Für Durchbrüche in der Wissenschaft müssen manchmal neben individuellen Geistesblitzen und den notwendigen Mitteln auch die richtigen Menschen aufeinandertreffen. Das ist bei Tim Landgraf und Randolf Menzel gewiss der Fall. Gemeinsam sind dem Professor der Informatik und dem Professor der Neurobiologie das Interesse an Robotik und Bienen sowie die Begeisterung für die Intelligenz dieser spannenden Insekten. Mit einem von der Klaus Tschira Stiftung geförderten Projekt hat das Team um die beiden Spitzenforscher Licht ins Dunkel um die neuronalen Grundlagen der Bienennavigation und die inneren „Landkarten“ dieser Schwarmwesen gebracht. Sie haben hierfür mit Hilfe von Drohnen einen experimentellen Weg gefunden, der in der Fachwelt bis dahin für unmöglich gehalten wurde. Was es damit auf sich hat, erzählen die beiden im Interview.

„Robotik in der Neurobiologie, die neuronalen Netzwerke der Bienen“, so lautet der Titel Ihres gemeinsamen Projekts bei der Klaus Tschira Stiftung. Welche Idee steckt dahinter?

Menzel: Tiere navigieren nicht einfach durch zufälliges Herumlaufen oder Herumfliegen, sondern sind sehr zielgerichtet unterwegs. Die Bienen sind hierbei besonders spannend, weil sie in der Lage sind, immer wieder ganz sicher an die Futterstelle und ihren Stock zurückzukehren. Darüber hinaus sind sie mit ihrem Schwänzeltanz in der Lage, in ihrer Gemeinschaft mitzuteilen, wo es gerade etwas Wichtiges gibt, beispielsweise ein Rapsfeld oder blühende Linden, aber auch Harzvorkommen oder eine Wasserstelle. Dabei gibt die tanzende Biene Richtungen und Entfernungen an, also quasi eine Fluganweisung. Dem wollten wir auf die Spur kommen. Uns fiel auf, dass über den Ort im Gehirn, wo sich dieser Kompass befindet, kaum etwas bekannt ist.

Wie gingen Sie vor?

Menzel: Wir haben uns getraut, im Gehirn der Bienen nach interessanten Stellen, also einzelnen Neuronen, zu fahnden, die das schaffen. Unser experimenteller Zugang bestand darin, dass wir erst einmal ausprobiert haben, ob die Biene an einem Copter, also einer kleinen Drohne, fliegen kann. Die Frage war, ob das ihrem natürlichen Flug mit den natürlichen Vorgängen im Gehirn nahekommt, wenn man sie da aufhängt. Das konnten wir zeigen. Anschließend haben wir dann Sonden in das Gehirn eingesetzt. Die Neuronen zu messen, war schon eine mühsame und trickreiche Unternehmung. Feststellen konnten wir schließlich, dass bestimmte Neuronen immer wieder reagierten, wenn die Biene von der Drohne einen Kurvenflug vorgegeben bekam.

Und dann?

Menzel: Ehrlicherweise muss man sagen: Viel weiter sind wir nicht gekommen. Die Frage, wie die Bienen einen Ort codieren und eine zum Sonnenkompass passende Richtung verwenden, konnten wir so noch nicht beantworten. Aber es wurde mit unserer Forschung zum allerersten Mal möglich, die Aktivität einzelner Neuronen unter natürlichen Bedingungen im Flug zu registrieren. Das war methodisch ein riesiger Schritt. Vom wissenschaftlichen Ergebnis her war es jedoch erst einmal nur ein erster Hinweis und der Anstoß für weitere Forschung.

Herr Landgraf, wie kamen Sie mit ins Boot?

Landgraf: Wir kennen uns seit meiner Bachelorarbeit 2004. Darin habe ich die Antennenbewegungen der Bienen im Labor beschrieben. Informatiker wie ich sind ja normalerweise eher etwas selbstbezogen und auf ihren Bereich begrenzt. Mich hat aber schon immer die praktische Anwendung fasziniert. Dass ich damit dann Neues über das Lernen und die Gedächtnisbildung herausfinden konnte, war perfekt! Aber selbst so ein kleines Insektengehirn birgt noch so viele Fragen, die wir beantworten müssen, um dann unser großes Menschengehirn besser zu verstehen.

