Landesweit werden so gut wie keine neuen Wasserkraftwerke mehr genehmigt und gebaut. Für den Landesverband Erneuerbare Energien NRW eine höchst bedenkliche Entwicklung.

Der Ausbau der Wasserkraft in Nordrhein-Westfalen ist zum Erliegen gekommen. Für dieses Jahr weist das Marktstammdatenregister bislang nur zwei kleinere Neubauprojekte mit zusammen 750 Kilowatt Leistung im Land aus*. Und nicht nur das: Bis Ende des dritten Quartals hat es nicht eine einzige Genehmigung für ein neues Wasserkraftwerk gegeben.

„Völlig unverständlich“, nennt Hans-Josef Vogel, Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW), diese höchst miserable Entwicklung, „Nordrhein-Westfalen wäre nicht das Industrieland, das es heute ist, wenn es zu Beginn der Industrialisierung nicht die Wasserkraft gegeben hätte.“

Nach wie vor lägen die Vorteile der Wasserkraft, ihre stetige und gut planbare Verfügbarkeit bei dezentralen Projekten mit hoher Netzverträglichkeit, auf der Hand. Wasserkraftanlagen sind außerdem heute nachhaltig und fischfreundlich, sie genießen hohe Akzeptanz. „Wenn ein regenerativer Energieträger für die Stromerzeugung im öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient, dann die Wasserkraft, und zwar unabhängig wie groß ihr Beitrag zur Energiewende ist. Wir brauchen alle Erneuerbaren“, so Vogel.

Deshalb will auch der Projektentwickler Dr. Michael Detering ein neues Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 400 Kilowatt an der Lippe auf dem Gebiet der Stadt Werne bauen. Das Projekt „Wehr Stockum“, so der Arbeitstitel, könnte jährlich an die zwei Millionen Kilowattstunden erneuerbaren Stroms erzeugen. Diesen Standort hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in einer Studie zum weiteren landesweiten Wasserkraftbau als „ungenutztes Potenzial“ ausgewiesen.

Parallel zu der neuen Wasserkraftanlage, die eine Altanlage mit 45 kW Leistung ersetzen soll, plant Investor Detering auch einen modernen Fischaufstieg: „Damit könnten Fische zum ersten Mal seit rund 200 Jahren an dem Standort wieder die Lippe stromaufwärts wandern und die lange, insbesondere von Umweltschützern gewünschte Durchgängigkeit des Flusses würde Wirklichkeit. Die Anlage selbst erhält eine fischfreundliche Turbine.“

Bestärkt sieht sich Detering in seinen Plänen nicht nur durch die Unterstützung des Kreises Unna und der Stadt Werne, für die das geplante Wasserkraftwerk ein Baustein ihres Klimaschutzkonzeptes ist. Von der Bezirksregierung Arnsberg hat er einen ersten positiven Förderbescheid für die Planung und den Bau des hochmodernen Wasserkraftwerkes erhalten. Dennoch sieht sich Michael Detering bislang bei seinem Vorhaben ausgebremst: „Bislang sperrt sich das entsprechende Referat des Düsseldorfer Umweltministeriums – und das entgegen der klaren Rechtspriorität für den Ausbau der erneuerbaren Energien und des Lippe-Verbandsgesetzes.“ Was Detering nicht davon abhält, den Genehmigungsantrag bei der Bezirksregierung Arnsberg einzureichen, von der er einen positiven Bescheid erwartet.

Darauf setzt auch Till Knäpper, Eigentümer der Borker Naturwerk GmbH & Co. KG. Er plant, einen alten Wasserkraftstandort an der Lippe in Selm-Bork, rund 10 km flussabwärts von Deterings Vorhaben in Werne-Stockum, zu reaktivieren. An diesem Standort einer früheren Papierfabrik soll ein Wasserkraftwerk mit gut 200 kW Leistung wieder in Betrieb genommen werden, mit dem Gros des Stroms sollen die am Standort ansässigen Unternehmen beliefert werden.

Der LEE NRW sieht in beiden Projekten ein wichtiges Signal: „Da schon der Bioenergieausbau in NRW auf allerniedrigstem Niveau stagniert, kann es sich das Land für seine Klimaneutralitäts-Ziele nicht leisten, dass mit der Wasserkraft ein zweiter erneuerbarer Energieträger komplett ausfällt“, betont Vorsitzender Hans-Josef Vogel. Für die Ministerien und die Genehmigungsbehörden im Land müssen, so seine Forderung, endlich der Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Frühjahr 2021 und die Vorgaben des novellierten Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (§ 2: „Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.“) zur obersten Richtschnur ihres Handels werden.

• *Zu diesen beiden Projekten zählt eine Anlage des Wupperverbands an der Wupper-Talsperre in Radevormwald mit einer Bruttoleistung von 630 Kilowatt, deren Probebetrieb begonnen hat. Schon in Betrieb ist die Erweiterung des Möllerkraftwerkes Schwitten an der Ruhr in Fröndenberg mit einer von Bruttoleistung von 132 kW, ein Projekt der Stadtwerke Fröndenberg Wickede.
• **Laut Fachverband Biogas sind im Jahr 2022 in NRW nur sieben Biogasanlagen mit vier Megawatt Leistung neu in Betrieb gegangen (siehe LEE NRW-Pressemitteilung vom 27. September 2023)

Über den Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V.

Als Dachverband der Erneuerbare-Energien-Branche in Nordrhein-Westfalen bündelt der LEE NRW die Interessen aus allen Bereichen der Energiewende. Zum Verband zählen mittelständische Unternehmen, Verbände und Bürger. Das gemeinsame Ziel: 100% Erneuerbare Energien bis 2045 – in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr. Dafür engagieren sich auch fünf LEE-Regionalverbände als kompetente Ansprechpartner vor Ort. Denn im Energieland Nr. 1 ist die Branche wichtiger Arbeitgeber für 46.000 Beschäftigte, die 2017 ein Umsatzvolumen von 10 Mrd. Euro erwirtschafteten.

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