Es ändert sich gerade viel an den Rahmenbedingungen für den Einsatz von Remote Monitoring-Lösungen in der Patientenversorgung. Und auch in Sachen Vergütungsmodelle hat sich viel getan. Darüber sprechen wir mit zwei Machern, die seit über 10 Jahren mit einem klaren Fokus auf "Personal Digital Medicine" in diesem Feld unterwegs sind.  Wie nutzen sie die Marktveränderungen und wie schätzen sie "die schöne neue Welt der KI-Anwendungen" im Kontext Patient-Remote-Monitoring ein?

Tobias Hastenteufel (1) und Erwin Junker (2) sind zwei Gründer der Qurasoft GmbH (3), einem jungen Unternehmen aus Koblenz. Beide kennen sich seit ihrem Studium an der Universität  Koblenz, beide sind Informatiker, die als studentische Unternehmensgründer mit der Idee gestartet sind, etwas Sinnvolles zu machen. Sie wollten und wollen bis heute Nutzen schaffen, mit dem, was sie als Informatiker besonders gut können, „Daten von A nach B zu transportieren“, keine Katzenvideos, sondern Daten aus dem häuslichen Umfeld von Patienten hinein in die Praxen von Ärzten. Und das soll möglichst sicher sein und die Grundlage dafür liefern, bessere medizinische Entscheidungen zu treffen und Menschen einfacher und besser zu versorgen. Move patients, not data – ist bis heute der Slogan ihres Unternehmens.

„Ja, das war tatsächlich unser Antrieb,“ bestätigt Tobias Hastenteufel, der immer wieder ungläubige Blicke erntet, wenn er vom Start ohne Business Plan und Investoren berichtet. „Wir haben immer sehr gut zugehört, waren viel auf Messen, sind mit den Ärzten ins Gespräch gekommen, haben gelernt, was sie brauchen. Wir sind dann ganz natürlich in die Use Cases hineingewachsen,“ erklärt Erwin Junker ihren hands-on Ansatz. Sie haben technische Lösungen entwickelt, um Menschen mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen, Allergien, Asthma oder auch Herzinsuffizienz besser zu versorgen. „Auch die Regulatorik war für uns absolutes Neuland, man hat uns vor dem hohen Aufwand gewarnt, der mit der Herstellung und dem Vertrieb von technischen Lösungen für den Gesundheitsbereich verbunden ist.“ Es hat sie nicht abgeschreckt, sie haben sich pragmatisch Schritt für Schritt das angeeignet, was sie gebraucht haben. Und noch bevor sie eine Vermarktungsstrategie hatten, hatten sie ihre ersten Kunden, die sich für ihr Produkt interessiert und nach dem Preis gefragt haben – zum großen Erstaunen der jungen Gründer.

Datenstandards & Usability – entscheidende Erfolgsfaktoren im RPM

„Bis heute sind wir weder auf Indikationen noch bestimmte technische Sensoren beschränkt. Wir haben eine anpassbare, skalierbare Plattform. Wir bieten die flexibelste Lösung, die es im Moment gibt, um Patienten Monitoring zu machen,“ erklären die beiden. Ihr System arbeitet mit HL7 FHIR (4). Sie nutzen den Datenstandard, der für den Austausch zwischen Softwaresystemen im Gesundheitswesen konzipiert ist, um optimal anschlussfähig zu sein z. B. an Praxissoftware Systeme oder an Messgeräte und Wearables, die in die Qurasoft Lösung integriert werden. 

Und auch der hohe Stellenwert der Anwenderfreundlichkeit für die Akzeptanz bei den Nutzern und damit für den Erfolg einer RPM-Lösung liegt auf der Hand „Chroniker haben mit ihrer Krankheit ohnehin viel zu schaffen, wir wollen sie nicht mit Technik überfordern. Im Prinzip lässt sich jeder Sensor integrieren – das ist nicht das Problem. Die Frage ist, was der Patient vor Ort braucht, was dort installiert werden muss, am besten so wenig wie möglich und am besten so einfach wie möglich für den Patienten zu bedienen“, das ist bis heute das Credo der beiden Gründer geblieben.