Im Verlauf meiner wissenschaftlichen Erwachsenwerdung habe ich dann 2016 eine Juniorprofessur angetreten, und mein erstes Projekt war dieses. Dazu kam: Ich habe schon mit Fußball spielenden, laufenden sowie schwimmenden Robotern gearbeitet und wollte endlich einmal etwas mit fliegenden Robotern machen. Da war dieses Projekt eine optimale Herausforderung.

Wieso war die Unterstützung durch die Klaus Tschira Stiftung so wichtig?

Landgraf: Die Klaus Tschira Stiftung hat uns unterstützt, als es niemand anderen gegeben hat, der das gemacht hätte. Einfach, weil die technischen Herausforderungen so groß waren. Allein schon die Schwierigkeit, eine Biene neurobiologisch auf einem Gerät zu untersuchen, das durch die vier Antriebsmotoren sehr starke elektrische Felder erzeugt! Die waren nämlich auf unseren Aufnahmen mit drauf. Da hätte ich selbst als Gutachter wohl die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Aber wir hatten großes Glück mit der Stiftung und den Gutachtern und haben ja auch Erstaunliches erreicht. Wir haben beispielsweise mit dem Copter 3D-Karten erzeugt und dann untersucht, mit welchen Landschaftsstrukturen die Signale im Bienengehirn korrespondieren. So „übersetzten“ wir den Ort und die Richtungen der Drohne in das, was die Biene an dieser Stelle in diesem Moment gesehen haben muss. Zudem haben wir gezeigt, dass die Neuronen auf Flugänderungen reagieren, insbesondere auf solche Änderungen, in denen der Copter scharfe Kurven fliegt.

Das Projekt gehört zur Grundlagenforschung, oder?

Menzel: Ja, gleich in mehreren Richtungen. Es stellte sich zunächst die Frage, ob man eine so komplizierte Messsituation überhaupt meistern kann. Von Seiten des Copters, aber auch der Bienen. Die Publikationen, Vorträge und Veranstaltungen wurden in der Wissenschaftsgemeinschaft bereits außerordentlich interessiert aufgenommen. Das wirklich tiefsitzende Problem ist, dass wir nicht wissen, wie die Welt der Bienen genau aussieht. Wir haben aber einen Weg aufgezeigt, wie man diese Fragen möglicherweise beantworten kann. Allerdings sind noch einige Quantensprünge nötig. So wird es notwendig sein, bei der Vorauswahl der Neuronen, die während dem Flug registriert werden sollen, auch solche heranzuziehen, die nicht auf Bewegung, sondern auf Objekte regieren. Wir vermuten nämlich, dass die Reaktionen der Neuronen, die wir in den Flügen gesehen haben, durch diese Vorauswahl wesentlich bestimmt war.

Was fasziniert Sie an Bienen?

Menzel: Es muss schon etwas Besonderes sein, was von diesen Tieren ausgeht, wenn es jemanden wie mich 57 Jahre bei der Stange hält (lacht). Von den Bienen geht neben der abstrakten Attraktivität als Individuum für die Wissenschaft auch die Faszination ihres sozialen Lebens aus. Sie sind wie zwei Lebewesen: ein soziales im Stock, da suchen sie nach einfachen Lösungen. Aber alleine, draußen im Feld, wenn sie agieren, kommt ihre eigentliche Intelligenz zum Tragen. Dieses Wechselspiel hat mich schon immer fasziniert. Und dann können sie auch noch auf eine symbolische Weise darüber kommunizieren!

Landgraf: Ich finde auch diese beiden Ebenen superspannend. Der Bienenstock als Gehirn aus vielen Gehirnen. Und dann dieses Einzelwesen. Da werden der Forschung die Fragen so schnell nicht ausgehen. Mit meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir jetzt beispielsweise, wie die Bienen individuelles Wissen in das Kollektiv integrieren. Wir wollen jeden „Rechenschritt“ dieses biologischen Computers verfolgen.

Über Klaus Tschira Stiftung gGmbH

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de

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