Am 11. Januar 2025 jährt sich zum 40. Mal der Pershing-Unfall auf der Heilbronner Waldheide. Die Stadt Heilbronn entging nur knapp einer Katastrophe, als sich am 11. Januar 1985 bei Montagearbeiten auf der US-Raketenbasis der erste Stufenmotor einer Pershing-II-Rakete entzündete und ausbrannte. Durch die Wärmestrahlung des rund 3000 Grad Celsius heißen Brandherdes starben zwei Soldaten sofort, einer erlag seinen Verletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus. 16 weitere Soldaten wurden mit zum Teil schweren Verletzungen in umliegende Krankenhäuser eingeliefert. Nicht auszudenken, welches Ausmaß das Unglück genommen hätte, wenn das Plutonium freigesetzt worden wäre, mit dem die Rakete bestückt war.
Heilbronn wurde damit für eine Zeit zum Mittelpunkt der westdeutschen Friedensbewegung. Knapp zwei Wochen nach dem Unglück beschloss der Heilbronner Gemeinderat einstimmig die Auflösung der Militärbasis. Zehntausende Menschen demonstrierten am 2. Februar 1985 mit einem Marsch von Heilbronn zur Waldheide gegen die Raketenstationierung. Ab dem 8. Februar begann eine unbefristete Blockade der Zufahrten zur Militärbasis. Auch der landesweite Ostermarsch fand in Heilbronn statt und 30.000 Menschen umzingelten Anfang April das Raketengelände. Vehement protestierte die Heilbronner Bürgerschaft mit überregionalen Friedensaktivisten gegen die Auswirkungen des NATO-Doppelbeschlusses von 1979, in dessen Ergebnis die nuklearen Mittelstreckenwaffen in Süddeutschland stationiert wurden. Die Bevölkerung wurde aus Gründen der militärischen Geheimhaltung nicht darüber informiert. Die Proteste endeten erst 1987 mit der Unterzeichnung des INF-Vertrages durch Ronald Reagan für die USA und Michail Gorbatschow für die Sowjetunion. Er sah die Abschaffung aller landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern auf beiden Seiten vor. Mit der Ratifizierung des Vertrages wurden ab September 1988 die Pershing-Raketen von der Waldheide abgezogen.
30 Jahre lang hatte der INF-Vertrag Bestand. Er galt als Meilenstein der Abrüstung und als Sicherheitsgarantie. 2019 wurde er von den USA und wenig später von Russland aufgekündigt, begleitet von gegenseitigen Schuldzuweisungen die Vertragsregeln unterlaufen zu haben.
Veranstaltungswochenende im Theater – Eintritt frei
Im Vorfeld der Premiere des Dokumentartheaterstücks »Pershing« in der Regie von dura & kroesinger am 31. Mai 2025 erinnert das Theater Heilbronn am Wochenende des 40. Jahrestages des Pershing-Unglücks am 11. und 12. Januar 2025 an die Ereignisse im Jahr 1985. Gemeinsam mit dem Heilbronner Stadtarchiv und der Landeszentrale für politische Bildung sind eine Reihe von Veranstaltungen mit freiem Eintritt geplant. Platzkarten gibt es an der Theaterkasse.
Samstag, 11. Januar 2025
11 Uhr Waldheide – Gedenkveranstaltung
Das Wochenende beginnt mit der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Unglücks durch den Oberbürgermeister Harry Mergel und der Einweihung der vom Heilbronner Stadtarchiv realisierten Informationsstelen »Geschichte vor Ort Waldheide« am Samstag, 11. Januar 2025 11 Uhr auf der Waldheide – im Rahmen einer Führung über die Waldheide durch Ute Kümmel, Historikerin vom Stadtarchiv Heilbronn.
15 Uhr, Theater Heilbronn, Salon 3 – Dokumentarfilm »1983: Am atomaren Abgrund«
Am 11. Januar um 15 Uhr zeigt das Theater Heilbronn im Salon3 den preisgekrönten Dokumentarfilm »1983: Am atomaren Abgrund« von Henry Chancellor über die europaweite Kommandostabsübung »Able Archer 83«, der 2008 mit dem Grierson Award für die beste historische Dokumentation ausgezeichnet wurde. Dieser Film enthüllte erstmals bahnbrechende Erkenntnisse darüber, wie knapp die Welt in den 1980er-Jahren einer atomaren Katastrophe entgangen ist.
