Die Zahl der Befristungen ohne Sachgrund ist seit Anfang der 2000er-Jahre deutlich gestiegen. Allein von 2017 auf 2018, dem aktuellsten Jahr, für das derzeit Daten vorliegen, um mehr als 200.000. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.* Um gegenzusteuern, muss die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarten Regeln umsetzen.

Zwischen 2001 und 2018 hat sich die Zahl der Befristungen ohne sachlichen Grund mehr als verdreifacht – von rund 550000 auf 1,8 Millionen. Der Anteil der sachgrundlos befristeten Jobs an allen Arbeitsverhältnissen ist im selben Zeitraum von 1,7 auf 4,8 Prozent gestiegen. Das zeigt eine Analyse von Dr Eric Seils, Dr. Helge Emmler und Marius Rogall vom WSI. Die Forscher haben Daten aus dem IAB-Betriebspanel sowie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich CDU/CSU und SPD vor zwei Jahren darauf verständigt, dass Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten höchstens 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen. Entsprechende Verträge sollen nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig sein, bis zu dieser Gesamtdauer soll nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich sein. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses – mit und ohne Sachgrund – soll nicht mehr zulässig sein, wenn Beschäftigte zuvor bereits einen unbefristeten Vertrag bei demselben Arbeitgeber hatten oder wenn mehrere befristete Verträge eine Gesamtdauer von fünf Jahren erreichen. Allein im ersten Jahr der laufenden Legislaturperiode, also 2018, ist die Zahl der sachgrundlosen Befristungen gegenüber dem Vorjahr um 223000 jedoch weiter angestiegen. "Die Regelungen im Koalitionsvertrag stellen einen brauchbaren Weg dar, die sachgrundlose Befristung in die Schranken zu weisen. Jetzt kommt es darauf an, diesen Gesetzeskraft zu verleihen", so Emmler.

Am stärksten verbreitet seien befristete Jobs bislang in Großbetrieben, wo sie häufig als eine Art "verlängerte Probezeit" verwendet werden, so die Forscher. Bei kleinen Betrieben sei der Kündigungsschutz schwächer ausgeprägt, weshalb der Anreiz, sachgrundlos zu befristen, geringer ist. Zudem seien Kleinbetriebe mit der Rechtslage weniger vertraut als Unternehmen mit Personalabteilungen. Dies schlägt sich auch im Vergleich der Bundesländer nieder. Generell gilt: Je größer der Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten in einem Bundesland, desto höher der Anteil der sachgrundlos Befristeten.

Hinzu kommen regionale Besonderheiten, die mit der jeweiligen Wirtschaftsstruktur vor Ort zu tun haben.

Am höchsten ist der Anteil der sachgrundlos Befristeten aktuell in den Bundesländern Berlin und Bremen mit mehr als sechs Prozent. In der Hauptstadt entfällt ein Drittel aller befristeten Einstellungen auf die darstellenden Berufe. "Dabei handelt es sich um eine große Menge von sehr kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen von Schauspielern, deren Engagements oft nur wenige Tage dauern", so die Forscher. Im Bundesland Bremen spielt Bremerhaven als Logistikstandort eine wichtige Rolle. Knapp 90 Prozent der beendeten Jobs im Bereich Verkehr und Lagerei in Bremen bestanden weniger als ein halbes Jahr. In NRW beträgt der Anteil der sachgrundlos Befristeten insgesamt 5,8 Prozent. Das liegt zum Teil an Berufen im Bereich Werbung, Marketing und Medien, zu dem auch der Journalismus gehört. "Einstellungen in diesen Berufen werden in NRW nicht nur überdurchschnittlich oft befristet, sondern haben zudem eine im Vergleich zum Bundesgebiet überdurchschnittliche Bedeutung." Baden-Württemberg kommt ebenfalls auf einen Anteil von mehr als fünf Prozent sachgrundlos Befristeter. Der überdurchschnittlich hohe Anteil ist hier auf die großen Betriebe im verarbeitenden Gewerbe zurückzuführen. Allein auf die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg entfielen 15,7 Prozent der befristeten Einstellungen, von denen ein großer Teil sachgrundlos ist.

Zusammengenommen waren im Jahr 2018 3,2 Millionen Jobs in Deutschland befristet, fast doppelt so viele wie 2001. "Der Anstieg der befristeten Beschäftigung ist vor allem auf die Zunahme der sachgrundlos befristeten Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen", erklärt Emmler. Weniger stark war die Zunahme bei Befristungen mit Sachgrund – etwa Vertretungen. Deren Anzahl ist zwischen 2001 und 2018 von 782000 auf 904000 gestiegen. Ihr Anteil an allen Arbeitsverhältnissen ist weitgehend konstant geblieben und liegt gegenwärtig bei 2,4 Prozent. Befristungen aufgrund begrenzt zur Verfügung stehender öffentlicher Fördermittel sind im selben Zeitraum um mehr als die Hälfte auf 147000 zurückgegangen. Die Zahl der sonstigen Befristungen liegt gegenwärtig bei 237000. Darunter fallen vor allem Befristungen nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz für Hochschulen. "Befristete Beschäftigungen stellen für die zumeist jungen Betroffenen ein Problem dar, weil sie oftmals mit Einkommensarmut, Einschränkungen hinsichtlich der sozialen Teilhabe und der Familiengründung verbunden sind", schreiben die Forscher.

*Eric Seils, Helge Emmler, Marius Rogall: Befristete Beschäftigung. Eine Auswertung regionaler Daten für 2018, WSI Policy Brief Nr. 35. Download: https://www.wsi.de/…

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