Die gestern von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgestellten Einsparpläne der GKV-Finanzreform stoßen beim Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte auf vehementen Widerstand: „Wer nach zwei Jahren Pandemie und angesichts des grassierenden Ärztemangels ernsthaft bei den Honoraren der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte sparen will, der verursacht einen irreparablen Schaden in der ambulanten Patientenversorgung“, sagt Verbandspräsident Dr. Dirk Heinrich. Sollte tatsächlich die extrabudgetäre Vergütung von Neupatienten gekippt werden, müsse sich der Bundesgesundheitsminister auf eine heftige Reaktion der Fachärzteschaft einstellen. „Dann wird es für Herrn Lauterbach sehr ungemütlich“, warnt Heinrich.

Es sei in keiner Weise akzeptabel, dass die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) im Jahr 2019 eingeführte Regelung zur vollen Bezahlung von neuen Patienten in der Sprechstunde zugunsten eines ausgeglichenen Etats der Gesetzlichen Krankenversicherung geopfert werde. Heinrich: „Die größten Kostentreiber in der GKV sind die verkrusteten Krankenhausstrukturen und die steigenden Arzneimittelausgaben. Das sind die Probleme, bei denen die Bevölkerung zuerst eine Lösung vom Bundesgesundheitsminister erwartet. Die Patienten werden es nicht verstehen, wieder länger auf einen Facharzttermin warten zu müssen“, so Heinrich. Zudem begehe der Minister mit dem Vorhaben Wortbruch: „Herr Lauterbach hat Leistungskürzungen bei den Versicherten immer kategorisch ausgeschlossen. Die Behandlung von Neupatienten zu budgetieren, ist genau das Gegenteil dieses Versprechens.“

Für den Fall, dass die Neupatienten-Regelung gekippt werde, kündigt HNO-Präsident Heinrich massiven Widerstand der niedergelassenen Fachärzte an: „Wir haben an der Seite der Hausärzte den allergrößten Teil der Corona-Patienten versorgt. Wir müssen das Desaster bei der Telematikinfrastruktur ertragen. Unseren Medizinischen Fachangestellten wird der Corona-Bonus versagt. Die Apotheker erhalten ein Vielfaches der Honorare für originär ärztliche Leistungen. Wenn jetzt das TSVG beschnitten wird, muss sich Herr Lauterbach auf einen Proteststurm der Ärzteschaft einstellen.“ Es sei absehbar, dass die kurz vor der Praxisabgabe stehenden Ärzte, massenhaft das Handtuch werfen. „30 Prozent der vertragsärztlich tätigen HNO-Ärztinnen und -Ärzte ist 60 Jahre und älter. Es braucht nicht viel Fantasie, dass diese Gruppe sich der Willkür eines planlosen Gesundheitsministers nicht länger aussetzen wird und die Praxis zumacht.“

Da es keine Nachfolger gebe, sei mit katastrophalen Folgen für die HNO-ärztliche Versorgung der Patientinnen und Patienten zu rechnen, mahnt Heinrich: „Die HNO-Heilkunde ist von Hause aus eine überwiegend ambulante Fachrichtung. Drei Viertel aller HNO-Ärzte arbeitet in einer ambulanten Einrichtung. Nur jeder vierte HNO-Arzt ist im Krankenhaus angestellt. Wenn man dieses Gefüge mutwillig gefährdet, muss man mit ernsthaften Versorgungsengpässen rechnen.“

Besonders ärgerlich sei die Begründung Lauterbachs für die Streichung der Neupatienten-Regelung. „Der pauschale Betrugsvorwurf gegenüber der gesamten Fachärzteschaft durch den Minister ist eine bodenlose Frechheit, die jeglicher Grundlage entbehrt. Es wird in der Kassenabrechnung manipulationssicher erfasst, wer mindestens zwei Jahre oder länger nicht in der Praxis war. Diese Patienten gelten laut Gesetz als Neupatienten und werden automatisch so kodiert.“ Lauterbach hatte in der gestrigen Pressekonferenz gesagt, dass Neupatienten geführt worden seien, die in Wirklichkeit keine echten Neupatienten seien. „Die Neupatienten-Regelung war bei der Gesetzesformulierung einst die Idee von Herrn Lauterbach“, ergänzt Heinrich.

Für den Fall, dass die Sparpläne beschlossen werden, werde die Fachärzteschaft ab sofort nur noch „Dienst nach Vorschrift“ machen, kündigt Heinrich, der auch Vorstandsvorsitzender des Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) ist, an. Auf den Rückhalt der Ärztinnen und Ärzte in Krisenzeiten müsse der Minister künftig ebenfalls verzichten. „Wenn die Entbudgetierung der Neupatienten gestrichen wird, werden die Praxen nicht nur weniger Patienten behandeln können, sondern auch weniger Sprechstunden anbieten. Denn als Gegenleistung zur vollen Vergütung der TSVG-Fälle habe man der Erhöhung der Sprechstundenzahl von 20 auf 25 Stunden wöchentlich zugestimmt.“ Das werde sich auch auf die Impfung, Testung und Behandlung der Corona-Patienten in der absehbar kommenden Herbstwelle niederschlagen. Heinrich: „Wir sind ganz sicher nicht dazu bereit, unsere Gesundheit weiterhin aufs Spiel zu setzen und hunderttausende Infizierte ambulant versorgen, während Herr Lauterbach gleichzeitig mit Willkür, Planlosigkeit und Reformunfähigkeit in Berlin regiert und die Leistung der niedergelassenen Fachärzte mit Füßen tritt.“

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