„ERSTER TAG „Die Stadt muss verändert werden“, sagte Konz. „Ich wüsste nicht, weshalb ich hierhergeschickt worden bin, wenn die Stadt nicht verändert wird.“ Der hat klug reden, dachte ich, eine Woche ist er nun hier, nicht einmal eine Woche, seit Montag erst, heute ist Freitag, und schon nimmt er den Mund voll, spielt sich auf, und eigentlich will er mir nur beweisen, mit jedem seiner gesalbten, gepfefferten Worte, dass ich ersetzbar bin, auswechselbar, wenn nicht gar fehl am Platze. Ich sollte ihm den Gefallen tun und abdanken. Kurzen Prozess sollte ich machen, aufstehen, durch die Tür gehen und abdanken. Ich bin nicht der Mann, der sich seine Papiere in Raten auszahlen lässt. Ich pfeif auf die Blumen. Wenn ich nicht mehr von Nutzen bin, wenn ich nach deiner Ansicht, Konz, die Zeichen der Zeit nicht mehr begreife, bitte, sag es. Grabstein, und darauf eine Inschrift: Er fiel im Frieden. Das wäre ehrlich. Doch nun? Die Sitzung dauerte seit dem Morgen. Einen Schluck Kaffee, Konz ging durch alle Zimmer, und dann begann sie. Jetzt leuchtete schräg schon die Abendsonne in alle Fenster, übergoss den Raum mit einem rosigen Licht, spiegelte sich auf den Brillengläsern von Konz, bedeckte sie mit einer silbrigen Folie, so dass man nicht mehr erkennen konnte, wen er gerade mit seinen Blicken aufs Korn nahm, und außerdem hatte er eine verdammte, ich möchte sagen: beinahe ehrenrührige Art, unsere Geduld auf die Probe zu stellen. Sprich es doch aus, Konz. Mach ein Ende. Ich bin mürbe inzwischen wie ein Hefeteig, auf dem einer stundenlang herumgeknetet hat. Deine Beweisketten. Deine Rechnerei mit jedem Kubikmeter Erde. Was werden denn unsere Frauen sagen? Wie wird mich Herta empfangen, wenn es wiederum Nacht wird, bevor ich nach Hause komme? Konz hat keine Frau. Der ist vierzig oder erst fünfunddreißig, jung, glaube ich, und das genügt ihm, um mal hier und mal dort …“ Mit diesen Sätzen ist man gleich mittendrin in der Handlung des vierten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 22.12. 23 – Freitag, 29.12. 23) zu haben sind. Und man ist zugleich mittendrin in der Auseinandersetzung zweier Genossen, die das erstmals 1973 im Reclam Verlag Leipzig erschienene Bändchen „Tage unseres Lebens“ von Erik Neutsch prägt: Es ist die Auseinandersetzung zwischen Konz, dem neuen Parteisekretär, und Brüdering, dem Oberbürgermeister. Konz will durchsetzen, was der OB für undurchführbar hält: Schneisen hauen quer durch die Stadt, die in Jahrhunderten gewachsen ist und angefüllt mit Menschenschicksalen, Verkehrsadern schlagen quer durch Häuser und Wohnungen und Plätze. Eine Stadt ist kein Wald. Man kann nicht mit einem Federstrich ausstreichen, was Generationen geschaffen haben. Gibt es einen anderen Weg als den der Feindschaft zwischen den Genossen Brüdering und Konz? Und dann fragt sich einer, was die wahren Geschichten hierzulande sind, wobei hierzulande für die damalige DDR steht. Damals meint Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Und noch immer spannend, auch wenn sich die Zeiten und die Gesellschaft seitdem gründlich geändert haben. Sehr gründlich.

Ein Versuch, die Farbigkeit des Lebens einzufangen. So lassen sich die Erzählungen von Joachim Nowotny in seinem Band „Labyrinth ohne Schrecken“ beschreiben. Der Autor hat selbst einmal von der Bedeutung der winzigen Begebenheiten unseres Lebens gesprochen – hier finden sich solche Situationen und Verhaltensweisen. „Labyrinth ohne Schrecken“ – was für ein ermutigender Titel – war erstmals 1967 erschienen.

