„Es ist ein historisches Urteil, in dem die Ermordung des herausragenden gambischen Journalisten und damaligen RSF-Korrespondenten Deyda Hydara nach beinahe zwei Dekaden aufgearbeitet wurde“, sagte Nicola Bier, Referentin für Recht bei Reporter ohne Grenzen (RSF), welche das Verfahren und die Urteilsverkündung in Celle beobachtete. „Reporter ohne Grenzen kämpft weltweit gegen die hohe Straflosigkeit von Verbrechen an Medienschaffenden. Eine freie Presse ist kein Selbstzweck, sondern eine Grundvoraussetzung für die Menschenrechte der gesamten Bevölkerung eines Landes. Dieser Prozess ist ein wichtiges Zeichen für die Menschen in Gambia, die seit langem für eine Aufarbeitung der Verbrechen des Jammeh-Regimes kämpfen. Das Verfahren hat die entscheidende Rolle des mutigen Journalisten Deyda Hydara hervorgehoben – eine Schlüsselfigur des Journalismus in Gambia und einflussreicher Kritiker des Ex-Präsidenten. Nun ist klar: Dass er seinen Einsatz mit dem Leben bezahlt hat, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Eines der Opfer: Journalist und RSF-Korrespondent Deyda Hydara
Der Journalist Deyda Hydara war Mitbegründer und Herausgeber der unabhängigen Zeitung The Point sowie Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP und von RSF. Für seine Zeitung hatte Hydara eine beliebte Kolumne über gambische Politik unter dem Titel „Good morning Mr. President“ geschrieben, in welcher er den Präsidenten und seine Politik regelmäßig kritisierte und dafür konstant bedroht worden war. Der 58-Jährige war Vater von vier Kindern. Am 16. Dezember 2004 wurde er auf offener Straße erschossen. Kurz zuvor hatte er die neuen, äußerst repressiven Pressegesetze in der damaligen Diktatur von Präsident Yahya Jammeh scharf kritisiert.
„Es bedeutet mir und meiner Familie viel, dass sich die deutsche Justiz so ausführlich mit dem Tathergang befasst hat und ein gerechtes Urteil gesprochen wurde. Obwohl kein Tag vergeht, an dem ich den Tod meines Vaters nicht betrauere, wird sein Schicksal auf diese Weise immerhin zum Leuchtturm für andere Regime, die ihre Machenschaften verschleiern wollen. Denn mein Vater musste sterben, weil er die Korruption und das Fehlverhalten des Präsidenten aufgedeckt hat“, sagte Baba Hydara, der Sohn des Ermordeten, der das Urteil sichtlich berührt entgegennahm und dafür extra aus Gambia angereist war. Er war im Prozess als Nebenkläger aufgetreten und hatte in dieser Funktion ein eigenes Schlussplädoyer gehalten.
Der Auftraggeber: Ex-Präsident Yahya Jammeh
Dennoch genügt es Baba Hydara, wie vielen anderen Angehörigen, nicht, nur die Handlanger des Regimes vor Gericht zu sehen. Der Entscheidungsträger hinter den Auftragsmorden war Autokrat Yahya Jammeh, der von 1996 bis Mitte Januar 2017 Staatspräsident des westafrikanischen Staates Gambia war. 2016 war er nach seiner Wahlniederlage gegen Adama Barrow ins Exil geflüchtet.
„Jammeh sitzt in Äquatorial-Guinea und genießt sein Leben, während er vielen anderen Menschen den Vater oder andere Familienmitglieder für immer genommen hat. Aber er muss sich für das, was er getan hat, verantworten Ob universelle Gerichtsbarkeit oder lokale Gerichtsbarkeit – die Opfer der Jammeh-Ära müssen Gerechtigkeit erfahren. Die in dieser Ära begangenen Verbrechen sind abscheulich, und sie dürfen nicht ungestraft in der Versenkung verschwinden“, forderte Baba Hydara in Celle. RSF fordert bereits seit vielen Jahren, dass der ehemalige gambische Präsident Yahya Jammeh an Gambia ausgeliefert wird, um sich vor Gericht für die während seiner Herrschaft begangenen Verbrechen zu verantworten. In Gambia hat die Truth, Reconciliation and Reparations Commission (TRRC) seit 2018 die Verbrechen des Regimes dokumentiert und mit der Aufarbeitung begonnen. Laut dem nach zweieinhalb Jahren Arbeit erschienen Abschlussbericht ist der Diktator für die Ermordung von mindestens 240 Personen während seiner Herrschaft verantwortlich. Die Kommission hat entscheidende Vorarbeit geleistet, sowohl für den Prozess um Bai L. als auch für künftige Prozesse in und außerhalb von Gambia.
