• Spitzenvertreter der Hamburger Bürgerschaft nehmen Stellung
  • Einigkeit bei der Bezahlbarkeit von Mobilität
  • Umstritten bleibt die autofreie Innenstadt

Im Rahmen einer öffentlichen Podiumsveranstaltung zur Verkehrspolitik in Hamburg befragte der Automobilclub von Deutschland (AvD) am 5. Februar Spitzenpolitiker der in der hamburgischen Bürgerschaft vertretenen Parteien. Anlässlich der am 23. Februar bevorstehenden Wahlen im Stadtstaat diskutierte Moderator Clarsen Ratz (Großherzoglicher Automobilclub von Weimar, Ortsclub des AvD) mit den Parteivertretern deren Positionen.

Der AvD hatte vorab Fragen zu den verkehrspolitischen Vorstellungen für die kommende Legislaturperiode als sogenannte Wahlprüfsteine erstellt und den in der Bürgerschaft vertretenen Parteien zugeschickt. Die dem AvD übermittelten Antworten dienten als Grundlage für die Diskussion.

Der Einladung des AvD folgten Heike Sudmann, DIE LINKE-Bürgerschaftsfraktion, Fachsprecherin für Verkehr, André Trepoll, Fraktionsvorsitzender der CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft, Ewald Aukes, FDP, Fachsprecher für Verkehr in der Hamburgischen Bürgerschaft, Detlef Ehlebracht, AfD Vizepräsident der Bürgerschaft und Fachsprecher für Verkehr, Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion sowie Dominik Lorenzen, GRÜNE-Bürgerschaftsfraktion Hamburg, Fachsprecher für Hafen und Wirtschaft.

AvD tritt für die Interessen seiner Mitglieder ein

AvD-Präsident Ludwig Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg begrüßte die Anwesenden und verwies auf die demokratische Tradition des Automobilclubs. Er betonte, dass der traditionsreiche AvD trotz strikter Neutralität für die Interessen seiner Mitglieder eintrete. Der AvD verstehe sich heute als Mobilitätsclub, auch deshalb sei es wichtig, die Positionen der Parteien zur Verkehrspolitik zu erfragen und kennenzulernen.

Welche Rolle spielt die Mobilität für die Parteien

Mit der Frage was „mobile Freiheit“ für die einzelnen Parteien bedeute, eröffnete Clarsen Ratz die Fragerunde. Für Heike Sudmann (DIE LINKE) standen die Mobilitätsbedürfnisse des einzelnen Bürgers im Mittelpunkt ihrer Antwort. Sie müssten umweltfreundlich und kostengünstig erfüllt werden, um „von A nach B“ zu kommen. Vor allem die öffentlichen Verkehrsmittel sollten ausgebaut und in ihrer Leistungsfähigkeit gestärkt werden. Dirk Kienscherf (SPD) hob ebenfalls die Wahlmöglichkeiten für den Einzelnen hervor. Die Mobilität umfasse alle Formen, von öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) über Kraftfahrzeuge zusammen mit Sharing-Modellen über Radverkehr und Fußwege. Es käme auf die Vernetzung und eine „Verkehrsverträglichkeit“ an. Man müsse in jeder Situation das Beste für die Umwelt wählen können. Detlef Ehlebracht (AfD) ging in seiner Stellungnahme pragmatisch von den Bedürfnissen eines Nutzers aus: Die freie Wahl des Verkehrsmittels müsse „zuverlässig, sicher, kostengünstig“ sein. Dabei dürfte es keine Restriktionen geben. André Trepoll (CDU) vermisste eine positive Einstellung zur Mobilität in den Diskussionen. Er fahre gerne Auto, vor allem wenn dies sich als schnellste Variante herausstelle, um sein Ziel zu erreichen. Er forderte, ähnlich wie bei Logistikketten, den Bürgern Wahlmöglichkeiten zu geben, wie sie von A nach B kommen. Es sei die zentrale politische Aufgabe im Bereich der Mobilität, die Wünsche der Bürger umzusetzen. Dominik Lorenzen (GRÜNE) assoziierte mit der Frage die Möglichkeit für jeden, sich dahin zu bewegen, wohin man will, auch über Grenzen hinweg. Dazu gehört aus seiner Sicht die politische Aufgabe, für diese Bedürfnisse Infrastruktur bereitzustellen und den Zugang dazu zu ermöglichen. Jeder Mensch müsse seine Mobilität wählen und sie sich auch leisten können. Ewald Aukes (FDP) sah die „mobile Freiheit“ in direkter Verbindung mit gesellschaftlicher Verantwortung für die Mobilität der Bürger. Dazu gehört aus seiner Sicht, dass ihnen Angebote gemacht und sie nicht mit Verboten überzogen werden. Ihm sei wichtig, dass jeder frei und rational über seine Mobilität entscheiden könne.