Vier Jahre zuvor hatte Joachim Nowotny das spannende Kinderbuch „Hochwasser im Dorf“ veröffentlicht: Heino, der lange Bartel, Brocken-Theo und der kleine Belo langweilen sich in den Winterferien, weil nichts passiert. Den alten Hubein lachen sie aus, weil er vor einem Hochwasser warnt. Der träge dahinfließende Bach überschwemmt zwar die Wiesen, aber die Häuser im Dorf sind nicht betroffen. Doch dann kommt alles anders und der lange Bartel in Stubenarrest. Aber wieso?

Ein junger Mensch in seinem Widerspruch, in seiner Entwicklung wird dargestellt – so lässt sich in einem knappen Satz „Schau auf die Erde – Der Flug des Falken. Zweites Buch“ von Walter Baumert beschreiben. Es geht um Abschied von den Träumen und um die rebellische Jugend des – Friedrich Engels.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Der Autor des heute vorgestellten Buches war einer der ersten DDR-Schriftsteller, der sich am Beispiel des Lausitzer Braunkohle-Tagebaus kritisch mit Themen wie Landschafts- und Umweltzerstörung auseinandergesetzt hatte.

Erstmals 1981 veröffentlichte Joachim Nowotny im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig seine Novelle „Letzter Auftritt der Komparsen“: Ja, der Krambach. Ein Mensch unter uns. Als er seine Chance erhält, will er es ihnen zeigen, seinem kühl kalkulierenden Chef und den Zauderern und Vorsichtigen, denen er begegnet. Und zwar mit einer großen menschlichen Komödie. Was aber geschieht, ist eher tragisch zu nennen. Es ereignet sich nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sondern in einem seltsamen Dorf, gleich nebenan, und widerfährt Menschen unmittelbar neben uns. Sie leben im Ausnahmezustand, denn der Tagebau rückt Stunde um Stunde näher. Er wird ihrem Bleiben am angestammten Platz ein sicheres Ende setzen. Ihm sehen sie entgegen, wie man in die Tiefe der Zeit schaut. Und ihre Aufmerksamkeit ist abgelenkt, gerade in jenen Augenblicken, in denen ein Kind ihrer bedarf. Ihm ist mit halber Aufmerksamkeit und mit Proklamationen nicht zu helfen, es benötigt die sorgende Hand, die ohne Hintergedanken und ganz aus dem Gefühl für die kreatürliche Not des anderen gereicht wird. Sie kommt zu spät. Dass Krambach sein Stück nie schreiben wird, ist das kleinere Übel. Er hat auf der Bühne des Lebens versagt.

Hier ist die Leseprobe eines Buches, das Sie sofort in seinen Bann ziehen wird:

„Er ist bis jetzt noch nicht gekommen“, sagte sie. Und aus dem Klang ihrer Stimme ließ sich schließen, was die Augen noch unvollkommen spiegeln konnten. Sie war beunruhigt.

„Er wird gesucht“, sagte ich.

Die Eitelkeit des Mehrwissers mischte sich dabei mit dem Bedürfnis, dieses großäugige Gesicht, in dem immer noch ein Rest von Schrecken darüber lebte, dass sich die Welt nicht nach Märchenschlüssen richtete, länger genießen zu können.

„Zu Hause war er auch nicht.“

„Sein Glück“, sagte ich leichthin, „wenn er schlau ist …!“

„Aber er ist nicht schlau. Und er wird Hunger haben. Ich versteh nicht, warum er nicht kommt. Essen muss er doch was.“

„Das nehm ich auf mich“, räumte ich generös ein. „Ich hab ihn gestern verjagt.“

„Aber irgendwas muss doch unternommen werden! Er kann doch nicht dort draußen bleiben.“

„Sie werden ihn schon finden.“

„Nein“, rief sie, „finden dürfen sie ihn nicht. Das geht nicht gut.“

Sie war wirklich ein schönes Mädchen und imstande, es zu vergessen, wenn sie erregt war. So griff sie nun mit der Hand über sich in die Vorhangfalte, eine Bewegung, der sie sich nicht bewusst war und die doch den Körper aufs Angenehmste spannte.

