In letzter Zeit haben wohl die meisten von uns mehr oder weniger freiwillig mit Masken zu tun gehabt. Da ist es vielleicht ganz gut, wenn der heutige Newsletter einen Text präsentiert, in dem es ums Demaskieren geht. Wolfgang Schreyer erledigt dies im zweiten der insgesamt fünf Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 10.07.20 – Freitag, 17.07.20) zu haben sind. „Alpträume“ lautet der Titel der „Dreizehn erotischen Geschichten mit kriminellem Hauch“ von Wolfgang Schreyer, die er auch Demaskierungen hätte nennen können. Und wenn die Maske weg ist, dann sieht man mitunter kaum mehr als – nackte Haut. Wie zum Beispiel auf dem Altburger Theater im Vorpommerschen Sibirien. Aber lesen Sie selbst.

Mit ihrer biographischen Erzählung ‚„Geliebter Herzensmann …“. Emilie und Theodor Fontane‘ rückt Gisela Heller das Bild von der Ehefrau des berühmten Schriftstellers in wesentlichen Punkten zurecht und sorgt gewissermaßen für biografisch ausgleichende Gerechtigkeit zwischen dem literarischen Frauenversteher und seiner Frau, die es mit ihm offenbar nicht immer leicht hatte.

Die Familie – Macht um jeden Preis“ – nicht unbedingt etwas für zarte Gemüter ist dieser 3. Teil der Erotikthriller-E-Book-Serie „Sie liebt ihn zu Tode“ von St. Harman.

Um maschinenfreundliche Menschen und menschenfreundliche Maschinen geht es in den Utopischen Erzählungen „Der indiskrete Roboter“ von Gerhard Branstner. Ein erstaunlicher Blick in die Zukunft – und vielleicht auch in die Gegenwart …

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. In dieser Woche wird eine Geschichte erzählt, in der ein Mensch auf ein Tier wütend ist, sehr wütend sogar, und ihm die Schuld an einem Unfall gibt. Und er will es diesem Tier heimzahlen. Aber darf man so mit der Natur umgehen?

Erstmals 1988 veröffentlichte Bernd Wolff im Kinderbuchverlag Berlin „Die Wildgrube“: Es gibt unvorhergesehene Ereignisse, die einen aus der Bahn werfen können; für den 13-jährigen Frederic Funcke war das der Zusammenstoß von Vaters Auto mit einem Stück Wild, kurz vor der Haustür, am Ende eines schönen Sommerurlaubes in den Beskiden. Plötzlich ist er, vorübergehend, auf sich allein gestellt; die Eltern und die jüngere Schwester liegen im Krankenhaus. Alles muss er nun allein entscheiden, sich um die Wohnung und das beim Unfall verstreute Urlaubsgepäck kümmern; zugleich beginnt das neue Schuljahr mit einem neuen Klassenlehrer, manchmal wird es dem Jungen fast zu viel. Die Schuld an dem Unfall schreibt er dem Tier zu. In der Nähe der Stelle, wo es über die Straße wollte, beginnt er, wie die Urmenschen aus dem Geschichtsunterricht, eine Wildgrube zu schachten, um sich an dem Wesen, das er als einziges unversehrt glaubt, zu rächen. Doch er wird beobachtet …

Erzählt wird die spannende Geschichte des Jungen Frederic, der sich selbst aus der seelischen Grube, in die er abzurutschen drohte, herausrettet, seiner Freunde und Widersacher, der Menschen um ihn, die er auf besondere Weise neu kennenlernt. Das alles in den achtziger Jahren in der wunderschönen Natur des Harzes rund um eine Stadt, die mittlerweile zu den Hauptanziehungspunkten dieser Gegend geworden ist. Und so kommt es zu dem folgenreichen Zusammenstoß:

1. Kapitel

Das Auto rauschte die lange kurvenreiche Bergstraße hinab. Es war, als blähe der warme Fahrtwind es auf, sodass man schlucken musste, um den Druck auf den Ohren loszuwerden.

