Verlag C.H. Beck, München 2023
198 Seiten,
Paperback: 18 Euro.
E-Book: 12,99 Euro.
ISBN-10: 3406807194
ISBN-13: 978-3406807190
Wir traumwandeln gerade durch die internationale Politik und das Ende ist ungewiss. Die Autoren Josef Braml und Mathew Burrows warnen in ihrem neuen Buch vor dem weltpolitischen Taumel in einen neuen Weltkrieg. „Chimerica“ ist vorbei, der Juniorpartner wird erwachsen und will eigenständig handeln. Die Folge: Der Westen befindet sich mit China auf Kollisionskurs und es fällt beiden Partnern zunehmend schwerer, rationale Entscheidungen zu treffen. Der zunehmende Nationalismus lasse internationale Interessen, wie die Weltarmut oder den Klimawandel, zugunsten von Eigeninteressen zurücktreten. Um die angespannte Weltlage besser zu verstehen, entwerfen die Autoren drei mögliche Zukunftsszenarien. Ihr Aufruf ist ein Weckruf: Aufwachen, die Naivität und den Idealismus beiseitelegen und die Realität konstruktiv zum Wohle der nächsten Generation gestalten.
Zum Buch
Auf fast 200 Seiten beschreiben die beiden Experten drei mögliche Szenarien. Prolog, Einführung und Fazit rahmen die Ausführungen ein. Das erste Kapitel ist dem schlechten Szenario gewidmet. Die Bipolarität verfestigt sich und ein neuer kalter Krieg mit massiven Wohlstandsverlusten beherrscht das Weltgeschehen. Kapitel zwei beschreibt das hässliche Szenario und skizziert die Möglichkeit eines dritten Weltkrieges. Auslöser könnte ein Angriff auf Taiwan sein. Kapitel drei beschreibt das gute Szenario, das auf Diplomatie, erneuerte Globalisierung und Zusammenarbeit setzt. Kapitel vier spricht die Realität an, der sich alle Akteure stellen müssen, um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten: Russland muss den Krieg beenden, der Klimawandel muss bekämpft werden, die Wirtschaftsordnung muss stabilisiert werden und der Westen muss wieder stärker werden.
Als Rahmenhandlung werden die Ereignisse des Ersten Weltkrieges herangezogen, die mit dem Tod des Erzherzogs Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo begannen. Die Autoren folgen der These des Historikers Christopher Clark: Damals schlafwandelte man durch militärische Zwänge, aggressive Risikobereitschaft, falsche Erwartungen und Fehleinschätzungen in den Ersten Weltkrieg. Genau diese fatale Mischung der Realitätsferne sei auch heute das Problem, zumal die Welt ungleich komplexer geworden sei. „Die Geschichte mag sich nicht wiederholen, aber sie könnte sich reimen, sollten die rivalisierenden Weltmächte von heute in einen Krieg hineinschlittern“ (S. 11). Um ein erneutes Traumwandeln zu vermeiden, müssten die „idealistischen Köpfe, [die] nach dem zweiten Einmarsch Russlands in die Ukraine seit Februar 2022 aus ihren postsowjetischen Tagträumen“ (S. 11) erwachten, nun erkennen, dass sie in Bezug auf China in den nächsten Albtraum unterwegs sind.
Nach Marx spiele sich die Geschichte zuerst als Tragödie ab und wiederhole sich als Farce. Es benötige also visionäre und vorausschauende Strategien, um eine erneute Katastrophe zu vermeiden. Allerdings weisen die gescheiterten diplomatischen Beziehungen, die fatalistische Stimmung unter den Eliten und die Eskalationsbereitschaft der Nationalstaaten in eine andere Richtung. Die globale Konjunkturabschwächung heize den Nationalismus an, und der von der Corona-Pandemie gesteigerte Verlust des inneren Zusammenhaltes der Gesellschaft werde weiter abnehmen. Klimawandel und Krieg erschweren die Lage und würden entfernt an die vier Reiter der Offenbarung erinnern: Eroberung, Armut, Hunger und Tod. Die Apokalypse bliebe nur aus, wenn die Menschheit dazulerne.
Zur Sache
Das Buch ist klar in der Aussage, übersichtlich und gut gegliedert. Man erkennt, dass beide Autoren ausgewiesene Kenner das Materie sind. Braml ist USA-Experte und Direktor eines einflussreichen Think Tanks. Burrows hat lange Jahre in führenden Positionen für das CIA und für den National Intelligence Council (NIC) gearbeitet. Der transatlantische Blick bereichert den Band. Viele Zahlen, Einblicke in die Finanzpolitik und wirtschaftliche Hintergründe begleiten die Ausführungen. Trotzdem bleibt das Buch für den Laien lesbar. Eine nicht flüssige Übersetzung erschwert allerdings die Gedankenführung. Dem Szenariogedanken geschuldet ist der häufig verwendete Konjunktiv, der gegen Ende etwas ermüdend wirkt.
Der Vergleich der Situation vor dem Ersten Weltkrieg mit der heutigen ist beeindruckend, wird aber im Buch nicht weiter ausgeführt. Allein der Aufruf zum Aufwachen hat etwas Dramatisches, das den Ausführungen Dringlichkeit verleiht. Hier werden diffuse Ängste vor einem möglichen dritten Weltkrieg konkret. Auch der Satz: „Es ist gut möglich, dass die chinesisch-amerikanischen Spannungen nicht sofort verschwinden werden. Eine gehörige Portion Glück dürfte nötig sein, um die zunehmende Eskalationsgefahr einzudämmen“ (S. 93), lässt nichts Gutes erahnen. Also aufwachen und realisieren: Die Apokalypse könnte näher sein, als uns lieb ist.
Claudia Mohr
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