Ich kam dem Ruck, mit dem sie die Vorstellung beenden würde, zuvor, indem ich sagte:

„Vorschlag zur Güte: Wir suchen ihn. Du und ich. Gleich wenn du hier dichtgemacht hast.“

Das Du ergab sich wie von selbst; sie reagierte nicht anders, als wäre es zwischen uns schon seit Kindertagen üblich. Sie kam gleich zum Wesentlichen.

„Und wo sollen wir suchen?“

„Das weiß ich auch noch nicht. Aber wir haben schließlich den Vorteil, einiges von ihm zu wissen. Du das eine, ich das andere. Legen wir’s zusammen! Auf diese Art ist man schon manchem auf die Schliche gekommen.“

Ich beobachtete mit Genugtuung, wie die helle Aufregung in ihren Augen einer Art Bewunderung Platz machte. Nach Lage der Dinge konnte sie nur einem gewissen Krambach gelten, der gewöhnlich in Sorge war, ob der Bart sein biederes Gesicht vorteilhaft verlängere. Sollten es am Ende unbegründete Sorgen sein?

Gundels Hand ließ den Vorhang los. Sie benötigte ihren Mittelfinger, um nachdenklich an der Unterlippe zu zupfen. Schließlich blitzte das schiere Vergnügen über die Verschwörung aus ihren Augen.

„Gut“, flüsterte sie, „ich mach den Laden heut eher zu. Spätestens drei viertel drei.“

Nun schlug sie den Vorhang zurück und gab den Blick in den nüchtern hellen Verkaufsraum frei.

Die murrende Menge beruhigte sich, je näher sie in den Bannkreis der natürlichen Anmut kam. Nur wer mich in Augenschein nahm, der blieb noch dem Grimm verhaftet. Mich störte es wenig. Mit einer solchen Verabredung in der Tasche hätte ich ganz andere Spießrutenläufe gewagt.

Labyrinth ohne Schrecken“ von Joachim Nowotny erschien erstmals 1967 im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig. Das Erzähltalent Joachim Nowotnys ist unbestritten, die poetische Originalität seiner Kinderbücher zeigt dies ebenso wie die vorliegende Sammlung von Erzählungen. Nowotny hat mit diesen Geschichten den Versuch unternommen, die Farbigkeit des Lebens einzufangen. Meist wird in diesen Erzählungen erst eine Barriere des Alltäglichen durchbrochen, ehe man zu dem Eigentlichen, Bewegten, zu den prallen Vorgängen kommt. In Fabeln von außerordentlichem Reiz wird hier gezeigt, dass Lebensfülle und Vitalität nicht nur in exotischen Bereichen zu finden, sondern unvermutet hinter den Ereignissen des Alltags zu entdecken sind. Joachim Nowotny hat selbst einmal von der Bedeutung der winzigen Begebenheiten unseres Lebens gesprochen – hier finden sich solche Situationen und Verhaltensweisen. Es sind Geschichten von starker Überzeugungskraft und voll echtem Humor, Beweise, dass die Erzählung in unserer Zeit nicht nur nötig ist, sondern auch wirksam werden kann. Eine Sammlung für Freunde poetischer und eigenwilliger Geschichten.

Hier ist eine Leseprobe, die dir einen ersten Einblick in die Geschichte gibt:

„Wie sie aussahen!“, sagte Wally, „mein Gott, wie sie bloß aussahen, abgerissen und ausgemergelt, Holzschuhe hatten sie an und Blasen an den Fersen, Augen wie geprügelte Hunde, so ein Elend, ihr Leute, so ein himmelschreiendes Elend. Niemand bei uns konnte ihnen was Rechtes geben, der Krieg hatte im Dorf gehaust, da war nichts übrig geblieben. Aber sie klopften immer wieder an die Türen und Tore und bettelten, dass einem die Tränen vor Mitleid in die Augen schossen. Stand einer draußen, musste man sich die Ohren verstopfen, sonst schenkte man noch das letzte weg, was man zum nackten Leben brauchte. Eine Weile hab’ ich das ausgehalten so, ich wohnte damals in der finstersten Bude des Gemeindehauses, seit die Mutter unter der Erde war; ich lebte von einer Kartoffel pro Tag, mehr konnte ich mir nicht leisten, wenn ich bis zur neuen Ernte reichen wollte. Sauerampfer und Brennnesseln stopfte ich in mich hinein, und alles ging so hin, bis eines Tages der Siegmund anklopfte, so ein spillriges Kerlchen war das, bloß Haut und Knochen, und die Ohren hingen vom Kopf wie gefrorene Wäsche von der Leine, da konnte ich nicht mehr. Vielleicht war’ er noch ein Stück gekommen, hinterm Dorf jedenfalls hätt’ es ihm die Beine weggezogen, hingewesen wäre er vor Hunger und Schwäche, das sah ich mit einem Blick. Also nahm ich ihn auf bei mir, machte ihm ein Lager auf dem alten Kanapee (sollten die Leute ruhig reden!), und ich kochte ihm ein ganzes Kilo Kartoffeln auf einmal. Die musste er langsam essen, mit Viehsalz, bloß damit er mir am Leben blieb. Dann hab’ ich ihm gut zugeredet: Bleib hier, hab’ ich gesagt, ich bin auch allein, wir kommen schon durch beide, verlass dich drauf. Und er hat mich angesehn, der Junge, mit seinen treuen Hundeaugen, so dankbar und so ängstlich, dass ich ihn am liebsten vor lauter Glück zerdrückt hätte. Bloß damit war uns nicht geholfen. Noch in der Nacht bin ich losgegangen quer durch die finstere Heide, immer dem Süden zu, zum Oberland hin. Dort sollte es noch Dörfer geben, wo die Bauern Speck in der Kammer hatten.

Von Hof zu Hof bin ich gegangen, habe gebettelt und gebarmt, keiner gab mir was. Sie haben so furchtbar akkurate Misthaufen in den Höfen, wie abgezirkelt und gradkantig stehn die da, von Ordnung halten sie viel. Aber sie geben nichts. Ja, wenn die Städter kamen, da rückten sie schon eher mit den guten Sachen heraus, für Teppiche und Uhren, für Goldschmuck und was weiß ich noch. Ich hatte bloß mich und meine paar Lumpen auf dem Leib, da drehten sie sich nicht einmal um, wenn ich sie ansprach. Am Abend war meine Schürze leer wie ein Winterteich. Und ich dachte dauernd an meinen Siegmund, was sollte aus ihm werden, wenn ich mich so ungeschickt anstellte? In einer Feldscheune hab’ ich mich dann auf muffiges Stroh gelegt, konnte aber vor Hunger und Kummer nicht einschlafen. Da bin ich um die dritte Stunde losgegangen, den Weg ins Dorf zurück, irgendwo hatte ich am Tage gesehen, wie ein altes Weiblein Zwiebeln steckte; die scharrte ich mir aus der Erde, damit ich wenigstens etwas hatte. Ehe ich aber wieder über den Zaun war, griff mich so ein giftiger Köter an, so einer von der Sorte, die wie der Blitz um die Ecke fegen, gar nicht bellen, gleich zupacken. Die Wade hat mir das Vieh aufgerissen, bloß gut, dass ich keine Strümpfe anhatte. Na, ich bin noch davongekommen, war dem Köter direkt dankbar, dass er’s so lautlos mit mir abmachte, denn damals prügelten sie einen ohne Pardon windelweich, wenn sie einen griffen. Von der Schürze hab’ ich mir einen Rand abgerissen und ums Bein gewickelt, so bin ich im Morgengrauen losgehumpelt, über den Berg hinweg in ein anderes Dorf. Gleich beim ersten Hof roch’s nach Dämpfkartoffeln, da biss mich der Hunger sofort mit tausend Zähnen, ich ging einfach durchs Zauntor los auf die Futterküchentür zu. Da machte plötzlich einer die Tür von innen auf, so ein drahtiger Bengel mit frechen Augen und höchstens 16 Jahre alt, der erschrak kein bisschen, wie er mich so stehn sah, guckte immer bloß auf meine Bluse, da trug ich die Zwiebeln dahinter. Wer weiß, was er sich gedacht hat, der Lausejunge, der grüne, jedenfalls zog er mich am Arm in die dämmrige Futterküche, dort fiel er über mich her, wollte mich ins Grünfutter schmeißen, noch ehe ich eine Kartoffel greifen konnte. Ich schrie, was meine Lunge hergab, und wehrte mich mit meinen paar Kräften und schrie, bis der Bauer gestürzt kam; da schrie ich auch noch weiter, so lange, bis er mir mit einigen Dämpfkartoffeln den Mund gestopft hatte. Aber auch da schrie ich noch zwischen den einzelnen Bissen, der Bauer jagte schließlich den Jungen los, er musste mir ein viertel Pfund niedrigen Speck holen; erst als ich den in der Bluse hatte, war ich ruhig. Auf dem Heimweg kam ich dann noch an einer Wassermühle vorbei, dort kannte ich den Brotbäcker, von ihm wollte ich mir noch eine Tüte Schrotmehl erbetteln, aber auch er gab nichts.