„Eine Lust ist das, wie der Wagen läuft. Er wittert seinen Stall, unser Rolleken“, sagte der Vater gut gelaunt. Er sang: „Müde kehrt ein Wandersmann zurück nach der Heimat, seiner Liebe Glück …“ Er dehnte sich. „Massiere mir mal den Nacken, Frederic, das Kreuz bricht mir durch. Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide.“

Eigentlich war der Junge zu faul. Zwölf Stunden endloser Fahrt fast ohne Pausen in dieser Hitze, warten am Zoll, warten an der Raststätte, warten an Tankstellen – das hatte ihn mitgenommen. Er fühlte sich verschwitzt und müde und hätte sich gern in die Ecke gekuschelt und gedöst wie die Schwester. Aber er begriff auch, dass es der Vater ungleich schwerer hatte. Seufzend rappelte er sich hoch und begann, die Schultern da vor sich zu knurpeln. Es waren knochige Schultern, die Muskelstränge wie harter Gummi, und Frederic walkte und kniff und verzog das Gesicht dabei. Er spürte, wie der Vater wohlig ächzend mitging. Der Hals, sonnenverbrannt und voller weicher blonder Härchen im Genick, rollte mit, der Kopf wiegte sich im Takt, mit Inbrunst schmetterte der Fahrer: „Und die Gärtnersfrau, so hold und bleich …“

Frederic sah nah vor sich die Stelle am Wirbel, wo das Haar schon dünn wurde, sie war ihm noch nie zuvor aufgefallen, und es rührte ihn eigentümlich, so etwas wie Altern an dem Mann zu bemerken, der im Urlaub in den Beskiden so unverwüstlich mit ihnen gewandert war, getobt und getollt und herumgealbert und gebadet hatte. Es war der schönste Urlaub bisher gewesen, jetzt aber näherten sie sich ihrem Zuhause. Frederic kannte die Straße, jede Kurve zwischen den Bergflanken hinab, jedes Waldstück. Von hier konnten es nur noch sechs oder sieben Kilometer sein, ein Katzensprung.

„Lasst doch den Unsinn jetzt während der Fahrt“, tadelte die Mutter, „du gehst dann gleich unter die Dusche, Werner, da wirst du wieder frisch, achte lieber auf die Straße.“

Der Vater wandte den Kopf und blickte sie schmachtend an. Er sang: „… doch bei jeder Rose, die sie bricht, rollt eine Träne ihr vom -“

„Werner! Gib acht! Das Tier!“, schrie die Mutter. Frederic fuhr auf. Rechts im Jungwuchs, dreißig Meter vor ihnen, undeutlich im Gefleck von Licht und Schatten, stand groß und rot ein Stück Wild hart an der Fahrbahnkante. Der Vater trat so heftig auf die Bremse, dass es alle nach vorn riss. In dem Moment sprang das Tier. Es traf genau gegen die Frontscheibe. Ein Hagel von Glas überschüttete sie. Frederics Kopf prallte gegen den Nacken des Vaters. Der Wagen brach aus, schlingerte, schüttelte, bockte. Als der Vater ihn fast zum Stehen gebracht hatte, rutschte er seitwärts in den Graben und knallte gegen einen Baum. Krachen, Klirren, Knirschen. Stille.

Frederic hob den Kopf, unwillkürlich fuhr die Hand zum Mund, der schmerzte wild. Da begriff er. Dort hingen die Eltern, die Schwester unbeweglich. Gepäckstücke waren durcheinandergepoltert. Er riss und stemmte an seiner Tür, die sofort nachgab, fast wäre er hinausgestürzt. Der Boden war hier tief und schräg, sodass er kaum festen Halt fand. Er zerrte Susanne heraus, die schlaff und schwer in seinen Armen hing, schleifte sie ein Stück den Graben hinauf, bettete sie dort. Hastete zurück, versuchte die Fahrertür zu öffnen, schaffte es mit großer Anstrengung, riss den Vater hinter dem Lenkrad hervor, das so dicht an ihn herangerückt war. Wie ein Sack legte sich der Körper auf ihn, hing dann im Haltegurt fest, den er so schnell nicht lösen konnte, er heulte vor Verzweiflung. Er wusste nicht, wie es gelang, doch dann rutschte der Vater auf ihn, und er plagte sich mit ihm ab. Schon griffen helfende Hände zu, jemand musste inzwischen angehalten haben. „Mutti ist noch drin“, keuchte er, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Er kam zu sich, lange Zeit oder wenige Augenblicke später, weil ihm jemand in den Mund blies. Unwirsch schob er das Gesicht beiseite, richtete sich auf. „Liegen bleiben!“, herrschte ihn eine tiefe Stimme an. „Der Rettungswagen kommt gleich.“ Das Gesicht hatte er noch nie gesehen, Schnurrbart, Glatze. Es bedeutete ihm nichts.

