Fünf konkrete Kritikpunkte führt die DIVI auf – um direkt Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgung von Notfallpatienten zu geben. Kritisiert wird unter anderem, dass die Ersteinschätzungs-Richtlinie auf die Entlastung der Notaufnahmen durch eine Patientensteuerung in den ambulanten Versorgungssektor der kassenärztlichen Vereinigung (KV) fokussiert, einen bekanntlich ebenfalls überlasteten Sektor, sowie Patienten nach Arbeits- oder Wegeunfällen, Privatpatienten und Selbstzahler – rund ein Viertel der Notfallpatienten – ausklammert.
Verbesserungspotenzial der Ersteinschätzungs-Richtlinie ist hoch
Auch dass der G-BA-Beschluss vorsieht, die Ersteinschätzung in der Notaufnahme ab 2027 nur noch durch examiniertes Pflegepersonal mit Zusatzqualifikation Notfallpflege oder durch Notfallsanitäter durchführen zu lassen, steht für die DIVI im Gegensatz zu bisher gelebten und wissenschaftlich gut validierten Konzepten. „Grundsätzlich begrüßen wir die Forderung, für die Notfallversorgung rund um die Uhr qualifiziertes Pflegepersonal mit der Zusatzqualifikation Notfallpflege vorzuhalten“, sagt Dr. Bernadett Erdmann, Sprecherin der DIVI-Sektion Notfalldokumentation. Die Chefärztin der Notaufnahme im Klinikum Wolfsburg ist jedoch skeptisch, ob selbst nach Ende der Übergangsfristen eine ausreichend hohe Anzahl qualifizierter Fachkräfte verfügbar ist.
„Und selbst wenn, dann brauchen wir diese hochqualifizierten Mitarbeiter vor allem zur Versorgung am Patienten und nicht gefangen in administrativen Prozessen“, spricht Prof. Dr. Martin Möckel als Mitglied der DIVI-Sektion Strukturen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin aus, was dem ärztlichen Leiter der Notfall- und Akutmedizin der Zentralen Notaufnahmen der Charité Mitte und des Virchow Klinikums in Berlin als Reaktion auf den G-BA-Beschluss zugetragen wird. „Deutliche Irritation, erhebliche Kritik und Kopfschütteln“, fassen Erdmann und Möckel zusammen.
Sonderregelung für Vorhaltung eines Facharztes gefordert
Die Ersteinschätzungs-Richtlinie sieht ebenfalls vor, dass bei Unklarheiten der Patientensteuerung in den ambulanten Sektor ein Facharzt mit Zusatzqualifikation Klinische Akut- und Notfallmedizin jederzeit verfügbar sein muss, um die Weiterleitung zu veranlassen und zu dokumentieren. Dies könne vielerorts nicht umgesetzt werden, ist die DIVI überzeugt.
„Wir schlagen deshalb vor, dass sich die Vorhaltung eines Facharztes mit Zusatzqualifikation Klinische Akut- und Notfallmedizin nicht an der Vorgabe zur Weiterleitung nicht dringlicher Patienten in den KV-Versorgungssektor orientiert, sondern an den G-BA-Vorgaben zum gestuften System an Notfallstrukturen in Krankenhäusern bemessen wird“, erklärt Dr. Torben Brod, Sprecher der DIVI-Sektion Strukturen in der Klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme der Medizinischen Hochschule Hannover. „Auch das Thema der Vergütung dieser fachärztlichen Begutachtung, die vielfach einer Erstbehandlung gleichkommt, bedarf eine dringenden Regelung“ merkt Brod an.
Erheblicher administrativer Mehraufwand ohne erkennbaren Benefit
Zusammenfassend werden die Notaufnahmen in Deutschland durch die vorgelegte G-BA-Richtlinie nach Meinung der DIVI mit einem zusätzlichen, nicht abschätzbaren administrativen Mehraufwand belastet. „Es ist weder ein klarer Mehrwert noch eine mögliche Verbesserung der Akutversorgung oder eine bedarfsgerechte Steuerung von Notfallpatienten erkennbar“, bringt es DIVI-Präsident Walcher auf den Punkt.
Da die Richtlinie des G-BA nach Nichtbeanstandung des Bundesministeriums für Gesundheit und anschließender Veröffentlichung im Bundesanzeiger sofort in Kraft tritt, setzt die DIVI jetzt auf Gesundheitsminister Lauterbach sowie die Gesundheitsminister der Länder: „Wir fordern die umgehende Aussetzung des aktuellen Verfahrens und eine Überarbeitung des G-BA-Beschlusses vom 06.07.2023!“
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