Das Kinderbuch „Hochwasser im Dorf“ von Joachim Nowotny erschien erstmals 1963 in Der Kinderbuchverlag Berlin. Heino, der lange Bartel, Brocken-Theo und der kleine Belo langweilen sich in den Winterferien, weil nichts passiert. den alten Hubein lachen sie aus, weil er vor einem Hochwasser warnt. Der träge dahinfließende Bach überschwemmt zwar die Wiesen, aber die Häuser im Dorf sind nicht betroffen. Doch diesen Winter ist alles anders. Voller Eifer unterstützen die Jungen die Erwachsenen bei der Bekämpfung des Hochwassers. Als das Eis sich staunt und das Sprengkommando keine Zeit hat, hat der lange Bartel eine großartige Idee. Die Erwachsenen finden diese aber gar nicht so gut und verordnen den Jungen Stubenarrest, gerade jetzt, wo das Hochwasser schon das Dorf umschließt. Wird man ihnen die Sache mit dem Karbid nicht endlich verzeihen und ist ihre tatkräftige Hilfe deshalb ganz vergessen?

Neugierig geworden? Tauchen wir jetzt direkt in das Buch ein und verschaffen uns einen ersten Eindruck. Hier ist eine spannende Leseprobe:

Da stehen wir schon auf dem Eisblock und stemmen uns aus Leibeskräften gegen die äußeren Schollen. Aber es ist alles umsonst. Das Eis lässt sich keinen Millimeter bewegen.

Wütend knallt Brocken-Theo den Feuerhaken nach unten. „Zwecklos“, sagt er.

Der kleine Belo zeigt in Richtung Wehr. Von dort schwimmen neue Eisschollen eilig heran. Gleich werden sie auf unseren Berg stoßen. Ehe es so weit ist, fällt plötzlich ein Schatten aufs Wasser. Ist da jemand? Wir blicken hoch.

Der lange Bartel steht auf dem Damm und grinst. Er hat die Schildmütze von seinem Vater auf und die Hände in den Taschen. Ich überlege gerade, dass es bequem ist, wenn zwei im Hause die gleiche Kopfgröße haben. Man kann nie in Verlegenheit kommen.

Da sagt der lange Bartel: „So wird das nichts.“

Das sagt er genauso, als wäre zwischen ihm und uns nie etwas gewesen.

Er kann lange reden. Wir hören gar nicht hin. Weil er doch erledigt ist für uns.

„Ich wüsste schon was“, sagt der lange Bartel.

Was wird er schon wissen? Hier ist nichts zu machen. Die Eisschollen werden so lange liegen bleiben, bis sie weggetaut sind. Und bis dahin ist das Unterdorf jämmerlich ersoffen. Da kann kein Mensch helfen, und wenn er noch so schlau ist.

„Allein kann ich das natürlich nicht machen“, sagt der lange Bartel.