„Ist Mutti raus?“, brachte er mühsam hervor. Die Lippe war ihm unförmig angeschwollen, es schmeckte nach Blut. Im Kiefer puckerte es.

„Ja, ja. Gib Ruhe!“ Das Gesicht verschwand, stattdessen öffnete sich über ihm der Himmel. Er war hoch und weit, die Wolken, die in großer Höhe dahinschwammen, hatten rötliche Säume von Abendlicht, und in einer Esche, die ihre Fiederblätter unbeweglich spreizte, sang, als wäre nichts geschehen, ein Amselhahn. Voll und rund tropften die Töne herab, und immer, wenn er später an diese Stunde dachte, verband sich ihm alles mit dem Abendlied der Schwarzdrossel. Er lag und dachte an nichts, außer dass er auf seltsame Art davongekommen war. Noch drang das Geschehen nicht mit aller Härte in sein Bewusstsein. Er war erleichtert und fand es beruhigend, einfach so dazuliegen und den Gesang in sich fließen zu lassen. Wenn nur der Schmerz in den Zähnen nicht wäre!

Dann neben ihm das tiefe Knurren einer schweren Maschine, so nah, dass es peinvoll den Schädel zu sprengen drohte, es ging auch nicht fort. Als es endlich erstarb, war auch von der Amsel nichts mehr zu hören. „Kann ich helfen?“ Eine fremde Männerstimme.

„Bist du Arzt?“ Das war der Glatzkopf.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmals 1991 veröffentlichte Wolfgang Schreyer im Dr. Ziethen Verlag Oschersleben „Alpträume. Dreizehn erotische Geschichten mit kriminellem Hauch“: Ekstase sei machbar, sagt man uns: genital, klitoral, phänomenal, ganz egal; dem Autor dieser dreizehn Storys ist das schnurz. Statt Orgasmen vorzuführen, spürt er dunklen Süchten nach, der rätselhaften Chemie des Eros. Wonach dürsten seine Figuren? Ihr Intimleben enthüllt sich Zug um Zug. Erst die Schändung seiner Frau, nur in der Fantasie, macht zum Beispiel Heiner spitz. Ulrichs höchstes Glück wäre es, das blutjunge Weib seines Chefs prügeln zu dürfen, splitternackt. Magnus, der Starreporter, will ein scheues Reh, das sich ihm zwanghaft entzieht. Anja sucht die reife Freundin und findet leichtes Geld. Dem Psychiater Professor Winter geht nichts über ein Mercedes-Coupé; auch Blech kann erotisch sein. Ohne die Vorstellung, man erniedrige sie, hat Gabi keinen Höhepunkt. Wendelin will spüren, wie die Macht schmeckt, auf stinknormale Art ein Sadist auch er. Beklemmend geistert durch dreizehn bizarre Träume der Drang nach Unterwerfung, die Lust an geheimer Grausamkeit. Der Clou: All diese Triebtäter sind Menschen wie du und ich. Im Alltag sitzt ihre Maske fest, bis ihr Schöpfer, der einräumt, selbst nicht besser zu sein, daran rührt. Schreyer entblößt sie so gnadenlos, wie sein Intendant Striese den Star des Theaters, die bildhübsche Bella, auf die Bühne schickt. Hier ein Auszug aus der angekündigten Geschichte über das Theater im Vorpommerschen Sibirien, die allerdings weiter im Westen beginnt und erst dann nach Osten schwenkt – oder besser gesagt nach Nordosten:

COMING-OUT

„Auf nach Altburg“, hatte Bösfeld zu mir gesagt, der Chefredakteur des ZEITGEIST-Magazins, mit spitzer Zunge und Ekelfalten am Mund. „Ganz hinten im Sumpf von Deutsch-Nordost, den hat unser Fernsehen nie erreicht. Kein Kino dort, nicht mal ’ne Disco, nur das Theater. Eine Art Nachtasyl. Die letzte der siebzig Bühnen dieser sterbenden Republik.“

