Goldenes Comeback der Kieler Woche im Juni: Gleißendes Sonnenlicht und eine leichte, warme Sommerbrise aus West bis Südwest empfing die seegehenden Yachten am Sonnabendmorgen in der Innenförde. Topbedingungen für die ersten Starts zur Aalregatta, den Auftakt der Segelwettbewerbe der 128. Kieler Woche im 140. Jahr. Die offizielle Eröffnungsfeier der Wettbewerbe erfolgte indes um 13 Uhr in Schilksee mit Kiels Stadtpräsident Hans-Werner Tovar, Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, den sechs deutschen Medaillengewinnern von Olympia in Enoshima/Japan 2021 sowie Wolfram N. Diener, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf, und Dirk Ramhorst, Organisationsleiter der Kieler Woche-Regatta. Parallel dazu legten die Jollen und Kielboote in zehn internationalen Bootsklassen auf sieben Regattabahnen los.

Eine Schwedenfähre bahnte sich mit einem langen Typhon-Signal den Weg durch die Innenförde, bevor sekundengenau um 9 Uhr Seebahn-Chef Ralf Paulsen mit der Ankündigung für die schnellsten Yachten das erste offizielle Schallsignal der Kieler Woche ertönen ließ. Zehn Sekunden vor dem Start setzten die Mutigen unter den Crews Gennaker oder Spi. Doch der Windwinkel erwies sich als sehr spitz und drehend. Die rot-graue „X-Day“ wurde auf der rechten Kursseite auf die Seite geworfen, musste wegdrehen und hielt auf das nahende Ufer zu. Die Crew kämpfte mit dem Wind, ließ schließlich das große Tuch fallen. Die Am-Wind-Besegelung erwies sich aber nicht als Nachteil. Im Gegenteil: Auf der Außenbahn zog das Team von Eigner Walter Watermann (Kiel) bis zum Leuchtturm Friedrichsort an der Konkurrenz vorbei hinaus in die Kieler Bucht und weiter Richtung Eckernförde.

Die zweite Startgruppe zehn Minuten später verzichtete gleich auf die Spinnaker, sah sich aber einer anderen kniffligen Aufgabe gegenüber. Frontal steuerte die Norwegenfähre den startenden Yachten entgegen. Doch Fährschiff-Kapitän und Kieler Crews kennen das Prozedere. Ohne Gezeter auf den Yachten und ohne einen einzigen Ton von der „Color Fantasy“ schob sich der schwimmende Koloss durch das Feld. Per Funk ging der Dank von Ralf Paulsen an den Fährmeister für seine umsichtige Fahrweise.

Aufmerksamer Beobachter der Szenerie war Wolfram N. Diener, seit 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf, die mit der boot treuer Partner der Kieler Woche ist: „Ich freue mich, zeigen zu können, dass wir gern Partner sind – im kommenden Jahr bereits zum 30. Mal.“ Auch in der Pandemie-bedingt größten Krise in der Firmengeschichte stand die Messegesellschaft in den vergangenen Jahren an der Seite der großen deutschen Segelwochen. Diener genoss es, nach zwei kleineren Kieler Woche-Ausgaben das Seglerfest im vollen Umfang zu erleben: „Mir war bei meinen ersten Besuchen nicht bewusst, welchen Volksfest-Charakter die Kieler Woche tatsächlich hat. Es ist schön, diese Stimmung zu sehen.“

Vier Stunden später präsentierte sich die Kieler Polit- und Sportprominenz auf der Bühne im Olympiahafen von Schilksee in bester Stimmung. Im lockeren Interview zeigte das Plenum nicht nur seine Freude darüber, dass die Kieler Woche wieder zu seinem kompletten Umfang mit Segelsport und Festival zurückkehrt, sondern gewährte auch Einblicke ins Privatleben.
Stadtpräsident Tovar kam im besten Kieler-Woche-Stil auf die Bühne: „Ich zeige Flagge mit Krawatte“, so Tovar mit Blick auf das Kiel-Souvenir an seinem Hals. Die offiziellen Termine fordern Kiels ersten Bürger den ganzen Tag: „Am Abend weiß ich manchmal schon nicht mehr, wo ich am Morgen gewesen bin.“ Obwohl er selbst kein Segler ist, freut sich der Stadtpräsident, während der Woche bei vier bis fünf Regattabegleitfahrten dabei zu sein.
 