Also weiß er doch etwas. Will er das Eis vielleicht weghexen? Langsam werde ich neugierig. Und ich beschließe, es so zu machen, wie gestern der Pistrosch mit dem alten Bartel. Vorübergehend werde ich Frieden schließen, bis dem Dorf aus der Not geholfen ist. Danach ist auch noch Zeit, um auf die alte Geschichte zurückzukommen.

Ich springe mit einem mächtigen Satz vom Eisberg auf den Damm.

„Also“, sag ich zum Langen, „was weißt du? Wir könnten dir unter Umständen helfen.“

Der Lange mustert mich misstrauisch. Kann man dem trauen? fragen seine Augen. Schließlich gibt er sich zufrieden.

„Aber ich mach die Sache nur, wenn ich wieder euer Kapitän bin.“

Das könnte ihm so passen. Den Posten gebe ich nicht wieder her. Und wenn er sich auf den Kopf stellt.

Brocken-Theo ist schon wieder wütend. Seine Schuhspitze knallt gegen einen Eisbrocken, sodass der in tausend Stücke zerspringt. Dann hustet er in die hohle Hand.

„Ihr steht hier und streitet euch um den Posten, und derweil bricht vielleicht der Querdamm. Eine Zucht ist das!“

Sieh mal einer an, wie sich der Theo mausert. Sonst kriegt er kaum den Mund auf. Und auf einmal will er mich kritisieren. Aber nicht genug! Auch der kleine Belo zupft mich am Ärmel. „Sag doch ja“, bettelt er.

Von so einem Feigling lass ich mir überhaupt nichts sagen.

Der lange Bartel zuckt mit den Schultern. Weil er die Hände immer noch in den Taschen hat, zucken sogar die Hosen mit.

„Ich kann die Sache natürlich auch mit Tusche-Lothar und dem dicken Lukas machen. Nur, mit euch wär mir’s vielleicht lieber.“

Was sagt er da? Andere sollen ihm bei der Rettung des Dorfes helfen? Kommt gar nicht infrage!

„Also“, presse ich heraus, „da übergeb ich dir also das Kommando.“

Der Lange schiebt die Mütze ins Gesicht. Breitbeinig steht er plötzlich auf dem Damm.

„Das wird eine tolle Sache, Leute“, erklärt er. „Aber nun nichts wie fort! Wir müssen uns beeilen.“

Satz „Schau auf die Erde – Der Flug des Falken. Zweites Buch: Abschied von den Träumen. Die rebellische Jugend des Friedrich Engels“ von Walter Baumert erschien erstmals 1981 unter dem Titel „Schau auf die Erde“ im Verlag „Neues Leben Berlin“ und gleichzeitig unter dem Titel „Der Flug des Falken“ im Weltkreis-Verlag Dortmund.

Ein Mensch wächst ins Leben, ein Mensch, mit dem man lachen und weinen, zweifeln und hoffen kann. Der wohlbehütete Fabrikantensohn, mit überdurchschnittlicher Intelligenz begabt und von großem Gerechtigkeitsempfinden erfüllt, wird zwischen der Zuneigung zu den Eltern, der Liebe zu Gott und der Armut und Ungerechtigkeit in der nächsten Umwelt hin und her gerissen. Seine Versuche, sich aufzulehnen, bringen ihn oft in Bedrängnis und führen zur harten Entscheidung des Vaters, dass er Kaufmann zu werden habe. Nebenbei bildet er sich, sucht er Gleichgesinnte, streitet Nächte hindurch, schreibt Gedichte und liebt – das Arbeitermädchen Agnes, die todkranke Pianistin Magdalena, die wenig ältere Susanne, die kapriziöse Jane, dann lernt er Mary Burns kennen.

Ein junger Mensch in seinem Widerspruch, in seiner Entwicklung wird dargestellt: Friedrich Engels.

Die „gute alte Zeit“ um 1830 war keineswegs eine beschauliche Epoche.

Auch wenn der preußische Obrigkeitsstaat für Friedhofsruhe gesorgt zu haben scheint, gärt es in deutschen Landen.

