Eine Modifizierung und Verlängerung der Strompreisbremse bis maximal 2030 könnte ein wichtiger Beitrag sein, um zu verhindern, dass die deutsche Wirtschaft schwere Schäden erleidet und um den notwendigen Umstieg auf klimafreundliche Produktionsweisen abzusichern. Eine solche Maßnahme wäre eine Alternative zu dem vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagenen Brückenstrompreis und „ein zentraler Baustein einer übergreifenden wirtschaftspolitischen Stärkung der deutschen Wirtschaft“, schreibt Prof. Dr. Tom Krebs von der Universität Mannheim, der das neue Konzept entwickelt hat. Eine klug auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnittene, zeitlich begrenzte und an Bedingungen gekoppelte verlängerte Strompreisbremse setzt Anreize für Unternehmen, in einer schwierigen Übergangsphase mit krisenbedingt übersteigerten Energiepreisen die notwendigen Investitionen in strombasierte Produktionsanlagen rasch zu tätigen. Gleichzeitig bietet sie den Privathaushalten eine wichtige „Rückversicherung“ gegen eine erneute Explosion der Strompreise, die aktuell zwar unwahrscheinlich, aber möglich ist. Drittens kann sie helfen, zentrale medizinische und soziale Infrastruktur wie Krankenhäuser und Pflegeheime zu stärken. Zu diesem Ergebnis kommt Krebs´ neue Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und heute in der Bundespressekonferenz vorgestellt wird.*

„Die Bundesregierung muss jetzt die wirtschaftspolitischen Weichen stellen, um eine langjährige Stagnationsphase zu vermeiden. Dazu müssen die wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise abgefedert und die transformativen Investitionen gestärkt werden“, umreißt der Ökonom die aktuelle Herausforderung. Deren Tragweite hat Krebs in seiner Studie ebenfalls berechnet: Der kurzfristige Produktionsverlust durch die Energiekrise beträgt bislang rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem sind die Reallöhne stärker gefallen als in jeder anderen Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte. Darüber hinaus drohen langfristige wirtschaftliche Schäden, die sich bis Ende 2024 auf rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 390 Milliarden Euro belaufen (mehr unten).

Um gegenzusteuern, schlägt Krebs im Kontext der Diskussion um Brücken- oder Transformationsstrompreise ein passgenaues Konzept mit vier zentralen Elementen vor:

• Verlängerung der Strompreisbremse, perspektivisch bis 2030 bei zwischenzeitlicher Evaluation.

• Modifikation I: Garantierter Nettopreis von 10 Cent pro Kilowattstunde (kwh, netto bedeutet ohne Netzentgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen) für Stromkunden mit einem Jahresverbrauch über 30.000 kWh (meist kleine und mittlere Unternehmen) sowie ein garantierter Bruttostrompreis von 35 Cent/kWh für Stromkunden mit einem Jahresverbrauch unter 30.000 kWh (meist Privathaushalte und Kleingewerbe).

• Modifikation II: Garantierter Nettopreis von 6 Cent/kWh für energieintensive Unternehmen, wenn diese eine Transformationsverpflichtung eingehen und eine Standort- und Beschäftigungsgarantie abgeben. Eine Sonderregelung im Energie-Einspeisegesetz umfasst aktuell rund 2000 energieintensive Unternehmen in Deutschland, die dafür in Frage kämen. Neben klassischen Grundstoffbranchen wie Baustoffe, Chemie, Glas, Nichteisen-Metallen, Papier und Stahl, die wichtige Vorprodukte für weitere Branchen erzeugen, nennt Krebs die Wasserstoffelektrolyse, Batterieproduktion und Chipherstellung. Denn: Diese energieintensive Produktion sei „zentral für die erfolgreiche Dekarbonisierung der Wirtschaft“.

• Modifikation III: Zusätzliche Reduktion des Nettostrompreises um 1 Cent/kWh für Unternehmen mit Tarifbindung. Dieser Zusatzbonus kann nach Krebs´ Überlegung einen wichtigen Beitrag leisten, die starken Reallohnverluste, die Beschäftigte durch den Inflationsschub 2022/2023 erlitten haben, längerfristig wieder auszugleichen. Er steht im Einklang mit dem Ansatz der EU-Kommission, die Tarifbindung zu stärken. Ähnliche Regelungen finden sich im Inflation Reduction Act der US-Regierung.

