Das Landgericht Stuttgart hat in einem wegweisenden Beschluss festgestellt, dass die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis in der Regel unverhältnismäßig ist, wenn die zugrunde liegende Tat mehrere Monate zurückliegt und die Ermittlungsbehörde dabei gegen das sogenannte Beschleunigungsgebot verstößt. Die Entscheidung erging im Rahmen eines Falls mit dem Aktenzeichen 9 Qs 39/23.

Die Vorinstanz hatte die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet, nachdem der Betroffene im Zusammenhang mit einer Straftat im Straßenverkehr ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten war. Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 4. August 2023 hebt jedoch hervor, dass die zeitliche Distanz zwischen der Tat und der Entziehung der Fahrerlaubnis ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit darstellt.

Das Gericht betonte, dass eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht pauschal als angemessene Maßnahme betrachtet werden kann, insbesondere wenn die Ermittlungsbehörden in erheblichem Maße gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen haben. Das Beschleunigungsgebot verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden, Strafverfahren mit gebotener Eile voranzutreiben, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden.

Der Vorsitzende Richter am Landgericht Stuttgart erklärte in seiner Begründung, dass die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis nicht als automatische Konsequenz einer laufenden Ermittlung angesehen werden dürfe. Vielmehr müsse im Einzelfall sorgfältig geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine solche Maßnahme gegeben sind und ob die Ermittlungsbehörden angemessen gehandelt haben.

Dieser Beschluss könnte weitreichende Auswirkungen auf die Praxis der vorläufigen Entziehung von Fahrerlaubnissen haben und stellt die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung der Umstände durch die Strafverfolgungsbehörden in den Vordergrund.

Kommentar:

Die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 4. August 2023 markiert einen bedeutenden Schritt in Richtung Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit im Bereich der vorläufigen Entziehung von Fahrerlaubnissen. Das Gericht hat deutlich gemacht, dass eine derart einschneidende Maßnahme nicht pauschal und automatisch erfolgen darf, insbesondere wenn das Beschleunigungsgebot verletzt wird.

Die Kritik des Gerichts an der zeitlichen Distanz zwischen der begangenen Tat und der Entscheidung zur Fahrerlaubnisentziehung ist von großer Relevanz. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, die Verhältnismäßigkeit von strafrechtlichen Maßnahmen sorgfältig zu prüfen und sicherzustellen, dass diese im Einklang mit den rechtsstaatlichen Prinzipien stehen.

Es ist ermutigend zu sehen, dass das Gericht den Fokus auf den Einzelfall legt und die Ermittlungsbehörden dazu auffordert, das Beschleunigungsgebot ernst zu nehmen. Dies könnte dazu beitragen, unnötige Belastungen für Betroffene zu vermeiden, die aufgrund von Verfahrensverzögerungen übermäßig lange von ihrer Fahrerlaubnis ausgeschlossen sind.

Die Entscheidung könnte auch einen Impuls für eine Überprüfung und mögliche Anpassung der bestehenden Praxis bei der vorläufigen Entziehung von Fahrerlaubnissen darstellen. Es wird interessant sein zu beobachten, ob andere Gerichte diesem Beispiel folgen und ähnliche Grundsatzentscheidungen treffen, um einen ausgewogeneren Ansatz in diesem sensiblen Rechtsgebiet zu etablieren.

Von Engin Günder, Fachjournalist

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