Die Architekturbiennale in Venedig ist eine der weltweit wichtigsten Architekturausstellungen und trägt dieses Jahr den Titel «Laboratory of the Future». Neben den Hauptausstellungen, die die ghanaisch-schottische Architektin Lesley Lokko kuratiert, sind auch rund 60 Länder mit nationalen Beiträgen vertreten, so auch die Schweiz und Deutschland. Der deutsche Pavillon wird von der Architekturzeitschrift ARCH+ sowie den Architekturbüros Summacumfemmer und Büro Juliane Greb kuratiert und rückt unter dem Titel «Open for Maintenance / Wegen Umbau geöffnet“ Pflege, Reparatur und Instandhaltung des architektonischen Bestands in den Mittelpunkt. So haben die Kuratorinnen und Kuratoren für die Ausstattung der insgesamt fünf Räume des Pavillons Material von der letztjährigen Kunstbiennale wiederverwendet.
Toiletten ohne Wasserspülung
Das Thema Kreislaufwirtschaft steht auch im «Waschraum» im Zentrum, einem der fünf Räume. Er ist mit einer Trockentrenntoilette und einem Urinal ausgestattet, die beide neu entwickelt wurden. Die Toilette vom deutschen Hersteller Finizio kommt ohne Wasser aus und trennt Urin und Fäkalien. Das Urinal wurde von zwei Industriedesign-Absolventinnen der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel entwickelt. Unterstützt wurden sie dabei unter anderem von Michel Riechmann vom Wasserforschungsinstitut Eawag. Das Urinal funktioniert ebenfalls wasserlos und kann ausserdem von allen Geschlechtern genutzt werden – daher der Name «Urin*all». Sowohl Trockentrenntoilette als auch Urinal sind nicht nur Ausstellungsstücke, sondern können von den Besucherinnen und Besuchern sowie den Pavillon-Mitarbeitenden auch benutzt werden.
Aus Urin wird Pflanzendünger
Während die Fäkalien gesammelt und bei einem regionalen Landwirt kompostiert werden, wird der Urin – der den grössten Volumenanteil ausmacht – vor Ort behandelt. Im Nutrient Harvester, der von Michel Riechmann zusammen mit Kai Udert und weiteren Forschenden der Abteilung Verfahrenstechnik der Eawag entwickelt wurde, wird der Urin direkt im deutschen Pavillon zu einem konzentrierten Dünger verarbeitet. Dafür wird der Urin zunächst stabilisiert, damit der enthaltene Stickstoff nicht entweicht und kein unangenehmer Geruch entsteht. Ausserdem werden bei diesem Schritt auch Krankheitserreger abgetötet. Anschliessend wird der Urin getrocknet. Aus 30 Litern Urin entsteht dabei rund ein Kilogramm Trockensubstanz, ein Pflanzendünger reich an Nährstoffen wie Stickstoff, Phosphor und Kalium. Er wird anschliessend von einem Landwirt und einer Gartenkooperative in der Region Venedig genutzt. «Wir schliessen damit den Nährstoffkreislauf lokal und reduzieren gleichzeitig die Nährstoffeinträge in die Gewässer», so Michel Riechmann.
Einsatz in Gebieten ohne Wasser- und Abwassernetz
Die Forschenden haben den Nutrient Harvester in den letzten Jahren bereits auf der Leglerhütte des SAC und in einem Haushalt ohne Abwasserinfrastruktur ausserhalb der südafrikanischen Stadt Durban getestet. «Diese Technologie eignet sich überall dort, wo es keine Anschlüsse an das Wasser- und an das Abwassernetz gibt – sei es in infrastrukturarmen Regionen oder bei temporären und mobilen Nutzungen», erläutert Michel Riechmann. Venedig und insbesondere die Biennale seien ein sehr spannendes Anwendungsfeld. «Für eine auf dem Wasser gebaute Stadt ist die Abwasserentsorgung eine Herausforderung, wenn das Abwasser nicht einfach in die offenen Kanäle abgeleitet werden soll», erklärt Michel Riechmann. Und auf der Biennale wiederum sind Toiletten Mangelware. Die Pavillons haben keine eigenen Toiletten und nachträglich Infrastruktur nachzurüsten, ist baurechtlich schwierig. «Ein modulares Plug&Play-System wie der Nutrient Harvester kann diese Lücke füllen», ist Michel Riechmann überzeugt. Die Forschenden möchten den Nutrient Harvester daher nun zur Marktreife bringen und gründen dafür derzeit ein Eawag Spin-off.
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