Ohne Business Plan zum Business Modell

Als die beiden angefangen haben, gab es keinen Abrechnungsschlüssel für Remote Patienten Monitoring, die Verträge mussten mit jeder Krankenkasse einzeln gemacht werden. „20 verschiedene Selektivverträge, man kann sich leicht vorstellen, wie hochkomplex das ist und wie viele Ressourcen das bindet,“ erklärt Erwin Junker. Eine Software-Lösung für Pharmaunternehmen, die sich auf einen klar definierten Use Case konzentriert, nämlich den Einsatz im Rahmen klinischer Studien, ist im Vergleich dazu recht simpel. Im Business Modell von Qurasoft haben Dienstleistungen für Pharmaunternehmen deshalb von Anfang an einen festen Platz (5): „Wir arbeiten bis heute erfolgreich und gerne als Dienstleister für Pharmaunternehmen, erfassen im Rahmen klinischer Studien die Daten von Studienteilnehmern mit Sensoren oder Fragebögen und übermitteln diese sicher zur weiteren Verarbeitung an die klinische Forschung der Unternehmen. Das macht die Durchführung schneller, reduziert den Aufwand und verbessert die Datenqualität.“ 

RPM-Vergütungsmodelle in kardiologischen Telemonitoring-Zentren

Und diese Arbeit als Partner in klinischen Studien hat letztlich auch die Basis gelegt für die Entwicklung neuer Vergütungsmodelle für das Patienten Monitoring. Heute gibt es eine Vergütungsziffer für Kardiologen, die in der Regelversorgung bundesweit genutzt wird. Es gibt extrabudgetär rund 1300 Euro pro Patienten im Jahr für den Kardiologen (6):

Damit man diese Ziffer abrechnen kann, müssen sich Praxen als Telemonitoring-Zentren zertifizieren. Es gibt bundesweit rund 330 Kardiologen in eigener Praxis, dazu noch Kardiologen, die in MVZs tätig sind. Sie versorgen rund 2,5 Mio. Menschen mit Herzinsuffizienz, bedingt durch den demographischen Wandel steigt die Zahl der Betroffenen. Jeder Kardiologe hat zwischen 20 und 100 Patienten , die für ein Monitoring in Fragen kommen, das über die neue Vergütungsziffer abgerechnet werden kann. Das sind alles Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz (NYHA II und III), die der Kardiologe im Remote-Monitoring gut versorgen kann, ohne dass die Patienten jedes Quartal einbestellt werden müssen. Das schafft Freiräume für andere Patienten. Kardiologen können die Patienten zu physischen Terminen in die Praxis einbestellen, die sie wirklich sehen müssen.

Zur Überwachung dieser häufig älteren, wenig digital-affinen und schwerkranken Patienten braucht es Produkte mit hervorragender Usability. Sie arbeiten nicht mit Bluetooth, sondern mit eSIM Karten, die sich automatisch mit dem Mobilfunknetz verbinden und die Daten absenden können. Die Daten werden nach der Messung also ohne aktives Zutun der Patienten direkt übertragen. Eine Patienten-App braucht es dafür oft nicht.

Auf dem Weg zu integrierten Remote-Versorgungslösungen 

"Unser Support für Praxen und Patient ist umfassend. Wenn notwendig, helfen wir den Praxen bei der Zertifizierung als Telemedizinisches Zentrum (7), das ist die Voraussetzung für die Abrechnung der Leistungsziffern. Wir schicken die benötigten Sensoren zum Patienten. Und über die Hotline sind wir erreichbar, wenn in den Praxen oder beim Patienten etwas technisch nicht funktioniert. Dort kommen tatsächlich auch dankbare Rückmeldungen von den Praxen an, die man als technischer Dienstleister nicht unbedingt erwartet. Wir sind also nahe dran an unserer initialen Vision, als Informatiker etwas Sinnvolles zu tun, wenn wir Daten von A nach B transferieren, move data not patients!“ 

Was bringt die Zukunft? 

„Alles läuft darauf heraus, dass Versorgunglösungen immer besser miteinander verknüpft und integriert werden. Und das ist richtig und wichtig,“ so die allgemeine Einschätzung der Gründer. Die Änderungen im Digitalgesetz (8) stärken die Telemedizin, so wird Telemonitoring in den Apps auf Rezept erlaubt, was den Arzt besser einbindet. „Der Arzt muss nach unserer festen Überzeugung immer mit im Boot sein, und klar: Wir können als Unternehmen technisch sehr viel bieten, z. B. Apps bauen oder unsere Plattform als Grundlage für mögliche DiGAs bereitstellen, wie das Beispiel der Mental-App Convalo zeigt (9). Am Ende zählt in der Behandlung aber immer die persönliche Beziehung, wir sprechen deshalb von „Personal Digital Medicine“, betont Tobias Hastenteufel.