„Die soll ich unter die Lupe nehmen?“

„So ist es, Magnus – frisch ans Werk. Eure Themen sind ausgelutscht, die Kulturseite ist tot, das Publikum hat euer Lifestyle-Zeug und die Welt der schönen Bilder satt. Es fehlt der Realitätsbezug! Wem da nichts einfällt, der wird hier nicht alt.“

Ein klares Wort. Die Situation war da. Und ich – Magnus Prinz, 36, der schärfste Hund von ZEITGEIST – begriff es als Herausforderung. Die Chance im Osten: Da liegt Gold. Der Dreiteiler über das Provinznest und sein Theater, dies folgte mir bis in den Schlaf. Helle und dunkle Bilder zwischen anything goes und rien ne va plus überschwemmten mich.

Der Lockruf des Abenteuers. Einst hatte ich mal ein Szenarium verfasst, unter dem Titel Green Horns Karriere, ich liebte den Film, doch der liebte nicht zurück, kein Mensch wollte das inszenieren. Nun aber entstand auf dem Personalcomputer über Nacht daraus ein Bühnentext.

Statt mich dem Altburger Theater als Journalist zu nähern, wollte ich dort in der Maske des Regisseurs auftreten, ins Ensemble eindringen und verdeckt ermitteln. Undercover agent, das war die Idee. Besser als zehn schlappe Interviews: die Inside-Story eines Theatermannes, hinter dem auch noch Geldgeber sind! Das lähmt drüben die Kritik, hier wischt es das Lifestyle-Zeug vom Tisch, den Mix aus Hollywood, Dior und Dioxyn … Bösfelds Nörgeln ist passe. Unter ihm geht alles, wenn es nur schnell und anders als gehabt und nicht total in die Hose geht.

Jenseits des alten Grenzzauns las ich die Annonce: „Modell aus Schwerin, 21, langbeinig, 178 qm, 91-58-87, steht Profi o. Amateur für freizüg. Foto/Videoaufn. u. als Hostess zur Verfügung.“ Das stärkte mich. Trotz des kleinen Druckfehlers (es konnten kaum 178 Quadratmeter gemeint sein, selbst für Breitwandfilme zu viel) wurde mir warm. Ich hatte den Eindruck, das ganze Land mit all den Frauen liege mir zu Füßen.

Der letzte Rastplatz vor Altburg sah mich schon am Ball, ich sprach drei Sätze auf Band: Abends, wenn die Rapsfelder ihr Giftgelb in den verblassenden Himmel feuern und vom Moor weiße Nebelfäden herüberziehen, wird Altburg zur Geisterstadt. Dann liegt das morsche Gemäuer der alten Hansestadt verlassen da, abgebrannt in Pommerland. Alles scheint vorbei, nichts mehr zu hoffen, unsägliche Tristesse breitet sich aus. Ein lyrischer Auftakt. Ja, wir von ZEITGEIST haben den Dichtern über die Schulter geschaut.

Anderntags landete ich den Coup. Der Intendant empfing mich sofort, ein fülliger Kultursheriff der verblichenen Staatspartei namens Hannes Striese. Arglos überflog er meine Papiere, darunter der Brief des New Yorker Elysium Theatre, einer winzigen Off-Broadway-Bühne. Und das Skript Green Horns Karriere zog ihn regelrecht in Bann. Er feuchtete den Zeigefinger an und las sich fest, neben Green Horns Zukunft auch die eigene im Blick. Zu Szene zwei, wo der Bildreporter Green Horn die Filmdiva im gestrandeten Hubschrauber trifft, merkte Striese zögernd an: "Der Dialog klingt recht hart, Herr Prinz, für die Ohren unseres doch sehr kleinstädtischen Publikums.“

„Den Text kann man dämpfen“, sagte ich. „Aber nackt muss die Dame sein.“

Das gefiel ihm, er beleckte seine Lippen und gab mir ein paar Fotos von der Darstellerin, die er in dieser Rolle sah. Eine schmale, rehäugige Schönheit. „Das ist Annabel“, murmelte Striese. „Unser Schmuckstück. Kommt aus dem Laienspiel – Abitur, Schauspielschule, hoch ambitioniert und sehr sensibel. Nicht leicht, ihr nahezubringen, dass sie hüllenlos auftreten soll.“