Fragen rund um Elektromobilität standen im Mittelpunkt der zweiten Diskussionsrunde. Bei der Ladeinfrastruktur wollte der Moderator erfahren, wie die Parteien den Aufbau vorantreiben wollen.

Dirk Kienscherf (SPD) will bei Neuplanungen und Bauvorhaben in jedem Fall die Installation vorschreiben. Im Bestand sei hingegen, schon wegen der Dimension, eine Anpassung „peu a peu“ sinnvoll. Dominik Lorenzen (GRÜNE) pflichtete bei, dass enorme Investitionen beim Umstieg auf Elektromobilität notwendig seien. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, zu schauen, welche Antriebe für welche Zwecke sinnvoll seien und wie man sie fördern könne. Auch er ging von großen Investitionsanstrengungen aus. Heike Sudmann (DIE LINKE) betonte hingegen, dass es in diesem  „Konversionsprozess“ zu neuen Mobilitätsformen nicht darum gehen könne, den Antrieb privater Pkw „eins zu eins“ von Verbrennungsmotoren auf Elektroantrieb umzustellen. Sie sieht den Ausbau der öffentlichen Verkehre als wichtigste politische Aufgabe an.

Veränderung der Automobilindustrie aktiv angehen

Heike Sudmann (DIE LINKE) nahm auch zu den im Zusammenhang mit der Elektromobilität verbundenen Veränderungen in der Automobilindustrie Stellung. Prognosen lassen einen massiven  Arbeitsplatzabbau befürchten. Sie sprach sich für eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften aus, um den Umbau in der Branche zu bewältigen. Man müsse realistischerweise auch schauen, ob Arbeitsplätze in anderen Branchen neu entstehen könnten oder Umschulungen möglich sind. Ewald Aukes (FDP) stimmte zu, dass man sich um die sozialen Folgen kümmern müsse. Den Beschäftigten müssten Perspektiven aufgezeigt werden. Er machte auf den in anderen Branchen bereits vorhandenen Fachkräftemangel aufmerksam und sprach sich ebenfalls für Umschulungen und staatliche Hilfe aus.

Die Digitalisierung als Treiber der Mobilitätskonzepte

Zu den Konzepten zum „Automatisierten Fahren“ verwies André Trepoll (CDU) auf den 2021 in Hamburg stattfindenden ITS-Weltkongress, der neue Impulse für die Mobilität und Logistik von morgen setzen könne. Aktuell müsse die zunehmende und sinnvolle Vernetzung der Verkehre auf eine Infrastruktur aufgesetzt werden, die 50 Jahre alt sei. Die Digitalisierung könne auch helfen, Diesel-Fahrverbote zu vermeiden: Indem verstärkt auf Software gegründete Verkehrslenkung der einzelnen Fahrzeuge Emissionsspitzen vermindere. Ewald Aukes (FDP) betonte die Bedeutung der jetzt schon entwickelten und zum Teil auch verfügbaren Apps, die zum Beispiel Parksuchverkehre vermindern könnten. Einsatzmöglichkeiten gäbe es auch bei Ladezonen, die man elektronisch vorbuchen könne, um Lieferverkehre zu koordinieren. Das löse keine Grundprobleme, habe aber im Einzelfall Wirkung. Heike Sudmann (DIE LINKE) fragte nach dem Grundverständnis, unter der man Mobilität betrachtet. Ihres orientiere sich an den Zielen der Klimapolitik, was bedeute, dass es in Hamburg um eine Verminderung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) gehen müsse. Dirk Kienscherf (SPD) verwies bei der Frage nach Konzepten für „Smart Cities“ auf den Modellversuch mit Moia, bei dem die gesammelten Verkehrsdaten ausgewertet würden. Ziel müsse es sein, mit den gewonnenen Daten Software zu entwickeln, die den Verkehr insgesamt flüssiger machen: Egal ob es dabei um Stauvermeidung, optimale Nutzung von Busspuren oder weitere Automatisierung von Stadtbahnen geht. Er wies auch auf den gemeinsamen Ankauf von E-Bussen mit Berlin für den ÖPNV hin.