„Die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist keine Dauersubvention“, betont der Ökonomieprofessor. Berechnungen auf Basis der Stromgestehungskosten ergeben nach Krebs´ Analyse einen langfristigen Strompreis zwischen 5 Cent/kWh und 8 Cent/kWh. Damit könne die deutsche Wirtschaft arbeiten. Der aktuelle Börsenstrompreis übersteige aber krisenbedingt diesen langfristigen Wert deutlich, „und es wird voraussichtlich noch einige Zeit dauern, bis der Strompreis auf sein langfristiges Gleichgewichtsniveau gefallen ist“, schreibt Krebs. „Die hier vorgeschlagene Strompreisbremse soll Planungssicherheit für diese Übergangsphase schaffen.“ Insbesondere mit Blick auf die energieintensive Wirtschaft sei das Modell weitaus wirksamer als eine allgemeine Absenkung der Stromsteuer, „die energieintensive Unternehmen nicht entlasten würde“.

In der konkreten Ausgestaltung hält es Krebs für sinnvoll, dass sich die modifizierte Strompreisbremse am aktuellen Stromverbrauch, und nicht am vergangenen Stromverbrauch, orientiert. Nur so setze die Strompreisbremse Anreize für Unternehmen, in strombasierte und somit klimafreundliche Anlagen zu investieren. Zudem ist die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) angeregte Idee, geförderten Unternehmen die Differenz zwischen durchschnittlichem Marktpreis und dem durch die Bremse garantierten Preis auszuzahlen, nach Krebs´ Analyse vernünftig. Denn nur so bleibe der Anreiz erhalten, Strom möglichst kostengünstig zu beziehen.

Die aktuelle Strompreisbreme gewährt Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen dieselben Konditionen wie der Industrie. Darüber hinaus gibt es für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen besondere Hilfsfonds, um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Dazu hat der Bund bisher acht Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Diese Maßnahmen sollen in Krebs´ Konzept verlängert und der Hilfsfonds entsprechend aufgestockt werden, um die gesundheitliche Versorgung in Deutschland zu gewährleisten.

-Finanzierung aus WSF angemessen und finanziell kein Problem-

„Die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist eine Maßnahme zur Bekämpfung von Krisenfolgen, die gleichzeitig eine Brücke zur klimaneutralen Zukunft schlägt“, fasst der Ökonomieprofessor den doppelten Nutzen des Instruments zusammen. Den finanziellen Aufwand kalkuliert Krebs auf insgesamt 20 bis 60 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2030, je nachdem wie hoch die Marktpreise für Strom sein werden.

Finanziert werden sollte die modifizierte Preisbremse aus Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der bereits zur Finanzierung der aktuellen Gas- und Strompreisbremsen verwendet wird, so Krebs. Das sei bei aktuell rund 140 Milliarden Euro Volumen im WSF gut machbar, und es sei gerechtfertigt, weil es sich um eine zeitlich befristete Maßnahme zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise handelt. Indem sie nicht nur private Haushalte und Unternehmen entlaste, sondern auch die Wirtschaft stabilisiere und Arbeitsplätze schütze, „erfüllt die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse genau den ursprünglichen Zwecks des WSF“, betont Krebs. Das sei wichtig, wenn es zu einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht komme und auch mit Blick auf EU-Beihilferegeln. Krebs geht davon aus, dass das vorgeschlagene Instrument mit den EU-Vorgaben vereinbar gestaltet werden kann. Um es für Unternehmen aber handhabbarer und wirkungsvoller zu machen als die aktuell gültige Version der Strompreisbremse, sollte es dabei „unbürokratischer und großzügiger“ als diese wirken.