19 Uhr, Theater Heilbronn, Komödienhaus – Expertengespräch »Waldheide Heilbronn – Leben mit den Pershing-Raketen«
Am 11. Januar gibt es um 19 Uhr im Komödienhaus ein Expertengespräch mit dem Leitungsteam der »Geschichtswerkstatt Waldheide« des Stadtarchivs zur historischen und dokumentarischen Perspektive auf das Thema »Leben mit den Raketen«. Auf dem Podium dikskutieren der Historiker Prof. Christhard Schrenk (ehemaliger Direktor des Stadtarchivs Heilbronn), Prof. Thomas Schnabel (ehemaliger Leiter des Hauses der Geschichte Stuttgart) und Ute Kümmel (Historikerin des Stadtarchivs Heilbronn). Außerdem ist die Dokumentarfilmerin, Dramaturgin und Autorin Regine Dura mit dabei, die für das Dokumentartheaterstück »Pershing« mit erst seit kurzem zugänglichen Material der Geschichtswerkstatt Waldheide arbeitet. Die Moderation übernimmt die neue Leiterin des Stadtarchivs Miriam Eberle
Sonntag, 12. Januar 2025
15 Uhr, Theater Heilbronn, Salon3 – Zeitzeugengespräch »Die Friedensbewegung der 1980er Jahre in Heilbronn und Mutlangen«
Der Dokumentartheaterregisseur Hans-Werner Kroesinger, der auch das Stück »Pershing« für das Theater Heilbronn inszeniert, wird ein Zeitzeugengespräch mit zwei Protagonisten der Friedensbewegung der 1980er-Jahre führen: Wolfgang Theilacker vom Heilbronner Friedensrat und Volker Nick von der Pressehütte Mutlangen. Neben ihren Erinnerungen an die bewegte Zeit wird es dabei auch um die Schlüsse gehen, die sie aus den damaligen Ereignissen gezogen haben.
19 Uhr, Theater Heilbronn, Komödienhaus – Podiumsdiskussion »Nato-Doppelbeschluss und Friedensbewegung – Können wir heute aus der Krise der 1980er Jahre lernen?«
Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg wird in einer Podiumsdiskussion der Bogen aus den 1980er-Jahren ins Heute geschlagen. Der Historiker Tim Geiger und der Friedenspädagoge Uli Jäger diskutieren über die Pershing-Stationierung auf der Heilbronner Waldheide und die Friedensbewegung der 1980er-Jahre im größeren historischen Kontext von Kaltem Krieg und NATO-Doppelbeschluss. Beleuchtet werden dabei auch die Zusammenhänge zwischen den damaligen Ereignissen und den geopolitischen Entwicklungen der vergangenen 40 Jahre, um den Bogen zur Gegenwart zu schließen. Leitend ist die Frage, ob und wie uns der Blick in die Geschichte helfen kann, die aktuelle Krise zu meistern. Die Moderation übernimmt Dr. Wolfgang Niess.
Ausblick: Dokumentartheaterstück »Pershing« von dura & kroesinger – Premiere am 31. Mai 2025 in der BOXX
Das Gedenken an den Tag des Pershing-Unfalls auf der Heilbronner Waldheide nehmen dura & kroesinger zum Ausgangspunkt für ihr Recherche-Projekt. Wie kam es zur Stationierung der Pershing-II-Raketen in Heilbronn im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses? Was wusste die Stadtpolitik darüber und warum wurde die Bevölkerung nicht über den Raketenstandort informiert? Welche Bedeutung hatten die Raketenstationierung und das Waldheide-Unglück für Heilbronn? Und welche Spuren haben der Unfall und seine Folgen in der Heilbronner Zivilgesellschaft hinterlassen? Das dokumentarische Theaterprojekt befragt Vorgeschichte und Auswirkungen dieses einschneidenden Ereignisses der Heilbronner Stadtgeschichte — immer mit Blick auf unsere Gegenwart. So entsteht ein Theaterstück spezifisch für die Stadt Heilbronn, das die lokalen Verhältnisse mit der bundesdeutschen Wirklichkeit damals wie heute in Beziehung setzt.
Im Herbst 2021 haben dura & kroesinger in Heilbronn bereits das überregional stark beachtete Dokumentartheaterstück »Verschlusssache« – ein regionales Recherche-Projekt zum Mord an Michèle Kiesewetter und den Verbindungen zwischen dem NSU und der rechten Szene in Baden-Württemberg umgesetzt.
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