Verkehrskonzepte brauchen Schwerpunktsetzungen

Die Steuerung der Verkehrsströme setzt nach Meinung von Detlef Ehlebracht (AfD) voraus, dass der ÖPNV im Mittelpunkt aller Konzepte stehen müsse. Nur so könne man Wirtschafts- und Berufsverkehr verbessern. Radverkehrsförderung ist für ihn bei dieser Zielvorgabe nicht sinnvoll, da es die Gesamtsituation nicht verbessere. Ehlebracht mahnte einen Verkehrsentwicklungsplan an, der Prioritäten hinsichtlich der am dringlichsten auszuführenden Projekte setze. Er sprach sich für den weiteren Ausbau des Schienenverkehrs ins Hamburger Umland aus, welcher bei Planungen immer einbezogen werden müsse. Man sollte dabei auch Erfolgsmodelle in anderen Städten und Regionen anschauen und ggf. kopieren. Dominik Lorenzen (GRÜNE) merkte an, dass nicht nur Hamburg stetig weiter wachse, sondern auch das Umland. Mobilitätspolitik müsse sich nach dem Bedarf ausrichten. Gleichzeitig seien auch Volksentscheide zu akzeptieren und umzusetzen. Wenn das bedeute, dass sich hier die Prioritäten Richtung „Fahrradstadt“ verschieben würden, müsste man auch über eine Neuverteilung des vorhandenen Raumes nachdenken. Heike Sudmann (DIE LINKE) wies auf Umfragen hin, nach denen eine Mehrzahl von Bürgern eine autofreie Hamburger Innenstadt wünscht. Hier zeigten sich auch Unterschiede in den Interessen von Innenstadtbewohnern zu Einpendlern. Ewald Aukes (FDP) wünschte sich keine komplett autofreie Innenstadt. Das Auto habe auch in der City seine Berechtigung. André Trepoll (CDU) stimmte zu und wies darauf hin, dass die Infrastruktur nicht in gleichem Umfang mit dem Wachstum der gesamten Region Hamburg Schritt halte. “Die Leute wollen sich automobil fortbewegen“ und auch in die Innenstadt. Das könne nicht über die bloße Erhöhung von Parkgebühren gesteuert werden. Dirk Kienscherf (SPD) meinte, dass „Park and Ride“ (P + R) bereits außerhalb von Hamburgs Gemarkung organisiert werden müsse. Nur dann würde der ÖPNV zur Verbesserung beitragen. Dabei müsse man schauen, dass man Pendler nicht zusätzlich belaste und die Kosten zwischen den Beteiligten gerecht verteile. Er plädierte dafür, die Bürger und Anwohner bei Planungen frühzeitig mitzunehmen und zu informieren. Heike Sudmann (DIE LINKE) verwies auf die Forderung ihrer Partei ein 365 Euro-Ticket für den ÖPNV einzuführen und in einem zweiten Schritt dieses Ticket den Bürgern kostenfrei anzubieten. Detlef Ehlebracht (AfD) merkte an, dass es aktuell weniger P + R-Parkplätze gebe als 2015 und schlug vor, „an Knotenpunkten XXL-Parkhäuser“ zu bauen. Momentan höre „Denken an der Stadtgrenze“ auf. Intelligente Bezahlsysteme könnten ebenfalls für Lenkungswirkung bei P + R sorgen. Er mahnte an, den Zeithorizont von Planungen realistisch anzusetzen, weshalb eine autofreie Innenstadt ein Fernziel sei.

