„Wir verurteilen diesen Schlag gegen die Redaktion von AbzasMedia. Die Medienschaffenden müssen sofort freigelassen werden“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Die Festnahmen sind auch ein deutliches Zeichen an Bundeskanzler Olaf Scholz, der Aserbaidschan als verlässlichen Partner für Europa bezeichnete: Aserbaidschan ist eine Diktatur, welche die Pressefreiheit mit Füßen tritt!“
Zugriff in den frühen Morgenstunden
Ulvi Hasanli wurde am frühen Morgen des 20. November von maskierten Polizisten vor seinem Haus aus einem Taxi gezogen und festgenommen. Der Mitgründer des Mediums hatte das Fahrzeug kurz zuvor bestiegen, um zum Flughafen zu fahren und zu einer Dienstreise nach Moldau aufzubrechen. In einer im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlichten Sprachnachricht erklärte Hasanli, er sei während der Festnahme auf ein Auge geschlagen worden. Die Beamten durchsuchten Hasanlis Wohnung und brachten ihn in auf die Hauptwache der Polizei in Baku. Dort sei er geschlagen und getreten worden, sagt der Journalist. Die Beamten hätten gefragt, warum er über Korruption schreibe und nicht über Aserbaidschans Sieg über Armenien oder die aserbaidschanische Übernahme der armenischen Exklave Bergkarabach.
Gegen Mittag fuhr die Polizei mit Hasanli in die Redaktion von AbzasMedia und führte in seinem Beisein eine mehrstündige Razzia durch. Kolleginnen und Kollegen bemerkten dabei eine große rote Schramme unter Hasanlis Augen. Mitarbeitende der Redaktion wurden mit Gewalt daran gehindert, das Vorgehen der Beamten zu filmen. Bei der Durchsuchung fand die Polizei angeblich 40.000 Euro. Das Geld sei ihm untergeschoben worden, so die Darstellung des Journalisten. Hinter der Festnahme Hasanlis stehe Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew, vermutet AbzasMedia in einer im Internet veröffentlichten Stellungnahme. Alijew reagiere damit auf jüngste Recherchen von AbzasMedia über Korruption im Umfeld seiner Familie und unter hochrangigen Beamten. Die Verhaftung könne der Auftakt zur Schließung des Mediums sein.
Verhaftung nach dem Rückflug
Am 21. November wurde auch Chefredakteurin Sevinj Vagifgizi am Flughafen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku direkt nach ihrer Landung festgenommen. Die Journalistin war von einer Dienstreise mit einem Flug über Istanbul zurückgekehrt. Sicherheitskräfte durchsuchten ihre Wohnung. Am Abend eröffneten die Behörden ein Strafverfahren gegen Vagifgizi und Hasanli wegen organisierten Schmuggels einer Fremdwährung. Ein Gericht ordnete für beide eine viermonatige Untersuchungshaft an. Im Fall einer Verurteilung droht beiden Medienschaffenden eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren.
Aufgrund ihrer Recherchen über Korruption im Umfeld des aserbaidschanischen Präsidenten wurde Sevinj Vagifgizi bereits in der Vergangenheit mit Repressionen überzogen. So untersagten ihr die Behörden beispielsweise zwischen den Jahren 2015 und 2019 Reisen ins Ausland. Wegen der ständigen Schikanen nahm Sevinj Vagifgizi im Jahr 2021 als Stipendiatin von RSF eine berufliche Auszeit in Berlin. Während ihres Aufenthalts enthüllte ein internationales Rechercheprojekt das Ausmaß des Einsatzes der Überwachungssoftware Pegasus beim Abhören von Medienschaffenden. Der Untersuchung zufolge wurde auch Sevinj Vagifgizi vom aserbaidschanischen Geheimdienst abgehört. Die Medienschaffende gab deutschen und internationalen Medien Interviews mehrere Interviews zu dem Thema.
Für zwei Tage verschwunden
Auch ein mit AbzasMedia kooperierender Inklusionsaktivist wurde Opfer des Schlages gegen die Redaktion. Mahammad Kekalov schrieb für das Medium über die Rechte von Behinderten und wurde am 20. November in seiner Wohnung festgenommen. Sicherheitskräfte beschlagnahmten seinen Laptop und sein Mobiltelefon. Zwei Tage lang war sein Aufenthaltsort nicht bekannt. Er hatte keinerlei Kontakt zu seiner Familie oder einem Anwalt. Die Polizei bestätigte seine Festnahme zunächst nicht. Erst am 22. November gab das aserbaidschanische Innenministerium seine Inhaftierung bekannt. Gegen Kekalov werde in derselben Strafsache wie gegen Hasanli und Vagifgizi ermittelt. Derzeit sitzt er in Untersuchungshaft.
Digital Security Lab entdeckt Pegasus auf Handy unabhängiger Journalistin
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew schränkt den Spielraum für unabhängige Medien seit der Machtübernahme von seinem Vater im Jahr 2003 ein. Seit seiner zweiten Wiederwahl 2013 verschärft sich der Druck auf kritische Medienschaffende kontinuierlich. Journalistinnen und Journalisten werden verfolgt, eingeschüchtert und ausgespäht.
Ein Beispiel für die staatliche Überwachung liefert das Digital Security Lab von Reporter ohne Grenzen, welches im Juli 2022 gegründet wurde und sich an Journalistinnen und Journalisten wendet, die befürchten, dass ihr Telefon oder ihr Computer digital ausgespäht werden, mit einem Virus infiziert sind oder dass einer ihrer Accounts übernommen wurde. Im September 2023 entdeckte das Labor die Überwachungssoftware Pegasus auf dem Mobiltelefon einer Journalistin, die für ein unabhängiges aserbaidschanisches Medium arbeitet. Es ist der erste bestätigte Fall des Einsatzes einer Spähtechnologie seit der Gründung des Digitallabors.
Aserbaidschan steht in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 151 von 180.
Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Aserbaidschan www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan
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