Verurteilung des Handlangers: „Jungler“ Bai L.
In seinem Urteil hat das Oberlandesgericht Celle nun festgestellt, dass Jammeh direkte Aufträge erteilte, um Kritik und vermeintliche Gefahren für seine Macht auszuschalten. Auch für den Mord an Deyda Hydara hatte er sein “Killerkommando” beauftragt: Denn seit jeher hatte der Diktator die unabhängige Presse in Gambia als Gefahr für seine Macht gesehen, sie mit Gesetzen einzuschränken versucht und explizite Drohungen ausgesprochen, auch gegen Deyda Hydara persönlich. Dieser hatte kurz vor seiner Ermordung eine geplante Verschärfung des Presserechts kritisiert.
Das Jammeh unterstehende Spezialkommando „Junglers“ hatte den Journalisten am Abend des 16. Dezember 2004 mit Autos verfolgt, die extra für den Auftragsmord zu vermeintlichen Taxis umlackiert worden waren. Jungler Bai L. steuerte eines dieser Autos und bedrängte damit den Wagen von Deyda Hydara. Anschließend gab ein Mitfahrer die tödlichen Schüsse ab. Dieser von RSF unmittelbar nach den Ereignissen recherchierte Tathergang bildete eine wichtige Grundlage für das Verfahren. Denn die fast zwei Dekaden zwischen Mord und Prozess, die räumliche Entfernung sowie die mangelnde Kooperation der gambischen Behörden hatten die Beweisführung sehr erschwert. Deshalb musste entscheidend auf öffentlich zugängliche Quellen zurückgegriffen werden, unter anderem auf Interviews, die Journalistinnen und Journalisten mit dem Angeklagten geführt hatten.
Die Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beinhaltet die Feststellung eines ausgedehnten, systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung. Das Gericht betonte, dass Jammeh seinen Angriff gegen die Zivilbevölkerung insbesondere gegen alle richtete, die seine autoritäre Herrschaft kritisierten oder von ihm sonst als Gefahr für seinen Machterhalt wahrgenommen wurden. Besonders vehement ging er gegen kritische Medien vor. Der Mord an Deyda Hydara war der grausame Höhepunkt einer lang anhaltenden Unterdrückung der freien Presse durch rerstriktive Gesetze, Drohungen, teils auch Inhaftierungen.
Das Weltrechtsprinzip: Ein Instrument gegen Straflosigkeit nach schwersten Verletzungen der Menschenrechte
Der nun abgeschlossene Prozess gegen Bai L. ist der erste, der sich auf der Basis des Weltrechtsprinzips mit Menschenrechtsverletzungen befasst, die während der Ära Jammeh in Gambia begangen wurden. Das Weltrechtsprinzip gilt für die schwersten Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht. Verankert in § 1 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) ist es die Grundlage für die Untersuchung und gerichtliche Aufarbeitung dieser Verbrechen in Deutschland – unabhängig davon, wo sie begangen wurden, und unabhängig von der Nationalität der Tatverdächtigen oder Opfer.
Oft erfolgt keine Strafverfolgung in Ländern, in denen die Verantwortlichen für Völkerstraftaten noch an der Macht sind oder die Justiz zur Aufarbeitung nicht willens oder in der Lage ist. In diesen Fällen kann Deutschland im Wege der sogenannten „stellvertretenden Strafrechtspflege“ einschreiten. Die Durchführung von Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip sendet ein Zeichen an die Verantwortlichen, dass sie nirgends vor Strafverfolgung sicher sind.
Die deutschen Behörden haben in den vergangenen Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen bei den internationalen Bemühungen um die Verfolgung von Straftaten, die unter das Weltrechtsprinzip fallen. Im Januar 2022 verurteilte ein Gericht in Koblenz einen ehemaligen syrischen Geheimdienstbeamten zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Neben weiteren Verfahren, vor allem betreffend Syrien, wurde nun auch das erste Verfahren Gambia betreffend in Deutschland abgeschlossen.