Mittelfristig rechnet Krebs mit einer Normalisierung der Strompreise. Wichtige Voraussetzung sei der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien und die Umsetzung der bereits angekündigten Reform des EU-Strommarktdesigns. Integraler Bestandteil einer solchen Reform ist für Krebs die staatliche Absicherung langfristiger Preisrisiken über zweiseitige Differenzverträge (CfD) für die Produzenten erneuerbaren Stroms. Diese Maßnahme könne zügig umgesetzt werden, indem die staatlichen Auktionen für den Bau von Windkraft- oder Photovoltaikanlagen leicht modifiziert werden: Die Auktion legt nicht nur einen Mindestpreis für produzierten Strom fest, wie es zurzeit der Fall ist, sondern auch einen Höchststrompreis.

-Gegensteuern, um langfristige Wachstumsschwäche zu verhindern-

Die Bundesregierung habe beim Management der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im vergangenen Jahr vieles richtig gemacht, betont Krebs. Wenn sie in der aktuellen Übergangsphase hoher Unsicherheit aber auf eine adäquate Fortsetzung der Stabilisierungspolitik verzichte, drohe „ein wirtschaftspolitisches Debakel“, warnt der Ökonom. Dabei gehe es keineswegs darum, überkommene Strukturen und Techniken zu konservieren, sondern im Gegenteil zu verhindern, dass anstehende oder bereits eingeleitete Transformationsprozesse abgebrochen werden. „Eine energiepolitische Schocktherapie in Kombination mit einer Transformationspolitik, die der Größe der Herausforderung nicht gerecht wird, könnte zu einer wirtschaftlich verlorenen Dekade in Deutschland führen, weil Unternehmen mit an sich tragfähigem Geschäftsmodell die Produktion einstellen oder ins (nicht-europäische) Ausland verlegen“, schreibt der Ökonom.

Die aktuelle Wachstumsschwäche als direkte Folge der Schocks im vergangenen Jahr könne sich zu einer so genannten „Hysterese“ auswachsen – einem chronischen Zustand, in dem das Wachstum dauerhaft hinter dem Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft zurückbleibt. Etwa, weil Unternehmen auf Investitionen verzichten oder Qualifikationen von Beschäftigten durch Arbeitslosigkeit entwertet werden. So habe die amerikanische Wirtschaft noch knapp 10 Jahre nach der internationalen Finanzkrise von 2008 unter Hysterese-Effekten gelitten, weil die Politik nicht mit den richtigen Mitteln und im notwendigen Umfang gegengesteuert habe.

Der langfristige Schaden einer chronischen Wachstumsschwäche sei kaum abzuschätzen. Aber schon die aktuell drohenden Verluste rechtfertigten einen hohen Aufwand, analysiert Krebs. Um deren Ausmaß zu verstehen, sei die aktuelle Wirtschaftsentwicklung – auf den ersten Blick eine eher leichte Rezession – kein guter Indikator. Aussagekräftiger ist es laut Krebs, wenn man das vor der Energiekrise für 2022 und 2023 prognostizierte Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit der tatsächlichen Entwicklung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vergleicht.

Dabei zeigt sich, dass der BIP-Verlust im Einjahreszeitraum zwischen dem 2. Quartal 2022 und dem 1. Quartal 2023 gut 4 Prozent betragen hat. Im gleichen Zeitraum erlitten die Beschäftigten durch die hohe Inflation die höchsten Reallohnverluste seit Beginn der Statistik 1950. Aktuelle Konjunkturanalysen deuten darauf hin, dass die entsprechenden Produktionsverluste weder in der zweiten Hälfte 2023 noch in 2024 durch entsprechend starkes Wachstum kompensiert werden können. Bleibe es dabei, würden sich die Gesamtkosten der Energiekrise allein bis Ende 2024 auf rund 390 Milliarden Euro belaufen, kalkuliert Krebs. Und unterstreicht: „Die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist ein wichtiger wirtschaftspolitischer Baustein, um ein solches Negativ-Szenario zu verhindern.“       

*Tom Krebs: Ökonomische Analyse einer Verlängerung und Modifizierung der Strompreisbremse. Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 305, September 2023. Download: https://www.boeckler.de/…

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