Demografischer Wandel sorgt für Ungleichgewicht
Von mindestens 125.000 Handwerksbetrieben bundesweit ist die Rede, die in den nächsten fünf Jahren einen Nachfolger brauchen. Im Gebiet der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald geht man von 1.800 aus – auf den Betrieb genau, kann es keiner sagen. Fakt ist: Viele Betriebsinhaber sind in einem Alter, das nach einer Nachfolgeregelung verlangt. Jeder vierte Unternehmenschef im Handwerk ist über 60 Jahre alt. Und der demografische Wandel lässt die Zahl der Jungen, die nachrücken können, gegenüber den Älteren, die ausscheiden wollen, ins Ungleichgewicht geraten. Die Zeiten, dass Betriebsnachfolger immer aus der Familie kommen, sind ebenfalls vorbei. Auch im Fall der Glaserei Simon stellte sich die Situation anders dar. „Meine Tochter lebt in Paris“, sagt Jürgen Simon stolz. Die Übernahme der Firma war für sie keine Option. Nach 159 Jahren und fünf Generationen im Familienbesitz steht die Glaserei vor einem Wendepunkt. Und doch bleibt vieles beim Alten: der Name genauso wie die Werte, für die der alteingesessene Mannheimer Handwerksbetrieb steht.
Dass der Übergang von Jürgen Simon zu Yannic Daum so gut gelang, ist das Ergebnis einer vorausschauenden Planung. Auch die Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald hat mit ihren Beratungsangeboten dabei geholfen und begleitend unterstützt. „Wir bieten, wenn gewünscht, ein Allround-Paket“, sagt der Leiter des Geschäftsbereichs Wirtschaftsförderung, Rolf Koch. „Dazu gehört die Unternehmensbewertung des zu übernehmenden Betriebs und schließlich ein umfassender Businessplan mit Finanzierungsplan, Rentabilitätsvorschau und Liquiditätsplanung.“ So begleitet die Mannheimer Handwerkskammer sowohl Übergabewillige als auch potenzielle Nachfolger mit umfassenden Konzepten. Daraus leitet sich aber auch einer der wichtigsten Grundsätze für eine reibungslose Betriebsübergabe ab: Sie braucht nämlich Zeit. „Betriebsinhaber machen sich im Idealfall schon Jahre vor der eigentlichen Übergabe Gedanken und arbeiten gezielt auf diese hin“, so Rolf Koch.
Erst als Geselle und Meister im Betrieb gearbeitet
Diese Zeit hat man sich in der Glaserei Simon genommen. Die Übergabe sollte geregelt vonstattengehen. Nichts wurde übers Knie gebrochen. Und so fing Yannic Daum – eigentlich gelernter Rollladenbauer – in der Firma, die er einmal übernehmen sollte, zunächst als Geselle an. Das war im Januar 2019 und hat „prima funktioniert“, wie der „alte“ Chef resümiert. Schritt 2: die Fortbildung zum Meister – ein Jahr in Vollzeit an der Meisterschule für Glasermeister in Karlsruhe. Seit Januar 2021 war Yannic Daum daran anschließend als Meister in der Glaserei Simon beschäftigt, mit dem Plan, den Betrieb zum Januar 2024 zu übernehmen. „Und so hat das auch hingehauen“, freut sich Jürgen Simon.
Was in den Jahren bis zur Übergabe passierte, lässt sich wohl als „Königsweg“ beschreiben. Es war ein begleiteter Wechsel – in jeder Hinsicht. Begleitet von Experten der Handwerkskammer. Begleitet aber auch aus der Sicht des Nachfolgers, denn die Verantwortung ging Step by Step an ihn über. „Ich war nie alleine, hatte immer Rückendeckung, konnte fragen, auch mal Fehler machen und habe in den vergangenen zwei Jahren dann mehr und mehr die Führung übernommen“, sagt Yannic Daum. Genau das lag Jürgen Simon am Herzen. Vielleicht auch deshalb, weil er selbst ganz andere Erfahrungen machte, als er im Jahr 1997 die Firma von seinem Vater übernahm. „Für mich war das furchtbar, ich war praktisch auf mich selbst gestellt“, erinnert er sich. Keine Unterstützung, keine Einweisung, keine Übergabe. „Ich musste sehr um Akzeptanz kämpfen“, sagt er. Und das nicht nur, was Ideen für nötige Umstrukturierungen und Modernisierungen im Betrieb betraf. „Die Mitarbeiter waren im Alter meines Vaters, er selbst wollte nicht so richtig loslassen. Irgendwann musste die Entscheidung fallen: Entweder ich mache das jetzt richtig oder gar nicht.“ Bis der Wechsel vollzogen war, sei so manche Träne geflossen.
Nachfolger langsam an die neue Aufgabe herangeführt
Heute muss Jürgen Simon der Firma, in der auch sein Lebenswerk steckt, nach der Übergabe in eine neue Generation nicht hinterher weinen. Er ist sich sicher, dass dem Handwerksbetrieb, der im Jahr 1865 seinen Anfang nahm, als sein Ur-Ur-Großvater Valentin im damals noch idyllischen Bauerndorf Neckarau beschloss, sich als Glaser selbständig zu machen, eine gute Zukunft bevorsteht. „Ich fühle mich erleichtert“, sagt er. „Ich habe Yannic langsam an seine Aufgabe herangeführt und bin stolz darauf, wie er all dies angenommen hat.“ Auch in Zukunft könne er jederzeit anrufen. Vermutlich wird dies gar nicht nötig sein. Aber Sicherheit gibt es dennoch. „Ich weiß, was wir können. Es gibt uns schon so lange. Es ist eine Ehre für mich, diesen Betrieb, mit dieser Reputation, diesem Ruf, der langjährigen Erfahrung übernehmen zu dürfen“, sagt der neue Firmenchef. „Das ist einfach unbezahlbar.“
Oftmals scheiden sich bei Übergaben auch daran die Geister. Denn dass Vorgänger und Nachfolger verschiedene Vorstellungen vom Wert einer Firma haben, kommt nicht selten vor. „Ich glaube, dass dies zur größten Problematik bei Übergaben gehört“, sagt Jürgen Simon. „Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz – gerade auch bei den Zahlen – waren mir deshalb sehr wichtig.“ Aus der Sicht von Yannic Daum heißt das: Er wusste immer, worauf er sich einlässt, und musste keine Überraschungen fürchten. Darauf lässt sich aufbauen. Und die Pläne stehen schon: „Die Firma hat Potenzial“, glaubt er. Er will es nutzen, das Team von aktuell sieben Mitarbeitern nach und nach aufzustocken und sich mit der Ausbildung einer „echten Herzensangelegenheit“ widmen – in der Glaserei Simon, mit altem Namen, aber neuem Inhaber Yannic Daum.
In allen Fragen der Betriebsübergabe oder Existenzgründung berät die Wirtschaftsförderung der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, Ansprechpartner Rolf Koch, Telefon: 0621 18002-156, E-Mail: rolf.koch@hwk-mannheim.de.
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