Als wichtigen Punkt der Sitzung präsentierte Geschäftsführerin Heidi Goller, Leiterin des Geschäftsbereichs Finanzen und Controlling, den Wirtschaftsplan 2024. Der Grundbeitrag bleibt bei 120 Euro, der in der Höhe gedeckelte Zusatzbeitrag wird aus dem Gewerbeertrag ermittelt. Der Sonderbeitrag ÜBA-Umlage wird wie bisher aus einem Prozentwert des festgesetzten Kammerbeitrags errechnet und samt einem gewerkspezifischen Berufszuschlag erhoben.
Die konjunkturelle Situation im Kammerbezirk hatte Präsident Harald Herrmann in seinem Bericht an die Vollversammlung besonders im Blick. Je nach Branche fielen die Zukunftserwartungen unterschiedlich aus, so Herrmann. Allgemein könne man feststellen, dass überwiegend eine Unsicherheit in den meisten Betrieben vorherrsche. Versorgungshandwerke, insbesondere das Elektrohandwerk, aber auch die Sanitär- und Heizungsbranche könnten nicht über Auftragsrückgänge klagen. Die Prognose der Baubranche, vor allem beim Hoch- und Ausbau, falle dagegen pessimistisch aus. Auftragsrückgänge von bis zu 40 Prozent würden erwartet. „Die Gründe dafür sind offensichtlich; steigende Zinsen, nach wie vor hohe Immobilienpreise, eine anhaltend hohe Baupreisentwicklung sowie eine hohe Inflationsrate“, führt Harald Herrmann an. In vielen Betrieben sei aber die Bereitschaft, neues Personal einzustellen, überaus vorhanden, so Herrmann weiter. Jedoch konnten nur etwa zwei Prozent der Betriebe das fehlende Personal bereits ersetzen. In den kommenden Jahren werde sich das noch weiter zuspitzen, denn die Lücke zwischen den in den Ruhestand gehenden Handwerkerinnen und Handwerkern und neuen Auszubildenden, die nachfolgen, ist ohne gezielte Einwanderung nicht zu schließen, mutmaßt Herrmann.
Neben der aktuellen wirtschaftlichen Situation belaste die Betriebe im Kammerbezirk die seit Jahrzehnten anhaltende und immer größer werdende Bürokratisierung. Um dem „Bürokratisierungswahnsinn“ ein Ende zu setzen, wurde eine Entlastungsallianz für Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Ihr Ziel sei die gemeinsame Verständigung zwischen der Landesregierung und acht Verbänden, darunter auch dem Baden-Württembergischen Handwerkstag. Gemeinsam solle versucht werden, den Abbau von Regulierungen, die Modernisierung von Prozessen sowie eine Verschlankung von Verfahren voranzubringen.
Zum Schluss seines Berichts teilte Herrmann mit, dass der Bildungsbetrieb an der Bildungsakademie in Sigmaringen, wie im Februar 2023 vom Vorstand beschlossen, Mitte 2025 eingestellt werde. „Nach langen Überlegungen und Diskussionen wurde aufgrund des jahrelangen Defizits, den aktuellen Personalproblemen und der nicht vorhandenen Kursauslastung die Schließung beschlossen. Das Weiterführen der Bildungsstätte in Sigmaringen ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr möglich“, erklärte Herrmann und fügte hinzu, dass es in Tübingen weit bessere und modernere Möglichkeiten der Weiterbildung gäbe.
Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert zog nach Herrmanns Rede ein Resümee über knapp 17 Jahre als Hauptgeschäftsführer an der Handwerkskammer Reutlingen. Vom Eintritt im April 2007 über die weltweite Finanz- und Bankenkrise in den Jahren 2008 und 2009 und die daraus wirtschaftlichen Einschränkungen und Insolvenzen. „Als man schon glaubte, das schlimmste überwunden zu haben, kam die Euro-Krise, deren Ursache beileibe nicht die Bankenkrise war, sondern eine extreme Überschuldung von Staaten, die dem Euro beigetreten, aber dafür noch nicht reif waren“, erinnert sich Eisert. Die Rettung des Euro im Kreditpaket mit dem Namen „Euro-Rettungsschirm“, stabilisierte die Kapitalmärkte und die Banken. Davon profierte das Handwerk, so Eisert. Ab 2020 habe dann jedoch zuerst die Corona-Pandemie weltweit für zunehmende Lieferkettenstörungen und Materialverknappungen gesorgt, und zwei Jahre später der Krieg Russlands gegen die Ukraine regelrechte Energie- und Rohstoffexplosionen ausgelöst.
Über all die Jahre ebenso zentrales Feld wie die wirtschaftliche Entwicklung war für Eisert die Bildungspolitik. Durchlässigkeit der beruflichen Bildung als Königsweg, junge Menschen für das Handwerk zu gewinnen oder die Versuche, in Gemeinschaftsschulen, keine zu frühe Selektion von Schülerinnen und Schüler zu betreiben bis hin zu Berufsorientierung in den Klassen, Praktika und Bildungspartnerschaften, hätten das Ziel gehabt, junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk zu gewinnen, sagte Eisert weiter. Erfreut zeigte er sich an dieser Stelle über die aktuellen Ausbildungszahlen, die zum Stichtag 31. Oktober mit 1.789 neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnissen nur 11 Ausbildungsverträge weniger als im vergangenen Jahr aufweisen, sich also stabilisiert hätten. Es bedürfe jedoch immer größerer Anstrengungen, wenigstens dieses Niveau zu halten.
Als Dauerthema empfand Eisert in all seinen Jahren in der Kammer den „Abwehrkampf“ in Richtung EU-Kommission. Er stelle nicht die europäische Idee in Frage, so Eisert, sondern die von der Kommission betriebene Deregulierung von sinnvollen Qualifikationserfordernissen einerseits und die Überregulierung fast aller Lebenssachverhalte andererseits, vor allem die daraus resultierenden administrativen Belastungen der Handwerksbetriebe. Häufig sei es in Kooperation mit den Dachverbänden, vor allem dem Zentralverband des Deutschen Handwerks gelungen, in EU-Richtlinien Klarstellungen zugunsten des Handwerks zu erreichen. Gleichzeitig habe er gemeinsam mit Präsident Herrmann und dem Vorstand in der Kammerarbeit nie die Belange einzelner Gewerke, seien es Augenoptiker, Fotografen, Friseure oder Steinmetze, aus den Augen verloren.
Zum Schluss dankte Eisert für das große Vertrauen, das ihm und seiner Arbeit in den 17 Jahren entgegengebracht wurde.
Im Rahmen der Vollversammlung wurde Eisert für seine herausragende Führung und seinen unermüdlichen Einsatz für die Förderung des Handwerks besonders geehrt. Dirk Palige, Geschäftsführer des Deutschen Handwerkskammertags (DHKT) und Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) überreichte ihm das Handwerkszeichen in Gold. Es ist die höchste Auszeichnung, die im deutschen Handwerk verliehen werden kann.
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