verbleiben, wo sie erzielt werden.

„Besonders Menschen mit chronischen Erkrankungen profitieren von der HZV“, ordnet Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt/Main die aktuellen Evaluationsergebnisse ein: „Wir sehen zum Beispiel bei Diabetikern signifikant weniger schwerwiegende Komplikationen und sogar eine längere Lebenserwartung.” Mitverantwortlich dafür sei sehr wahrscheinlich die um rund 20 Prozent höhere Teilnahme an Disease-Management-Programmen (DMP), die in der HZV gezielt angereizt werde. Die Versorgung werde so strukturierter und kontinuierlicher, was bei chronischen Krankheiten besonders wichtig sei. Hinzu kommen sich gegenseitig verstärkende Steuerungsmaßnahmen, wie etwa die in der HZV etablierten Qualitätszirkel zur leitliniengerechten Pharmakotherapie oder die in der HZV gestärkte Rolle der Hausärztinnen und Hausärzte als Lotsen durch die Versorgungslandschaft. „Bemerkenswert ist außerdem, dass sich die Qualitätsschere zwischen HZV und Regelversorgung von Jahr zu Jahr mehr zugunsten der HZV öffnet. Und dies gilt auch unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie“, ergänzt Gerlach. So wurden in der aktuellen Evaluation bei 422.000 älteren Versicherten (ab 65 Jahre) in der HZV-Gruppe im Vergleich zur RV beindruckende Ergebnisse erzielt: Die Hochrechnungen im ersten Pandemiejahr 2020 ergaben über 35.000 Influenza-Impfungen mehr, rund 6.500 weniger Verordnungen potenziell inadäquater Medikamente und circa 195 vermiedene Krankenhausaufenthalte wegen Hüftgelenksfrakturen.

Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, Senior Professor und langjähriger Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg betont: „HZV-Patienten erhalten nachweislich eine intensivere und besser koordinierte Versorgung bei dauerhaft höherer Versorgungskontinuität. HZV-Praxen mit einer Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) schneiden sogar noch besser ab.“ In der HZV wurde seit Beginn besonders darauf fokussiert, dass das ganze Team in die Versorgung einbezogen wird. Im HZV-Vertrag der AOK Baden-Württemberg wurde deshalb seit Beginn die Weiterqualifikation von MFA zur VERAH im Praxisteam gefördert und vergütet. Inzwischen entlasten mehr als 2.300 VERAH die Ärztinnen und Ärzte. Ein weiterer Punkt, der untersucht wurde, ist die Versorgung durch immer mehr angestellte Ärztinnen und Ärzte. Zum Start der HZV im Jahr 2008 gab es im ambulanten Bereich rund 12.500 angestellte Ärztinnen und Ärzte, mittlerweile hat sich die Zahl vervierfacht. „Deshalb sind wir der Frage nachgegangen, ob und wie sich die Versorgungsqualität zwischen HZV-Praxen mit und ohne Angestellte unterscheidet”, so Szecsenyi. „Die Analyse wichtiger Indikatoren wie etwa vermeidbarer Krankenhausaufnahmen ergab, dass Patienten in HZV-Praxen mit angestellten Ärzten genauso gut versorgt werden wie in HZV-Praxen ohne.”

Für die Vertragspartner sind diese Ergebnisse von hoher Bedeutung, da sie zentrale strategische Entwicklungsstränge untermauern. Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, betont: „Die Hausarztpraxis muss der zentrale Ort der Versorgung bleiben. Mit dem HZV-Innovationsmotor setzen wir intensiv auf die Ausweitung von Delegation und die Entwicklung zur Hausarztpraxiszentrierten Versorgung.” Im Kernteam einer Teampraxis sollen dann neben Hausärzten, MFA und VERAH noch weitere akademisierte nicht ärztliche Gesundheitsfachberufe vertreten sein. Dazu zählen vor allem die akademisierte VERAH und Physician Assistants. Ab Juli fördern die Vertragspartner deren Ausbildung mit 300 Stipendien zu je 5.000 Euro und nach Abschluss auch die Bezahlung dieser Fachkräfte. Ein wichtiger und zeitgemäßer Schritt zur hausarztpraxiszentrierten Versorgung soll zudem durch die HZV-Einschrei-bung des Patienten in Praxen statt bei einzelnen Ärzten erfolgen. „Derart erweiterte HZV-Praxen sind leistungsstärker, flexibler und attraktiver für Mitarbeitende. Und sie können deutlich mehr Patienten betreuen. Das ist ein eminent wichtiger Beitrag, um auch zukünftig landesweit eine hochwertige Primärversorgung anbieten zu können”, so Buhlinger-Göpfarth.

Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung sind Maßnahmen in HZV-Praxen zur Bewältigung der vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Künftig häufiger auftretende Hitzeperioden stellen gerade für ältere und chronisch kranke Menschen ein besonderes Gesundheitsrisiko dar. Diese Gruppen machen über 60 Prozent der HZV-Teilnehmer aus. Die Vertragspartner setzen darauf, die Gesundheits- und Klimakompetenz von Risikogruppen durch die jeweils behandelnde Praxis strukturiert zu stärken. „Bei entsprechenden Angeboten, etwa in Form einer klimaresilienten Beratung oder der Schulung der Mitarbeitenden, erhalten HZV-Praxen ab diesem Jahr erstmals einen Honorarzuschlag“, betont Johannes Bauernfeind.

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Die AOK Baden-Württemberg versichert über 4,5 Millionen Menschen im Land und verfügt über ein Haushaltsvolumen von über 20 Milliarden Euro.

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