Erinnerung an einen herausragenden Journalisten: Das neue Deyda-Hydara-Stipendium von RSF
Um das Schaffen von Deyda Hydara zu ehren, hat Reporter ohne Grenzen ein Stipendium für andere mutige Medienschaffende nach ihm benannt. Baba Hydara, der Sohn des ermordeten Journalisten, zeigte sich bewegt von der Idee, Reporterinnen und Reporter aus aller Welt mit einem Programm zu unterstützen, das die Erinnerung an seinen Vater würdigt.
“Meine Mutter, meine Schwestern und meine Brüder, wir alle sind begeistert von dem Vorschlag, das Stipendienprogramm nach meinem Vater zu benennen. Die Arbeit von RSF trägt viel dazu bei, dass sich Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Familien auf der ganzen Welt unterstützt und wertgeschätzt fühlen, während diese die zuweilen schwierige und lebensgefährliche Arbeit leisten. Unser Vater hat jahrzehntelang für RSF gearbeitet und seine Zeit und Energie der Förderung des Journalismus und der freien Presse in Westafrika gewidmet. Während seiner gesamten Laufbahn half er jungen aufstrebenden Journalistinnen und Journalisten in Gambia, indem er sie ermutigte, unterstützte und ihren beruflichen Werdegang förderte. Wir sind stolz und fühlen uns durch diese großartige Geste sehr geehrt.”
Das Deyda-Hydara-Stipendium verstetigt RSFs langjährige Nothilfearbeit. Diese besteht darin, akut bedrohte Journalistinnen und Journalisten, die weder in ihrem Heimatland noch in der Region sicher arbeiten können, während eines Schutzaufenthalts in Berlin übergangsweise aufatmen zu lassen. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten können so ihre weitere Arbeit und Sicherheitslage evaluieren, Sicherheitstrainings und -beratungen nutzen und Unterstützung im Umgang mit traumatischen Erfahrungen bekommen.
Hoffnungsschimmer: Die aktuelle Lage der Pressefreiheit in Gambia
Während seiner 22-jährigen Herrschaft hatte Yahya Jammeh in Gambia die Scharia eingeführt und einen Polizeistaat errichtet, in welchem die brutale Verfolgung von Medienschaffenden zum Alltag gehörte. Neben der Ermordung Hydaras war der Präsident Berichten zufolge auch in den Tod der beiden Journalisten Chief Ebrima Manneh und Omar Barrow verwickelt und für zahlreiche Fällen von Zensur und Inhaftierungen von Reporterinnen und Reportern verantwortlich.
Doch seit dem Ende der Jammeh-Diktatur hat sich die Lage der Pressefreiheit in Gambia stark verbessert. So ist das Nachrichtenmonopol der staatlichen Radio- und Fernsehsender gefallen, und es wurden viele neue Medien gegründet. "Die Pressefreiheit in Gambia ist heute besser als zu Jammehs Zeiten. Der Zugang zu Informationen ist jedoch immer noch eine Herausforderung, vor allem in öffentlichen Einrichtungen. Die Regierung unterstützt die Medien nicht wie erwartet. Die Verfassung enthält immer noch einige drakonische Gesetze, die die Meinungsfreiheit einschränken“, schätzte Baba Hydara, Mitherausgeber der gambischen Tageszeitung The Point, die Lage in seinem Heimatland ein.
Seit dem Amtsantritt von Adama Barrow als Präsident im Januar 2017 hat der staatliche Rundfunk sein Monopol verloren, und es wurden zahlreiche Radio- und Fernsehsender gegründet, die sich sowohl in Privatbesitz als auch auf Gemeindeebene befinden.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit hat sich Gambia seit dem Ende der Jammeh-Diktatur um 99 Plätze verbessert und steht nun auf Platz 46 von 180 Ländern.
Weitere Informationen zum Fall sind in unserem Q&A versammelt. Dieses kann in deutscher, englischer oder französischer Sprache heruntergeladen werden.
Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Gambia unter www.reporter-ohne-grenzen.de/gambia
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