„Das ist Ihr Bier“, sagte ich. „Macher Sie jedem nur klar, wer nicht sein Letztes gibt, der wird hier nicht alt.“

„Sie bringen es auf den Punkt“, stimmte er mir bei. „Das Land ist am Arsch, dieses Theater sowieso. Altburg, Herr Prinz, war die Strafkolonie der Republik, bühnenmäßig. Aufmüpfige wurden hergeschickt, ins vorpommersche Sibirien, wo sie keinem schaden konnten, staatspolitisch. Wir sind das Abstellgleis gewesen. Wer sonst noch bei uns gelandet ist, der hatte entweder Probleme mit dem Alkohol oder mit dem Leben.“

„Wo ist der Unterschied?“, fragte ich zerstreut, denn beim Betrachten der Bilder dämmerte mir, diese Annabel war wunderbar, ein Traum aus jungfräulichem Charme und zigeunerhaftem Feuer. Eines der Mädchen, die brunftartige Urlaute ausstoßen, wenn es soweit ist. Ich erkenne sie und hoffe immer, nicht zufällig ein Nebenzimmer in dem Hotel zu buchen, das sie für eine Liebesnacht wählen.

Der Regietext ging: „Gloria Heaven sitzt nackt vor einem Spiegel an der Kabinenwand des defekten Hubschraubers. Unter ihren schwellenden Kurven ist ein weißer Bademantel über den Sitz drapiert. Bei Green Horns Eintritt steht sie auf, perplex, die Augen geweitet. Darüber türmt sich ihr üppig-helles Haar, und das schrille Blond setzt sich unten in winzig-betörenden Löckchen fort. Auch Green Horn ist baff: die weißeste Frau, die er je sah …“ Ich machte Gloria brünett, schrieb also die Rolle Annabel auf den Leib. Auch ein Provinzstar hat Anspruch auf solche Kosmetik im Text.

Und schon bei der ersten Probe sah ich, die Korrektur hatte sich gelohnt. Bella, so hieß sie im Ensemble, war Zucker, wahnsinnig süß. Ihr fragiler Körper hielt, was das Gesicht versprach. „Fantastische Titten“, raunte mir Striese zu, nachdem der sie bekniet hatte, alles abzulegen, im Dienste der Kunst und zur Rettung dieser Bühne. „Hab ich zu viel gesagt? Das sind Paradiesäpfel, Magnus, Signale weiblicher Vollkommenheit. Ein Kassenmagnet! Das steilste Objekt der Begierde.“ Sein Blick strich an ihr abwärts, und ohne dass es ihm bewusst zu sein schien, summte er: „Die Prinzessin von Kastilien, die hat Schenkel weiß wie Lilien …“

„Halten Sie sich zurück“, mahnte ich.

„Jeder verzehrt sich nach ihr“, seufzte er, „und keiner ist ihr gut genug. Selbst durch mich sieht sie hindurch, so als ob …“ Auf der Suche nach einem Vergleich schlug er sich an die Stirn. „Als wäre da gar nichts.“

„Vielleicht ist da auch wirklich nichts“, sagte ich in dem Gefühl, dass wir anfingen, zu streiten. Striese war nicht nur Intendant – trat manchmal sogar auf, wegen des Kleidergeldes als Zubrot -, sondern auch Oberspielleiter des Hauses mit der Neigung, anderen in die Regie dreinzureden.

Sehr lästig. Seine Triebhaftigkeit hätte mir fast die Szene zerstört. Er wollte nämlich, dass Bella vorn an der Rampe ihre Zigaretten verlor und sich danach bückte, den Rücken zum Parkett – einzig um ihr Heck zu begaffen, in dessen prallster Form. Ich aber befahl dem Green Horn, ihr die Schachtel Peter Stuyvesant aufzuheben, um die es ging.