Verwaltungschef Kämpfer ist in seiner Regierungszeit schon häufig an Bord diverser Yachten und Katamarane gewesen, fiebert jetzt aber einem besonderen Segelereignis entgegen. „Das Highlight der Kieler Woche wird für mich die Windjammer-Parade. Ich werde an Bord der Gorch Fock sein. Endlich ist das wieder möglich.“ Nachdenkliche Worte fand der OB für die Lage in der Ukraine, die die Stadt haben entscheiden lassen, russische Marineschiffe von der Kieler Woche auszuladen: „Russland hat sich entschieden, sich von der Weltgemeinschaft auszuschließen. Wir können daher zur Kieler Woche nicht so tun, als wäre nichts gewesen.“ Dass das Regatta- und Segelfest gefeiert werden könne, sei ein großes Privileg vor dem Hintergrund, dass Millionen von Menschen in der Ukraine unvorstellbares Leid erleiden müssten. „Wir hatten am Freitag einen tollen Auftakt in der Innenstadt. Friedlich, fröhlich mit vielen Menschen. So können wir weitermachen.“
 
Die deutschen Olympiamedaillen-Gewinner richteten den Fokus dann wieder ganz auf den Sport. „Seit Tokio läuft der größte Film meines Lebens ab“, berichtete Alica Stuhlemmer, die mit Paul Kohlhoff im vergangenen Jahr Bronze im Nacra 17 gewonnen hatte. „Die Ehrungen danach und die Auszeichnung als Ehrenmitglied des Kieler Yacht-Clubs waren sehr besonders.“ Steuermann Kohlhoff betonte, dass das Team nach Tokio sehr schnell entschieden habe, bis zu den kommenden Spielen in Marseille 2024 weiterzumachen. „Wir sind nahtlos in die nächste Kampagne gegangen. Das ist gut so, denn die Boote haben sich weiterentwickelt, sind noch komplexer geworden. Jetzt wird es möglich sein, dass die Nacras auch auf Am-Wind-Kurs foilen werden. Die Karten werden neu gemischt.“ Der nächste Anlauf auf Olympia wird allerdings noch mehr Koordination vom Team erfordern. Auf der Bühne berichtete Kohlhoff: „Ich bin vor fünf Wochen Vater geworden, freue mich sehr. Das habe ich mir immer so gewünscht.“

Privates gaben auch die Silbermedaillen-Gewinnerinnen Tina Lutz/Susann Beucke preis. In einem Monat haben sie einen ganz besonderen Termin. Dann ist Susann Trauzeugin bei der Hochzeit ihrer Steuerfrau. Es ist das deutliche Zeichen, dass Tina Lutz in ein neues Leben abseits des Segelsport gestartet hat: „In der Vergangenheit haben wir beim Segeln jahrelang Geld ausgegeben. Jetzt war es an der Zeit, Geld zu verdienen. Und ich muss sagen, es gefällt mir gut“, so die 31-Jährige, die beruflich nach Österreich gewechselt ist. Vorschoterin Susann Beucke ist indes beim Offshore-Segeln durchgestartet, hat erste Erfahrungen bei Solo-Regatten gesammelt. „Das ist sehr intensiv und wohl das Ungesündeste, das man seinem Körper zumuten kann“, so Beucke, die mit Tina Lutz zur Kieler Woche ihre Abschiedsvorstellung der gemeinsamen Karriere gibt.
 
Nur Zaungast zur Kieler Woche wird Erik Heil sein. Den 49er-Steuermann juckte es angesichts der Traumbedingungen auf der Kieler Förde zwar in den Fingern, aber aktuell konzentriert er sich auf sein Medizinstudium. Gemeinsam mit Thomas Plößel will er allerdings die WM 2022 segeln, um dann Pläne zu machen, wie realistisch ein weiterer Anlauf auf Olympia wäre. Nach zweimal Bronze in 2016 und 2021 will das Skiff-Duo die Chance auf eine dritte Olympia-Medaille. „Wir zehren von der intensiven Zeit auf dem Boot“, macht Plößel deutlich, dass das Duo gegenüber der Konkurrenz einen großen Erfahrungsvorsprung hat. Der Vorschoter selbst hat kurzfristig die Chance genutzt, um im Mixed-Team bei den 49erFX zur Kieler Woche an den Start zu gehen.
 
Mit dem Countdown von Organisationsleiter Dirk Ramhorst und dem Wunsch, dass die sonnige Stimmung der Eröffnung über die kommenden neun Regattatage hinweg tragen möge, eröffnete das Plenum aus Sportlern, Politik und Wirtschaft mit dem Tröten aus zehn Hörnern die Kieler-Woche-Regatten.

Die ersten Yachten waren zu dem Zeitpunkt übrigens schon im Ziel. Das größte Schiff der Aalregatta war dabei auch das schnellste. Um 12.35 Uhr kreuzte die 23 Meter lange „Calypso“ von Gerhard Clausen (Kieler Yacht-Club) die Ziellinie vor Eckernförde. Die letzten Teams werden bis zum Abend erwartet und gleichwohl alle mit je einem Räucheraal belohnt.

Das Segelprogramm der Kieler Woche (18. – 26. Juni 2022)
Sonntag, 19. September
Ab 10 Uhr
Rückregatta (Aalregatta) von Eckernförde nach Schilksee, Seesegeln (Yardstick, ORC und Multihull)
10.30 Uhr
Waszp
11 Uhr
Gold Cup Nordische Folkeboote, 29er Euro Cup, Contender, Europe, Flying Dutchman (FD), ILCA 4, ILCA 6 (offen) und OK-Jollen
14 Uhr
2.4 mR

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