Ist Objektivität möglich, oder ist unsere persönliche Perspektive unausweichlich? Diese Frage stellte der Philosoph Thomas Nagel in seinem Text von 1974 "What Is It Like to Be a Bat?“, der unserer Ausstellung den Namen gab. Nagel verwendet Fledermäuse als Metapher, um die Unterschiede zwischen subjektivem Erfahren und objektivem Wissen zu verdeutlichen. Auch wenn wir alles Erdenkliche über das Funktionieren von Fledermäusen, etwa der Art und Weise wie sie sich durch Echoortung orientieren, erforscht und experimentell bewiesen haben, wird es, so Nagel, weiterhin unmöglich sein, zu begreifen, wie eine Fledermaus ihre Umwelt tatsächlich wahrnimmt.
Wir können nicht wissen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein, sie also auf einer bewusstseinsbezogenen Ebene nicht vollständig verstehen. Nagel glaubt an die Existenz von Tatsachen, die wir nicht in der Lage sind zu wissen und setzt damit philosophischen Ansätzen, die das Bewusstsein auf physikalische Gesetzmäßigkeiten und neuro-biologische Erklärungen zu reduzieren versucht, eine andere – duale – Sichtweise entgegen. Aus heutiger Perspektive lassen sich Nagels Ausführungen als Aufforderung lesen lassen, uns gegenüber anderem Leben und anderen Bewusstseinsformen erstens bescheidener und zweitens respektvoller zu verhalten. Hier setzt die Ausstellung an.
Die Ausstellung What is it Like to be a Bat? [Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?] bringt Werke von vier Künstler*innen(kollektiven) zusammen, die sich damit befassen, wie Realität produziert wird. Sie fragen nach den Wahrnehmungswelten nichtmenschlichen Lebens – von Tieren, Pflanzen und anderen Lebensformen – und sie lenken unseren Blick auf Dinge in Welt und Wissenschaft, die wir Menschen nicht wissen und fassen (können).
In Halle 1 macht die Arbeit von Zheng Mahler den Auftakt zur Ausstellung. Zheng Mahler ist das künstlerische Projekt der Anthropologin Daisy Bisenieks und des Künstlers Royce Ng. Ihr Projekt mit dem Titel What is it like tob e a (virtural) bat? erforscht Nagel mit den Mitteln neuer Technologien. Zheng Mahler fokussieren dabei auf die Übergangszustände zwischen menschlichem und mehr-als-menschlichem Bewusstsein. Dazu verweisen sie auf Visualisierungspraktiken in tibetischen Meditationsritualen und sie verwenden VR-Technologie. Ihre Videoanimation ist die Einladung, uns mit ihnen zusammen zu fragen, ob das Nachbilden der Charakteristika eines Fledermausdaseins uns der subjektiven Erfahrung der Fledermaus näher bringt.
Jenna Sutelas Interesse gilt unterschiedlichen Formen von Intelligenzen und dem Wechselspiel zwischen biologischen und computerbasierten Systemen. Die Lavalampen-Köpfe der Serie I Magma, die ihrem eigenen Kopf nachgeformt sind, zeigt die finnische Künstlerin hier auf Baumstämmen, die aus der Umgebung von Mainz stammen. Sie werden zu Körpern für diese Köpfe. Die Arbeit verweist auf psychedelische New-Age-Ästhetiken der 1970er-Jahre, in deren Umgebung Lavalampen aufkamen. Andererseits sind Lavalampen scheinbar das perfekte Werkzeug zur Erzeugung von Zufälligkeit, was dazu führte, dass sie für Experimente im Bereich der Verschlüsselung in der Cybersicherheit verwendet wurden. Dieses Spannungsfeld interessiert die Künstlerin. An der Wand hängen zwei einfarbige Fotogramme. Sie zeichnen die Umrisse der Lavaköpfe nach und verzerren sie dabei.
Fotogramme entstehen durch die direkte Belichtung von lichtempfindlichem Fotopapier. Das durch Wachs und Glas reflektierte Licht löst, so die Künstlerin, eine visuelle Erweiterung des Geistes aus.
In Halle 3 sehen wir den Film Capture (2021) von Metahaven. Er schafft entlang überraschender Schnittmengen zwischen Teilchenphysik, Flechten und Fledermäusen eine spekulativ poetische Erzählung oder wie es das Künstlerduo selbst nennt eine „fiktionalisierte Dokumentargeschichte“. Diese scheut es nicht, auch die großen Fragen in Philosophie, Wissenschaft und Alltag anzusprechen und bringt uns zurück zu Nagel und das Bewusstsein. Die kleineren textilen Arbeiten aus den Serien Arrows, Blossoms, Secrets und die jüngste, Swans zeigen Metahavens Art des Erzählens auf eine sowohl iterative al auch intime Weise. Sie beziehen sich über die Begriffen "Textur" und "Filmstill" auf die Bewegtbildarbeiten.
Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė schließlich befassen sich mit den Schwellen zwischen Natur & Kultur, zwischen Mythos & Geschichte, zwischen Ökologie und Technologie. dabei beziehen sie sich auf den Feminismus und integrieren sowohl queere und minderheitliche, als auch mehr-als-menschliche Positionen. Die Arbeit Mouthless Part III (2023) ist dem Thema Landschaft gewidmet. Sie fragen darin, wie Klimawandel und Technologisierung Einfluss auf die Repräsentation von Natur nehmen. Wir sehen mit Bildgenerierungsmaschinen simulierten Landschaften, die doch echt wirken, und echte Menschen, die eigentümlich künstlich wirken. Auch in den Malereien und dem Objekt in Turmebene II spielen die Natur, ihre Wahrnehmung und Repräsentation sowie die Grenze zwischen Natur und Kunstwerk eine zentrale Rolle. Gleich beim Hineinkommen fällt der Blick auf den hohen Heuhaufen. Auch der Geruch von Heu fällt einem in die Nase. Die chemische Verbindung cis-3-Hexen-1-ol, von der der Titel der Arbeit Hexanol abgeleitet ist, bezeichnet den Geruch von sich zersetzender Zellulose, den wir vor allem von gemähtem Gras oder alten Büchern kennen.
VR-Meditation von Zheng Mahler
Wer sich selbst auf Nagels Spuren begeben und auf Angebot von Zheng Mahler erkunden wollen, wie es sein könnte, eine Fledermaus zu sein, kann sich zu folgenden Zeiten für die 20-minütige VR-Mediation anmelden:
Fr 17/03, 31/03, 14/04, 28/04, 12/05, 26/05
12 – 14 Uhr
Mi 22/03, 05/03, 12/04, 03/05, 10/05
18 – 20.30 Uhr
Jeden Samstag
11 – 13 Uhr
30-minütige Zeitfenster (10 Min. Einweisung + 20 Min. VR-Meditation)
Anmelden unter mail@kunsthalle-mainz.de oder per Telefon unter 06131 126939
Die Ausstellung wird mit freundlicher Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und des Königreichs der Niederlande realisiert.
Zur Ausstellung organisieren wir ein umfangreiches Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm. Wir lassen Ihnen gerne Details zukommen. Laufend aktualisierte Informationen finden Sie auf unserer Website.
Kunsthalle Mainz
Am Zollhafen 3-5
55118 Mainz
Telefon: +49 (6131) 1269-36
Telefax: +49 (6131) 1269-37
http://www.kunsthalle-mainz.de
Presse- & Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: +49 (61) 311269-36
Fax: +49 (61) 311269-37
E-Mail: Marquis@kunsthalle-mainz.de