„Wozu dann überhaupt?“, giftete Striese. „Streichen wir den Zigaretten-Gag!“

„Dies verprellt uns den Sponsor und schmeißt das ganze Stück“, sagte ich. „Das Rauchen gehört zu Glorias Image. Sie hat einen Vertrag mit der Firma, der es ihr verbietet, jemals ohne Zigarette im Bild zu sein. Deshalb ist die ihr wichtiger als der Bademantel.“

Mehr als solch Bruch der Dramaturgie schreckte ihn der Verlust eines Geldgebers. Bisher hatte das Kulturministerium sein Haus jährlich mit anderthalb Millionen gestützt, jetzt kam kein Geld mehr aus Berlin. Bedenken gegen den Tabak-Slogan Come together and learn to live as friends hegte Striese nicht. Er hätte das nur gern verdeutscht gesehen, damit sein Publikum es als Zünder der großen Verbrüderung begriff: Kommt zusammen? Freunde immerdar? Deutsche an einen Tisch? Wir sind ein Volk? Schwestern teilen alles? Deutschland einig Vaterland? Die Vielfalt des Angebots brachte ihn aus dem Tritt.“

Erstmals 1998 erschien in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung Berlin die Biografische Erzählung ‚„Geliebter Herzensmann …“.Emilie und Theodor Fontane‘ von Gisela Heller: In Veröffentlichungen zur Biografie Fontanes erfährt man über seine Frau Emilie kaum mehr als die Tatsache, dass sie das freie Schriftstellerdasein ihres Mannes nicht besonders guthieß, da sie sich um den regelmäßigen Lebensunterhalt der Familie Sorgen machte. Selten wird dagegen erwähnt, dass sie ihrem Mann über Jahrzehnte zur Seite stand und dass Fontane in ihr auch eine wichtige Kritikerin seiner Texte sah. Aus diesem Schattendasein darf Emilie nun endlich heraustreten. Gisela Heller beschreibt ihr Leben mit viel Engagement und großer Detailkenntnis, und man entdeckt auf diese Weise völlig neue Facetten im Leben Theodor Fontanes, die zugleich auch eine bisher kaum bekannte Sicht auf das literarische Werk des Schriftstellers eröffnen. Hier ein Blick auf die Anfänge der Beziehung von Herrn und Frau Fontane:

Verlobung auf der Brücke

Am 8. Dezember 1845 feiert Onkel August seinen 41. Geburtstag. Natürlich ist sein alter Whistpartner Kummer eingeladen. Theodor lässt sich entschuldigen; er weiß nicht, dass auch Emilie mit von der Partie ist. Am Nachmittag erhält er ein zierlich gefaltetes Briefchen, in dem sie „ihren lieben Freund Theodor“ bittet, sie auf dem Nachhauseweg von Onkel August zu Kummers Wohnung in der Oranienburger Straße zu begleiten. Das ist Ehrensache, schließlich kann man eine junge Dame in der Dezemberdunkelheit nicht allein gehen lassen. Pünktlich um 22 Uhr endet sein Spätdienst, pünktlich um 22 Uhr liefert Onkel August Emilie vor der Apotheke ab. Für den Rest des Weges, die ganze Friedrichstraße hinunter bis zum Oranienburger Tor und in die Oranienburger Straße hinein, übernimmt Theodor die Schirmherrschaft. Man plaudert, man neckt sich wie immer, und plötzlich, wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, kommt ihm der Gedanke: „Emilie ist die Frau, mit der ich ein ganzes Leben verbringen könnte!“ (Noch fünfzig Jahre später wird er in seiner Autobiografie bestätigen, dies sei der „glücklichste Gedanke seines Lebens“ gewesen.)

Mitten auf der Brücke fallen die entscheidenden Worte: „Willst du meine Frau werden?“ Emilie hat diesen Satz insgeheim schon lange herbeigesehnt, aber dass er so beiläufig, im wahrsten Sinne des Wortes im Vorübergehen ausgesprochen wurde, enttäuscht sie. Nun ja, wenigstens der Ort der Handlung, die Brücke, hat etwas Symbolträchtiges, tröstet sie sich. Wie die Brücke die beiden Ufer der Spree verlässlich verbindet, so werden auch sie für alle Zeit miteinander verbunden sein.

Nach dem einzigen, kalten Dezemberkuss meldet sich bereits der Zweifel: Wie, wenn er sich nur einen Scherz erlaubt hätte? Zuzutrauen wäre es dem notorischen Spötter. Aber vor Kummers Haus nimmt er noch einmal ihre Hand und sagt eindringlich, mit ungewohnter Herzlichkeit: „Wir sind aber nun wirklich verlobt?!“

Das sind sie. Und sie sollen es fünf lange Jahre bleiben.