In dieser Zeit des Vormärz wächst der junge Engels heran, Sohn eines Wuppertaler Textilfabrikanten. Schon früh stößt Friedrich auf den Gegensatz von industriellem Aufschwung und dem Elend der arbeitenden Menschen. Schritt für Schritt löst er sich aus der beengten Umgebung des Elternhauses. Begegnungen mit immer neuen Menschen geben Friedrich neue Anstöße, die Halbheiten manches Vorbildes reizen zum Widerspruch, das Unrecht zur Rebellion.

Nach dem Buch entstand 1985 der 4-teilige Film für das DDR-Fernsehen der DDR „Flug des Falken“.

Das 2. Buch schildert die Zeit seiner kaufmännischen Ausbildung in Bremen, in der er unter dem Namen „Friedrich Oswald“ zahlreiche Beiträge, aber auch erste Lyrik- und Prosaarbeiten, in fortschrittlichen Zeitungen veröffentlichte.

Hier ist eine Leseprobe, die in die Welt von Friedrich Engels entführt:

Auf dem Weg erzählte Judith ihm die Geschichte ihres Bruders. Was hatte dem Bruder die Taufe genutzt? In der Kaserne gelte er dennoch als „Itzig“, dazu war er schwächlich und ängstlich. Der Reichtum des Vaters war bekannt. Zur Rassenverachtung kam der Neid der armseligen Rekruten, Feldwebel, Offiziere.

„Es wäre doch ein leichtes für Ihren Vater gewesen, ihn vom Dienst freizukaufen?“

Das Mädchen nickte. Gerade das wollte ihr Vater nicht. Mit dem Eintritt des Sohnes als Freiwilliger in die Armee erhoffte er sich die ersehnte Gleichberechtigung in der Bremer Bürgerschaft.

Plötzlich zügelte der Kutscher die Pferde. Entsetzt sahen beide, dass eine Abteilung der Bremer Wachmannschaft ein Haus umstellt hatte. Judith brach in Jammern aus. „Zu spät. Sie haben ihn gefunden.“

Friedrich sprang aus der Kutsche. Gerade wurde der Deserteur in Ketten aus dem Haus geführt. Der Junge erkannte ihn. „Helfen Sie mir, Herr Engels!“ Friedrich richtete ein paar tröstende Worte an ihn, bevor Soldaten den Gefangenen weiterrissen. Er sah als letztes den angstvollen, verzweifelten Blick des Jungen.

Friedrich hielt das Mädchen, das die Kutsche verlassen hatte und ihrem Bruder nachlaufen wollte, zurück. Gebrochen sank sie in seine Arme.

Ein furchtbarer Verdacht stieg plötzlich in Friedrich auf. Judiths Verlobter, ein adliger Offizier …? „Haben Sie Ihrem Verlobten das Versteck Ihres Bruders preisgegeben?“

Das Mädchen stutzte. Empörung, Entsetzen spiegelten sich auf ihrem Gesicht. „Sie glauben doch nicht, dass Harald, der edelste Mensch, sein Wort gebrochen hat?“

„Also kannte er das Versteck.“

Judith löste sich heftig von ihm. „Was hat er Ihnen getan? Warum denken Sie so gemein über ihn?“, schrie sie. Er versuchte, sie zu beschwichtigen. Aber ihr Anfall steigerte sich dadurch nur noch mehr. „Lassen Sie mich in Ruhe! Lassen Sie mich!“ Wie besessen rannte sie zur Kutsche.

Friedrich blickte ihr nach. Unsicher wandte er sich ab. Allein ging er zu Fuß zurück in die Stadt. Sein Herz war von Mitleid und Selbstvorwürfen erfüllt. Judith – das schöne Judenmädchen – und ein junger blonder adliger Offizier … In tiefer Liebe zueinander verstrickt, aber unglücklich, denn doppelte Schranken verhinderten ihre Vereinigung, die des Standes und die der Religion. Unglück drohte dem liebenden Herzen des Mädchens, Verzweiflung. Da entschloss sich der Vater, der das Verhängnis spürte, zum Äußersten. Bis dahin ehrwürdiger, gläubiger Patriarch, trat er mit seiner Familie zum Christentum über … Aber um das Glück der Tochter zu retten, musste noch ein weiteres schreckliches Opfer gebracht werden. Der schwächliche Sohn musste als Freiwilliger zu den Soldaten … Der Tragödie vierter Akt begann, eines Lessing, eines Shakespeare, eines Racine würdig. Und ich, ein bäurischer Tölpel, wittere Unrat, Berechnung, Verrat … Ich werde ihr schreiben. In bittersten Worten werde ich mich anklagen und um Verzeihung bitten!

