Religionsfreiheit muss durch einen demokratischen Staat geschützt werden. Der Staat ist besonders gefordert, wenn diejenigen die er schützt, Andersgläubige bedrohen oder gar angreifen. „Schützen und durchsetzen gehört zusammen. Wenn Häuser in denen Juden leben gekennzeichnet werden und auf unseren Straßen religiös motivierter Hass verbreitet wird, muss der Staat mit äußerster Entschiedenheit gegen die Täter vorgehen“, erklärt Prof. Thomas Schirrmacher, Präsident der weltweiten Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (ISHR). Schirrmachers Appell im Rahmen der Vorstellung der Jahrbücher für Religionsfreiheit in Berlin richtet sich an die Bundesregierung und die deutschen Landesregierungen.

Religiöse Intoleranz, antichristliche und antisemitische Hassverbrechen und Gewaltaufrufe haben mitten in Europa Hochkonjunktur. Nach Juden sind Christen, die am meisten angegriffene religiöse Gruppe. Dazu zählen nicht nur alltägliche Bedrohungen, Beleidigungen, Ausgrenzungen und andere Diskriminierungen, sondern auch schwerste Körperverletzungen, Morde, Brandanschläge und Messerangriffe. Schirrmacher: „Wer unsere jüdischen Mitbürger oder das Existenzrecht Israels in Frage stellt, dem muss der deutsche Staat entgegentreten!“

Auch kleine Religionsgemeinschaften brauchen Schutz
Eintreten für Religionsfreiheit bedeutet nicht nur, sich für große Religionsgemeinschaften wie Christen oder Muslime einsetzen, wenn diese diskriminiert werden. Genauso gilt es, Gläubige aus kleinen Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel die indigener Völker in Lateinamerika zu schützen. Im aktuellen Jahrbuch Religionsfreiheit wird dies von mehreren Autoren thematisiert. Frank Schwabe, Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist einer dieser Autoren. Er erläutert die Spiritualität der indigenen Völker als neues, wichtiges Thema der Religionsfreiheit. Die Anerkennung indigener Religionen und Weltanschauungen als grundlegende Bestandteile der Religionsfreiheit und kulturellen Vielfalt ist von zentraler Bedeutung für die nachhaltige, partnerschaftliche und friedliche Entwicklung unserer Welt. Weiter erklärt Schwabe: „Christinnen und Christen – die größte Glaubensgemeinschaft weltweit – sind von der Verletzung der Religionsfreiheit besonders betroffen. Nirgends dürfen wir in unserem Einsatz nachlassen, wie aktuelle Beispiele etwa aus Indien, China oder Nigeria zeigen. Dabei müssen wir aus Gründen der Glaubwürdigkeit den weiten Horizont der vielen Verletzungen der Religionsfreiheit beibehalten.“

Verquickung von Staat und religiösem Extremismus
In einigen Staaten erwächst die Verfolgung Andersgläubiger aus einer symbiotischen Verbindung von religiösem Extremismus mit staatlicher Macht. Iran, Myanmar, Indien, Pakistan diskriminieren und verfolgen Andersgläubige systematisch. Dazu dienen auch religiöse Unterwerfungs- und Verfolgungsgesetze, die zum Beispiel angebliche „Blasphemie“ oder „Verderben bringen auf Erden“ unter schwerste Strafen, bis hin zur Todesstrafe stellen“, kritisiert Martin Lessenthin Menschenrechtsexperte und Herausgeber der Jahrbücher. Auch die Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen oder ihre Abwendung von der Religion öffentlich machen, steigt an. Die islamischen Republiken im Iran, Afghanistan und Pakistan treten dabei besonders in Erscheinung.

Verfolger sind totalitäre Staaten und Extremisten
„Religiöse Minderheiten sind aktuell Opfer von Verfolgung durch totalitäre Staaten wie China, Kuba, Nordkorea oder den Gottesstaat Iran. Zugleich sind sie Opfer nichtstaatlicher extremistischer Bewegungen. Religiös.extremistische Verfolger sind unter anderem Islamischer Staat, al-Qaida, al-Shabaab in Somalia, Hisbollah im Libanon, Huthi Milizen im Jemen, Hamas und Islamischer Dschihad in den Palästinensergebieten, Hindu-Extremisten in Indien, Boko Haram und islamistische Fulani-Milizen in Nigeria,“ erläutert Lessenthin weiter.

