Die Weltwirtschaft befindet sich in einer späten Phase des Konjunkturzyklus. Michael Blümke, Senior Portfolio Manager bei ETHENEA, analysiert sektorale und regionale Unterschiede: Von einer sanften Landung in den USA über die schwierige Lage in der Eurozone bis zur Belastung durch die Immobilienkrise in China. Blümke rechnet vor diesem Hintergrund mit einer verfrühten Senkung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB).

Hohe Leitzinsen der Zentralbanken und die weiterhin hohen Teuerungsraten schwächen die globale Wirtschaftstätigkeit. Allerdings seien die Sektoren unterschiedlich stark betroffen, ordnet Blümke ein: Während der Dienstleistungssektor weiterhin schwächele, habe das verarbeitende Gewerbe den Negativtrend inzwischen umkehren können. 

Leitzinsen: Zinssenkungen wären möglicherweise verfrüht

„Die Zentralbanken der fortschrittlichen Volkswirtschaften haben die Phase der Zinssteigerungen abgeschlossen“, meint Blümke. Die Erwartung an baldige Zinssenkungen teilt er nicht. „Durch weiterhin negative oder kaum positive Realzinsen verdichten sich die Anzeichen dafür, dass das neutrale Zinsniveau über dem Vor-Pandemie-Niveau liegt“, so seine Analyse. Hinzu komme, dass der internationale Handel weiterhin durch geopolitische Spannungen belastet sei. Zusammen mit starker fiskalischer Unterstützung, einem soliden Arbeitsmarkt und einer robusten Nachfrage werde der Desinflationsprozess mittelfristig in Frage gestellt, so der Experte. Seine Einschätzung: „Um ein Wiederaufflammen des Inflationsdrucks zu vermeiden, müssen die Leitzinsen möglicherweise länger erhöht bleiben.“

USA: Wirtschaft verliert in Q4 an Schwung, doch Fed wird passiv bleiben

Die US-Wirtschaft verliert in diesem Quartal etwas an Schwung: Das prognostizierte BIP-Wachstum liege im vierten Quartal nur noch bei zwei Prozent, nach annualisierten fünf Prozent im vorherigen Quartal. „Die bevorstehende Präsidentschaftswahl wird jedoch trotz des rekordhohen Haushaltsdefizits für eine expansive Fiskalpolitik sorgen“, beobachtet Blümke. Zudem machten die amerikanischen Konsumentendaten Hoffnung: Verbrauchervertrauen und Einzelhandelsumsätze zeigten keine Rezessionstendenzen.

Auf dem US-Arbeitsmarkt steigen indes die Arbeitslosenquote auf 3,9 Prozent sowie die Zahl der wöchentlichen Anträge auf Arbeitslosenunterstützung. Dem gegenüber stehen allerdings zahlreiche offene Stellen und eine Gesamtzahl von Entlassungen, die weit von einem Rezessionsniveau entfernt sei. „Eine zeitnahe Rezession in den USA erwarten wir daher nicht“, so Blümkes Schlussfolgerung.

„Von der Federal Reserve (Fed) erwarten wir in den kommenden Monaten eine abwartende Haltung mit wenig Aktivität“, sagt Blümke zur Geldpolitik der US-amerikanischen Notenbank. Der Rückgang der Inflation habe sich in den USA im Oktober weiter fortgesetzt, doch die Inflationserwartungen blieben hoch. Vor ihrem nächsten Schritt werde die Fed gewissenhaft die Risiken einer hohen, anhaltenden Inflation gegen die Risiken einer Überstraffung abwägen. „Auch hier dürften die nahenden Präsidentschaftswahlen eher für Passivität sorgen“, so der Senior Portfolio Manager.

Eurozone: Stagnation, Währungshüter werden auf die Probe gestellt

In der Eurozone deuten Umfrage- und Wirtschaftsdaten laut Blümke auch für das vierte Quartal auf ein gedämpftes Wachstum hin. Während die Einkaufsmanagerindex-Frühindikatoren den sechsten Monat in Folge im kontraktiven Bereich blieben, deuteten die berichteten Wirtschaftsdaten eher auf eine stagnierende Wirtschaft als auf einen Konjunktureinbruch im Euroraum hin: „Es gibt erste Anzeichen für eine Verbesserung im verarbeitenden Gewerbe. Auch das Verbrauchervertrauen stabilisiert sich, wenngleich auf sehr niedrigem Niveau. Gleichzeitig sinken die Umsätze im Einzelhandel jedoch weiter.“ Ähnlich sind auch Blümkes Einschätzungen für den Arbeitsmarkt. Der bleibe zwar solide, aber das Beschäftigungswachstum verlangsame sich erheblich: „Es werden immer weniger Arbeitsplätze geschaffen, sodass die Arbeitslosenquote mittlerweile auf 6,5 Prozent gestiegen ist.“

Angesichts dieser Gemengelage sieht Blümke die europäischen Währungshüter in den nächsten Monaten auf eine harte Probe gestellt: Nach Meinung von ETHENEA ist der Straffungszyklus der Währungshüter beendet. Dafür sprächen die Abnahme der Inflationsrate und der Kerninflation auf 2,4 respektive 3,6 Prozent im November. Behalte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre restriktive Geldpolitik nun zu lange bei, drohe eine Verschärfung der Abschwungtendenzen. Eine zu frühe Senkung der Leitzinsen wäre vor dem Hintergrund anhaltender Inflation und konstanter fiskalischer Anreize jedoch kontraproduktiv.

Diesen Abwägungen zum Trotz erwartet Blümke, dass der EZB ihre Leitzinsen noch vor der Fed senken wird – und damit möglicherweise zu früh: „Wir haben große Zweifel daran, dass die EZB den restriktiven Kurs durchhalten wird, der angesichts solider Lohnzuwächse und fiskalischer Anreize erforderlich wäre. Die EZB wird nicht den Weg des wirtschaftlichen Schmerzes gehen“, prognostiziert der Senior Portfolio Manager.

China: Erholung hält an, politische Anreize stabilisieren Immobiliensektor

In China beobachtet Blümke, dass sich die wirtschaftliche Erholung im vierten Quartal in moderatem Tempo fortsetzt: „Die Behörden setzen weiterhin gezielte geldpolitische und fiskalische Anreize, um die Wirtschaft vor dem Hintergrund des angeschlagenen Immobiliensektors zu stabilisieren. Das zeigt Wirkung: Die Wachstumsaussichten in China verbessern sich graduell.“ Die Einzelhandelsumsätze hätten mit einem Anstieg von 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr die Erwartungen übertroffen. Der Aufschwung beginne sich positiv auf die Industrieproduktion auszuwirken. „Durch die Krise im chinesischen Immobiliensektor werden jedoch weiterhin die Anlageinvestitionen in Mitleidenschaft gezogen“, mahnt Blümke. Sie lägen 11,3 Prozent unter dem Vorjahreswert. Erhebungen blieben im November insgesamt schwach und deuteten auf eine stagnierende Wirtschaftstätigkeit hin.

Blümke ist deshalb der Ansicht, dass im Reich der Mitte nach wie vor die reale Gefahr einer Deflation herrsche. Um der geringen Dynamik des Aufschwungs entgegenzuwirken, müsse die Politik expansiv bleiben: „Davon, dass China zum Motor des nächsten globalen Aufschwungs wird, sind wir unserer Meinung nach weit entfernt.“

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