Patientinnen und Patienten in Deutschland bekommen häufig für sie ungeeignete Schmerzmittel verordnet. Das geht aus dem Arzneimittelreport 2023 der BARMER hervor, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Er untersucht die medikamentöse Schmerztherapie von ambulant behandelten BARMER-Versicherten ab 18 Jahren ohne Tumorerkrankung. Demnach erhielten hochgerechnet rund 17,1 Millionen gesetzlich Versicherte im Jahr 2021 eine medikamentöse Schmerztherapie. Allerdings bekamen rund 526.000 Versicherte trotz Herzinsuffizienz nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac verschrieben. Dabei raten medizinische Leitlinien davon ab, da auch ein nur kurzer Einsatz die Leistung des Herzens deutlich verschlechtern kann. Dadurch können die Zahl der Krankenhausaufenthalte und das Sterberisiko steigen. „Gerade die Kombination vermeintlich harmloser Schmerzmittel kann fatale Folgen haben. Die meist durch mehrere Ärztinnen und Ärzte verordnete Therapie ist ohne digitale Unterstützung kaum mehr überschaubar“, sagte Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER. Er forderte den konsequenten und verbindlichen Einsatz digitaler Helfer in der Arzneimittel-Versorgung, um den Überblick über die Gesamtmedikation und alle Neben- und Wechselwirkungen zu behalten. Das sei zwingend erforderlich, da es eine nebenwirkungsfreie Schmerzmitteltherapie bislang nicht gebe. Zudem seien Schmerzmittel wie Ibuprofen, Diclofenac und Co. auch rezeptfrei erhältlich.

Therapie mit starken Schmerzmitteln in drei von zehn Fällen fehlerhaft

Wie aus dem Arzneimittelreport der BARMER hervorgeht, gibt es auch bei der Opioidtherapie tausender Patienten vermeidbare Fehler beim Einsatz von Medikamenten. „Demnach bekamen im Jahr 2021 hochgerechnet rund 2,7 Millionen gesetzlich Versicherte ohne Tumorerkrankung in Deutschland ein Opioid, also ein sehr starkes Schmerzmittel wie Morphinvarianten, verschrieben. Doch drei von zehn Betroffenen erhielten parallel dazu kein Abführmittel, wie es medizinische Leitlinien vorsehen. Dadurch verfünffacht sich das Risiko für einen Darmverschluss. Fünf von 10.000 Patienten mit einer sogenannten Opioidtherapie müssen jedes Jahr wegen dieser Komplikation ins Krankenhaus. Dies wäre vermeidbar, wenn Abführmittel bereits vorsorglich verordnet und eingenommen würden“, sagte Studienautor Prof. Dr. med. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken. Beim Einsatz von sehr starken Schmerzmitteln gebe es weitere Risiken. So sollten Opioide nicht zusammen mit Beruhigungsmitteln, sogenannten Tranquilizern, angewendet werden, weil die Gefahr schwerer Nebenwirkungen bis hin zu vermehrten Todesfällen drohe. Dennoch habe rund jeder zehnte, beziehungsweise 40.100 BARMER-Versicherte, mit einer Opioidverordnung entgegen der Leitlinienempfehlungen zugleich ein Beruhigungsmittel erhalten. Hier würden Patienten vermeidbar gefährdet.

Riskante Medikamenten-Kombinationen gerade bei Älteren

Den Ergebnissen des Arzneimittelreports zufolge, beruhend auf Analysen von Dr. Veronika Lappe von der PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln, kommt es auch bei der Verordnung von Metamizol, einem Mittel gegen Schmerzen, Fieber und Koliken, immer wieder zu riskanten Konstellationen. Im Jahr 2021 haben rund 959.000 erwachsene BARMER-Versicherte Metamizol verschrieben bekommen. Das Medikament kann in Einzelfällen schwerste Schädigungen der blutbildenden Zellen verursachen. Vervielfacht wird dieses Risiko insbesondere bei den über 80-Jährigen, wenn sie neben Metamizol noch ein Medikament zur Behandlung von Entzündungen und Krebs erhalten, nämlich Methotrexat. Obwohl die gleichzeitige Medikamentenvergabe zumindest für diese Altersgruppe als No-Go gilt, erhielten 1,1 Prozent beziehungsweise 10.100 der mit Metamizol behandelten BARMER-Versicherten gleichzeitig beide Präparate verordnet, wobei 22,4 Prozent dieser Versicherten 80 Jahre und älter waren. „Das Schmerzmittel Metamizol wird zu unkritisch eingesetzt. Gerade zur Vermeidung nicht zu empfehlender Verordnungen und besonders gefährlicher Kombinationen kann digitale Unterstützung, wie das Innovationsfondsprojekt AdAM gezeigt hat, eine wirksame Hilfe sein“, sagte Grandt. Bei AdAM erhielten die Hausärztin oder der Hausarzt nicht nur Informationen zur medizinischen Vorgeschichte ihrer Patienten, sondern auch Hinweise auf vermeidbare Risiken der Arzneimitteltherapie wie Wechselwirkungen. Wenn es in die Regelversorgung komme, könne AdAM jedes Jahr bis zu 70.000 Menschen das Leben retten.

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