In Staaten wie Kuba und Nicaragua werden Repräsentanten von Religionsgemeinschaften systematisch unter Druck gesetzt, ihre Loyalität zur Staatsführung zu dokumentieren. Wenn sie sich widersetzen, drohen Inhaftierung, Isolation und Zwang gegen andere Gläubige oder Angehörige. „Markenzeichen deutscher Außenpolitik“ müsse immer „verlässliches und engagiertes Eintreten für die Opfer von religiöser Diskriminierung und anderen Menschenrechtsverletzungen“ sein. Jeder politisch Verantwortliche, der mit Deutschland ins Gespräch kommen oder gute Wirtschaftsbeziehungen nutzen möchte müsse wissen, dass er „an seinem Eintreten für Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit gemessen werde“, so der Menschenrechtsexperte.

Thomas Schirrmacher, Martin Lessenthin und Martin Warnecke (Hg.). Jahrbuch Religionsfreiheit 2022/23. Studien zur Religionsfreiheit Bd. 40. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2023. ISBN 978-3-86269-281-1. Pb. 248 S. DOI: 10.59484/JBNK6921.Das Standardwerk zur Religionsfreiheit 2022/23 und das Standardwerk zur Verfolgung von Christen 2022/23 in einem Wendebuch zusammengebunden – jedes Jahrbuch beginnt auf einer Seite des Umschlages. Herausgegeben für den Arbeitskreis für Religionsfreiheit der Deutschen und Österreichischen Evangelischen Allianz und die Arbeitsgemeinschaft Religionsfreiheit der Schweizerischen Evangelischen Allianz, das Internationale Institut für Religionsfreiheit und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte von Thomas Schirrmacher, Martin Lessenthin und Martin Warnecke. Die aktuellen Ausgaben sind als zum Wendebuch zusammengebundenes Jahrbuch für insgesamt 14 Euro (bis 2022 12 Euro) im Buchhandel erschienen. Link zu den Jahrbüchern.

Zitate:

Der 7.10.2023 war auch religionsgeschichtlich eine Zäsur. Das Massaker der Hamas war das brutalste Pogrom seit dem Holocaust. Seit dem Ende der Shoah wurden an einem einzigen Tag noch nie so viele Juden ermordet. Die 1400 Ermordeten starben, weil sie Juden oder arabische Bürger des jüdischen Staates waren. Darauf erfolgte ein weiterer Beschuss Israels aus Gaza und eine weltweite Welle des Antisemitismus. Eine solche allgemeine Angst unter Jüdinnen und Juden habe ich noch nicht erlebt.
Adornos Perspektive eines Zustandes, „in dem man ohne Angst verschieden sein kann“ wurde für Jüdinnen und Juden außerhalb Israels weltweit außer Kraft gesetzt. Und damit ist für sie auch ihre Religionsfreiheit außer Kraft gesetzt.
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

China ist aus einer Vielzahl von Gründen der Lackmustest darauf, ob religiöse Toleranz auf diesem Planeten eine Zukunft behält. Oder ob mit Verfolgung, auch Vernichtung von Andersdenkenden und Andersglaubenden, zuletzt mit militärischen Überfällen auf Länder mit anderen Grundwerten – wie dem Überfall der Diktatur Russland auf die Demokratie Ukraine – das uralte Kennzeichen der religiösen Verfolgung wieder stärker werden wird. Die Frage des Umgangs der freien Welt mit China ist also viel mehr eine Frage auch der globalen Religionsfreiheit und des globalen Schutzes von religiösen Gemeinschaften vor staatlicher und anderer Verfolgung als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag.
Michael Brand, Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Die Religionsfreiheit wird nicht nur vielfältig verletzt; sie ist zugleich manchen Projekten autoritärer Umdeutung ausgesetzt, die ihren Charakter eines universalen Freiheitsrechts verdunkeln kann. Ein krasses Beispiel ist der Versuch von Staaten wie Pakistan, Ägypten, Russland oder Malaysia, drakonischen Blasphemiegesetzen eine vordergründige menschenrechtssemantische Deckung zu verleihen – mit der Konsequenz, dass eine ins Autoritäre verbogene Religionsfreiheit dabei systematisch zum Antipoden von Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und anderen diskursiven Freiheitsrechten gerät. Auch für konservative religiös konnotierte traditionelle Familienwerte wird die Religionsfreiheit gern in Anschlag gebracht – oft mit polemischer Stoßrichtung gegen emanzipatorische Forderungen in Richtung Gender-Gerechtigkeit. Ideologisch tonangebend ist dabei Russland, das mit Rückendeckung der Russisch-Orthodoxen Kirche die Religionsfreiheit gleichsam zum Anti-Menschenrecht gegen eine vermeintlich dekadente Liberalität aufbauen möchte und damit den Universalismus der Menschenrechte im Ganzen bedroht.
Heiner Bielefeldt, Prof. für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Weitere Informationen zum Thema Religionsfreiheit auch im aktuellen IGFM-Sonderheft

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