Antriebskonzepte „technologieoffen“ entwickeln

Die Runde diskutierte auch über Antriebskonzepte von Fahrzeugen. Dominik Lorenzen (GRÜNE) setzte sich dafür ein, unter Elektromobilität auch Brennstoffzellen mit Wasserstoff zu fassen. Auch in synthetischen Kraftstoffen sieht er Entwicklungspotential. Hamburg solle Treiber solcher Entwicklungen werden, wobei die eingesetzten Steuergelder verantwortungsvoll eingesetzt werden müssen. Er verwies auch auf das Pilotprojekt von Landstromversorgung für Kreuzfahrtschiffe im Hamburger Hafen. Ewald Aukes (FDP) betrachtet Elektroantriebe nicht als „Lösung für alles“. Er bescheinigte auch den Verbrennungsmotoren Entwicklungspotential und verwies auf die Hybridtechnik. André Trepoll (CDU) will die Entwicklung „technologieoffen“ angehen. Da es „keine volkseigenen Autos“ gäbe, müsse man die Entwicklungen sehr genau verfolgen. Detlef Ehlebracht (AfD) mahnte an, angesichts der Dieseldiskussionen den Autofahrern Sicherheit bei der Entscheidung über den Ankauf von Pkw zu geben. Den Schwerpunkt bei politischen Entscheidungen will er aber in die Umsetzung von ÖPNV-Konzepten legen. Heike Sudmann (DIE LINKE) verwies auf die „Nachfragemacht“, die ÖPNV-Anbieter am Markt hätten und die sie auch überlegt einsetzen müssten.

Wichtige Infrastrukturprojekte gemeinsam angehen

Einigkeit herrschte nach Ansicht von Moderator Ratz bei einigen konkreten Infrastrukturprojekten. So beim Thema Stadtbahn, dem die Diskutanten zustimmten (Sudmann [DIE LINKE]: „Stadtbahnfrieden“). Dirk Kienscherf (SPD) merkte an, dass es wichtig sei, dass die „Leute wüssten, was gemacht wird.“ André Trepoll (CDU) verwies auf die Wichtigkeit von Finanzierungszusagen seitens des Bundes. Er plädierte im Umgang der Verkehrsteilnehmer untereinander die gegenseitige Rücksichtnahe immer als Leitlinie vorzugeben. Ewald Aukes (FDP) sieht ebenfalls eine gute Zusammenarbeit in den Fachgremien. „Problem: Was ist, wenn die Bürgerschaft sich einig ist, die Bürger aber nicht?“ Dominik Lorenzen (GRÜNE) sprach sich dafür aus, den Diskurs unter den Parteien nicht gering zu schätzen. Bei aller pragmatischen Zusammenarbeit dürfe es nicht zu einer „Einheitssuppe“ werden.

Hier finden Sie die Antworten der Parteien auf die Fragen des AvD zum Download.

AvD – Die Mobilitätsexperten seit 120 Jahren

Als traditionsreichste automobile Vereinigung in Deutschland bündelt und vertritt der AvD seit 1899 die Interessen der Autofahrer. Mit seiner breiten Palette an Services wie der weltweiten Pannenhilfe, einschließlich einer eigenen Notrufzentrale im Haus, weltweitem Auto- und Reiseschutz, Fahrertrainings und attraktiven Events unterstützt der AvD die Mobilität seiner Mitglieder und fördert die allgemeine Verkehrssicherheit. Das Gründungsmitglied des Automobilweltverbandes FIA betreut seine rund 1,4 Millionen Mitglieder und Kunden ebenso persönlich wie individuell in allen Bereichen der Mobilität und steht für Leidenschaft rund ums Auto.

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