Erklärtes Ziel der EU-Kommission ist es, den Zugang zu innovativen Arzneimitteln EU-weit auf nationaler Ebene zu verbessern. Derzeit gebe es hier einerseits zum Teil noch erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, heißt es im Reformvorschlag. Darüber hinaus orientiere sich die Arzneimittelentwicklung bislang nur bedingt am tatsächlichen Bedarf. Letzteres deckt sich nach Ansicht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Versorgungsperspektive, wonach ein neues Arzneimittel dann innovativ ist, wenn es die Versorgung verbessert – den Patientinnen und Patienten also einen Mehrwert gegenüber den bislang vorhandenen Therapieoptionen bietet.

Das IQWiG erinnert in seiner Stellungnahme daran, dass auch die im Januar 2022 in Kraft getretene EU-Verordnung zur europäischen Nutzenbewertung (HTA-Regulation) die Verfügbarkeit von Arzneimitteln mit Mehrwert („Zusatznutzen“) auf nationaler Ebene verbessern soll. „An ein neues EU-Arzneimittelrecht muss daher auch die Anforderung gestellt werden, eine Arzneimittelentwicklung zu fördern und zu fordern, die die Fragestellungen der nationalen Gesundheitssysteme nach dem Zusatznutzen beantwortet und nicht allein eine Zulassung auf europäischer Ebene ermöglicht“, fordert das Institut. Diesem Anspruch werde der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag zur Revision des EU-Arzneimittelrechts nicht ausreichend gerecht, auch wenn einzelne gute Ansätze erkennbar seien.

So begrüßt das IQWiG den Vorschlag, die Dauer der Marktexklusivität eines neuen Arzneimittels auch von der Qualität der vorgelegten Evidenz abhängig zu machen. Der für die Durchführung vergleichender Studien vorgesehene Verlängerungszeitraum von sechs Monaten habe aber ein deutlich zu geringes Gewicht. Aus Sicht des IQWiG ist es erforderlich, diesen Zeitraum auf zwei Jahre auszuweiten und dafür im Gegenzug den derzeit vorgesehenen neuen Basiszeitraum des Patentschutzes von sechs Jahren entsprechend zu verkürzen.

Nach dem Willen der EU-Kommission sollen vergleichende Studien nur dann zu einer Verlängerung der Marktexklusivität führen, wenn sie mit einem evidenzbasierten Komparator durchgeführt werden. Dies ist ganz im Sinne des IQWiG. Allerdings kritisiert das Institut das geplante Verfahren zur Festlegung eines solchen evidenzbasierten Vergleichspräparats. Der Knackpunkt: Bislang ist nicht geplant, die nationalen HTA-Agenturen dabei einzubinden. „Es ist aber gerade die Kompetenz und Aufgabe der HTA-Institutionen, die Angemessenheit von Komparatoren für direkt vergleichende Studien zu beurteilen“, sagt Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG – und fordert, dass die HTA-Agenturen mitberaten und auch mitentscheiden dürfen, welche Komparatoren festgelegt werden.

Auf die Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie zurückgreifen

„Auch zukünftig wird es nur durch hochwertige Evidenz möglich sein, echte Fortschritte bei der Arzneimitteltherapie zu identifizieren“, heißt es in der IQWiG-Stellungnahme weiter: „Nur dann kann es auf europäischer Ebene gelingen, diejenigen Arzneimittelinnovationen, die einen echten Fortschritt in der Therapie darstellen, zeitlich oder monetär bevorzugt in den nationalen Gesundheitssystemen zu verankern, also eines der wesentlichen Ziele der Revision des EU-Arzneimittelrechts zu erreichen.“ Gegenstand einer Revision des EU-Arzneimittelrechts müsse es daher auch sein, neben der Incentivierung im Falle einer Generierung hochwertiger Evidenz auch die Hürden zur Generierung solcher Evidenz abzubauen.

Dabei kann man Einschätzung des IQWiG auf die Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie zurückgreifen. Wichtige Fortschritte im Arzneimittelbereich seien hier durch pragmatische randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit kurzer Vorbereitungszeit erreicht worden. Dazu gehörten nicht nur die großen Phase-III-Studien zur Impfstoffentwicklung, sondern auch Plattformstudien, in denen mehrere Therapieoptionen verglichen wurden. Das IQWIG verweist dabei unter anderem auf die in Großbritannien durchgeführte RECOVERY-Studie, die bereits in einer frühen Phase der Pandemie einen Überlebensvorteil durch die Anwendung von Dexamethason bei schwer erkrankten Patientinnen und Patienten nachgewiesen habe.

Anreize für vergleichende Studien und EU-weiten Marktzugang auch bei Orphan Drugs setzen

Das IQWiG spricht sich in seiner Stellungnahme zudem dafür aus, auch bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen („Orphan Drugs“) hochwertige Evidenz und den EU-weiten Marktzugang zu incentivieren. Die Tatsache, dass für etwa die Hälfte der Orphan Drugs kein Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Standardtherapie nachgewiesen ist, beruhe in den meisten Fällen darauf, dass keine adäquaten vergleichenden Daten vorliegen. Hier gelte es zum einen, Anreize für die Durchführung vergleichender Studien zu setzen. Zum anderen sei es aber gerade für seltene Erkrankungen notwendig, dass eine EU-weite exzellente Forschungs- und Dateninfrastruktur bereitgestellt werde. An dieser Stelle bleiben die bisherigen Vorschläge zum European Health Data Space (EHDS) und dem damit verbundenen DARWIN-System hinter den Möglichkeiten zurück, weil interventionelle Studien in diesen Strukturen nicht vorgesehen sind. „Die Revision des EU-Arzneimittelrechts bietet die Chance, in der EU-Forschungslandschaft gegenzusteuern und zukünftig exzellente Forschung zu ermöglichen. Diese Möglichkeit muss dringend genutzt werden, um nicht den Anschluss zu verlieren – auch auf regulatorischer Ebene“, so IQWiG-Leiter Thomas Kaiser.

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