Der unterkühlten Verlobungsszene auf der Brücke folgt der Ring und – natürlich – ein Verlobungsgedicht, in dem von jungem Liebesrausch, von schäumender Lebensfreude und unversehrter Treue die Rede ist. Behüt dich Gott!, das fünf Jahre durchzuhalten ist schwer.

Onkel August, Pinchen und Kummers gratulieren von Herzen, sie haben schon seit Langem gewittert, dass sich zwischen den beiden etwas anbahnt. Alle anderen sind weniger erbaut. Wenn man es in Emiliens Verwandtschaft auch nicht ausspricht, aber man denkt doch: Hätte es nicht ein Stabsarzt sein können wie bei Marie, oder ein Offizier wie bei Clara? Emilie hatte in Liegnitz doch so viele Chancen; warum einen dichtenden Apotheker – ohne Apotheke?

Ausgerechnet die so streng wirkende Mutter Fontanes ist von Emiliens Herzlichkeit und Frische entzückt: „Du hast Glück gehabt, Theodor“, sagt sie, „sie hat genau die Eigenschaften, die für dich passen.“

Mit mütterlichem Instinkt fühlt sie, dass Emilie neben Esprit und gesundem Selbstbewusstsein auch die notwendige Anpassungsfähigkeit besitzt, um ihrem Theo eine echte Stütze zu sein. Ihr selbst hat es oft genug daran gefehlt. Sie hat sich bei Louis Henri Fontane immer gefragt, wie weit die Anpassungsbereitschaft einer Frau gehen darf: bis zur Selbstaufgabe? Mit allen Mitteln der Diplomatie und des ständigen Raisonierens hat sie versucht, ihren leichtsinnigen Mann zu zügeln. Vergebens. Er will auf das Jeu und andere noble Liebhabereien nicht verzichten, obwohl er damit die Familie ruiniert. Denn immer, wenn ein Bankrott vor der Tür stand, vertauschte er seine Apotheke mit einer kleineren, die natürlich auch weniger abwarf, um von dem Verkaufserlös wieder eine Weile drauflos zu leben. So sind sie aus der stattlichen Neuruppiner Löwen-Apotheke in das romantisch-abenteuerliche Swinemünde gekommen und schließlich im Oderbruch gelandet, der „letzten Station vor Sibirien“, wie sie es nennt.

Theodor, das liebste und begabteste ihrer fünf Kinder, hat, bei aller Strebsamkeit, doch etwas von der verhängnisvollen Veranlagung seines Vaters geerbt. Er ist kein Whistspieler, im Gegenteil, das schlechte Vorbild Louis Henris hat ihm beizeiten jeglichen Spaß an Karten und Glücksspielen vergällt, aber er ist in ihren Augen ein Spieler anderer Art, denn er träumt von der Existenz eines Dichters, der allein von seiner Feder lebt. Das ist ebenso gefährlich. Wird Emilie klug und stark genug sein, ihn zu einer gutbürgerlichen Lebensweise zu bekehren? Aufgrund ihrer eigenen Ehe ist Mutter Fontane davon überzeugt, dass nur diese die Voraussetzung schafft für ein Glück auf Dauer – oder wenigstens für ein wohltemperiertes Leben ohne aufregende, nervenzehrende Turbulenzen. Gutbürgerliche Existenz ist für sie gleichbedeutend mit dem Besitz einer eigenen Apotheke. Doch wovon will Theodor sie erwerben? Auch wenn er es nicht wahrhaben will: Vaters Vermögen ist längst verspielt. So viel Realitätssinn besitzt Theodor immerhin, um sich zu sagen: Zuerst das Staatsexamen, alles Weitere wird sich finden.

Im März 1847 besteht er es. Nun hat er es schriftlich: Er darf in allen preußischen Landen eine eigene Apotheke erwerben. In Frankfurt an der Oder weiß er eine, die ihm zusagen würde. Doch nun kommt für Louis Henri Fontane die Stunde der Wahrheit; er muss zugeben, dass er ihm nicht helfen kann, er steht selbst wieder einmal vor dem Bankrott.

Theodors bester Freund Lepel erklärt sich spontan bereit, eine alte, wohlhabende Tante „in den Skat zu legen“ und um ein Darlehen anzugehen, aber Fontane, sonst nicht zimperlich, bei Lepel zu borgen, will es doch nicht so weit treiben. Aus der Traum von einer eigenen Offizin.