Tagelang schlug er sich mit diesem Vorhaben und seiner Zerknirschung herum. Bis er eines Nachmittags, aus dem Kontor heimkehrend, in die Martinigasse einbog. Vor der Kirche stand eine prachtvolle Hochzeitskutsche. Blumenmädchen bestreuten die Treppe. Ein Teppich war ausgerollt. Eine Kapelle spielte. Damen in festlichen Kleidern, Herren im Frack und in Uniform. Aus dem Portal des Rathauses trat mit weißem Brautschleier Judith. Da erstarrte Friedrich. Der Mann an Judiths Arm …, das blasierte Gesicht des Offiziers aus dem Ratskeller!

„Was wollen Sie“, höhnte Maler Feistkorn, der neben ihn getreten war. „Kotbek und seine Sippschaft sind bis zum Hals verschuldet. In der Familie des jüdischen Wucherers aber sind alle ehrliche Christenmenschen geworden. Geld und Adel. Eins stinkt dem anderen nicht.“ – „Und der Sohn?“ – „Der alte Goldstein hat sich offiziell von ihm losgesagt. Wie man hört, wurde er begnadigt.“

Es brauchte ein paar Sekunden, bis Friedrich diese Geschichte verdaut hatte, dann lachte er, laut, sarkastisch, mit Tränen in den Augen.

Bevor wir mit der heutigen Post aus Pinnow zum guten Ende kommen, wollen wir erstmal noch Fröhliche Weihnachten wünschen. Schließlich ist es in zwei Tagen endlich so weit. Machen Sie es sich gemütlich, genießen Sie die bevorstehenden Feiertage und vermeiden Sie zu viel Stress. Aber wahrscheinlich haben Sie schon alles gut vorbereitet und können die bevorstehende Auszeit genießen. Fröhliche Weihnachten.

Und falls Sie doch noch ein eiliges E-Book als Weihnachtsgeschenk brauchen sollten, dann haben Sie auch heute noch einmal fünf Sonderangebote zur Auswahl – und zwar sehr unterschiedliche Angebote, von Erik Neutsch über gleich dreimal Joachim Nowotny bis zu Walter Baumert und seiner spannenden Friedrich-Engels-Biografie, Band 2. Sie können aber auch die Gelegenheit nutzen und für sich selbst bestellen.

So oder so viel Vergnügen beim Lesen, kommen Sie weiter gut durch die letzten Dezembertage, bleiben auch Sie am Ende dieses Jahres weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.

In der nächsten Woche steht im fünften und letzten Dezember-Newsletter noch einmal ein Buch von Erik Neutsch als Sonderangebot zur Auswahl. In seinem Buch „Die Regengeschichte“ von 1960 setzt sich der Autor mit heftigen Konflikten in Wirtschaft und Gesellschaft der jungen Republik auseinander: Nachdem der erfahrene Betriebsleiter der Chlorfabrik klammheimlich die DDR verlassen hat, wird der junge Wissenschaftler Dr. Bellmann, der keine Praxiserfahrung besitzt, an seine Stelle gesetzt. Nachdem ein Arbeiter durch eigenes Verschulden tödlich verunglückt, wiegelt Meister Kelle, der in der Fabrik alt geworden ist, seine Arbeiter gegen den jungen Chef auf und fordert mit einer Unterschriftenaktion seine Absetzung. Nur einer unterschreibt nicht …

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 29 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.300 Titel. E-Books sind barrierefrei und Bücher werden klimaneutral gedruckt.

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