Weil die bisherige fall- und leistungsbezogene Begrenzung für Videosprechstunden mit dem neuen Digitalgesetz wegfällt, wird die Erbringung telemedizinischer Leistungen insgesamt einen positiven Schub erhalten (9). Und selbst im stationären Umfeld entwickeln sich Remote-Monitoring-Lösungen, d. h. Service-Dienstleister bieten stationären Einrichtungen digitale Rund-um-die-Uhr-Fernbetreuung von Patienten auf Intensivstationen an. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und der klinischen Erfahrung der Telemedizinspezialisten soll das Personal in den Häusern entlastet werden. Sie erfassen die Daten von Intensivpatienten, werten sie in Echtzeit aus und leiten daraus Handlungsempfehlungen für Ärzte und Pflegepersonal ab, Die Vergütung läuft im Rahmen von Strukturverträgen (10). 

KI – Game Changer im Remote Patient Monitoring?

„Oft ist das Thema KI ziemlich gehypt. Bei Qurasoft fokussieren wir uns jedoch auf nachhaltige KI-gestützte Lösungen, die eine Chance haben, in den nächsten Jahren tatsächlich die Versorgung zu erreichen. Und dann gehen wir damit im Business Development ganz pragmatisch um, mit viel Entscheidungsfreiheit und ohne Investoren,“ so Erwin Junker.

Im Remote-Monitoring werden sehr viele Daten erfasst – die Integration dieser Daten in andere Systeme – ePA und Praxisverwaltungssysteme – funktioniert über verschiedene Schnittstellen, die definiert und nutzbar sind (XDT, GDT, BDT). „In den Praxen treffen wir allerdings auf Abrechnungssysteme und keine Arzt-Informationssysteme, die auf derart große Datenmengen ausgerichtet sind. Das ist die eigentliche technische Hürde“, erklärt Tobias Hastenteufel.

„Mit unseren Remote-Monitoring-Programmen gewinnen wir über viele Monate hinweg longitudinale Daten aus der Versorgung. Damit können wir Modellierungen machen, d. h. was wären vermutlich bestimmte Outcome-Parameter, wenn der Patient statt Arzneimittel A eine Therapie B erhalten hätte. Solche Daten können wir ableiten und als Entscheidungsunterstützung bereitstellen, das ist aber keine KI im Spiel. Und was therapeutisch gemacht wird, entscheidet weiterhin allein der Arzt,“ so Erwin Junker

Wie man aus den riesigen Mengen von Patientendaten, die im häuslichen Umfeld mittels Sensoren erfasst werden, sog. Real World Data (RWD) zu Vorhersagen und Handlungsempfehlungen mit hoher Sensitivität und Spezifität kommen kann, ist Gegenstand der aktuellen Forschung (12). Großes Augenmerk liegt dabei auf der Entwicklung validierter, digitaler Biomarker, mit denen Remote Patienten Monitoring Programme besser evaluiert werden und somit schneller in die Regelversorgung gelangen können.

Vielen Dank den beiden Gründern und Geschäftsführern der Qurasoft GmbH für ihre Einblicke beim Healthcare Shapers Live Talk. Der Talk wurde moderiert von Günther Illert und Dr. Ursula Kramer.

Quellen

  1. Tobias Hastenteufel https://www.linkedin.com/in/tobias-hastenteufel-qurasoft/
  2. Erwin Junker: https://www.linkedin.com/in/erwin-schens-qurasoft/
  3. Qurasoft GmbH https://qurasoft.de/
  4. HL7 Deutschland. Warum FHIR? https://hl7.de/themen/hl7-fhir-mobile-kommunikation-und-mehr/warum-fhir/
  5. Use Case: Klinische Studien https://qurasoft.de/forschung/
  6. Abrechnung Telemonitoring bei Herzinsuffizienz: https://qurasoft.de/arztpraxis/telemonitoring-bei-herzinsuffizienz/
  7. https://qurasoft.de/kardiologie
  8. Digitalgesetze: Inhalte und Positionen https://www.kbv.de/html/68543.php
  9. https://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php
  10. Mit Telemedizin und Künstlicher Intelligenz zu einer besseren Versorgung in der Intensivmedizin https://www.pkv.de/verband/presse/pressemitteilungen/mit-telemedizin-und-kuenstlicher-intelligenz-zu-einer-besseren-versorgung-in-der-intensivmedizin/
  11. Convalo https://play.google.com/store/apps/details?id=de.convalo
  12. Dunn et al. 2024. The Lancet. Remote digital health technologies for improving the care of people with respiratory disorders https://doi.org/…(23)00248-0 https://www.thelancet.com/journals/landig/article/PIIS2589-7500(23)00248-0/fulltext
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