Für die Mutter ist dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt; sie kratzt den kläglichen Rest ihrer einst stattlichen Mitgift zusammen, nimmt die kleine nachgeborene Elise an die Hand und trennt sich von dem Mann, der immer in guter Hoffnung und nie in gesegneten Umständen lebt.“

Erstmals 2014 veröffentlichte EDITION digital als Eigenproduktion unter dem Titel „Die Familie – Macht um jeden Preis“ den 3. Teil der Erotikthriller-E-Book-Serie „Sie liebt ihn zu Tode“ von St. Harman: Vor die Wahl gestellt, an die Polizei ausgeliefert zu werden, schlüpft sie in die Identität der Schwester des Mafiabosses und wird die reiche und angesehene Magdalena Garibaldi Pieno. Eigentlich könnte sie sich ihrem Familienglück und ihren beiden Kindern widmen. Die neue Identität bewahrt sie auch vor dem Zugriff der Polizei. Doch die Gier nach Macht, Rache und neuen amourösen Abenteuern lässt die Frau nicht los.

In dem folgenden Ausschnitt geht es um alles oder nichts:

„Matthäus Mendossa lacht zynisch und behauptet: „Nichts ist mit Großvater. Ich weiß nicht genau, wie mein Herr Enkelsohn es gedreht hat, aber du bist nicht Magdalena Mendossa. Du magst dich zwar jetzt Magdalena Garibaldi nennen, aber eine Mendossa bist du nicht. Ich hatte auf der Hochzeit schon Zweifel gehabt, konnte aber nichts beweisen. Magdalena, Gott habe sie selig, ist definitiv tot. Den Beweis habe ich. Nur wer du bist, weiß ich noch nicht. Es ist aber sicher, dass du eine Hure bist, die mein Enkelsohn gekauft hat, um an das Geld der Garibaldi zu kommen! Wer bist du? Ich frage dich jetzt noch ganz höflich. Bekomme ich nicht die gewünschte Antwort, rufe ich die Männer. Erst brechen sie dir die Finger und die Nase. Dann werden sie dir bei vollem Bewusstsein deine wirklich schönen Brüste abschneiden. Schweigst du immer noch, lasse ich dir deine Fotze herausreißen. Enden wird dein Schweigen tot in deinem Auto, das den Abhang herunter rollt und ausbrennt. Redest du gleich, schone ich vielleicht doch noch dein Leben. Du entscheidest also selbst, wie es mit dir weiter gehen wird!“

Magdalena fällt vor bleierner Angst das Atmen unsagbar schwer. Doch dann hört sie sich ganz ruhig sagen: „Ja dein sauberer Herr Enkelsohn hat mich gekauft. Er hatte mich in der Hand. Ich habe ihn um mehrere hunderttausend Euro geprellt. Eine millionenschwere Jacht, die mir gar nicht gehörte, habe ich verkauft. Mit dem Geld bin ich untergetaucht. Euer Enkel hat mich in ganz Europa suchen lassen. Er und die Polizei haben Jagd auf mich gemacht. Die Schlinge zog sich für mich zu. Ich wählte den Weg zu ihm. Damals wollte ich lieber sterben, als in einem Gefängnis vermodern. Tatsächlich wollte er mich am Anfang lebendig einbetonieren lassen. Doch dann ist ihm meine erstaunliche Ähnlichkeit mit seiner totkranken Schwester aufgefallen. Ich hatte gar keine andere Wahl, ich musste mich seinem Willen beugen!“

„Das ist typisch für ihn. Du bist also eine Betrügerin. Wer bist du?“, fragt Matthäus Mendossa schon freundlicher und blickt ihr dabei tief in die Augen.

Sie atmet tief durch, entscheidet sich für die Wahrheit und erzählt offen und ehrlich weiter: „Ich bin Martina Harder, eine Deutsche aus Hamburg. Die Polizei sucht mich, weil ich in verschiedene Mordfälle verwickelt bin. Unter anderem, weil ich die Besitzer der Jacht mit Bleigürtel im Meer versenkt habe. Keine Sorge, sie waren schon tot. Die drei Männer habe ich gegeneinander aufgehetzt, der letzte bekam nur noch den Gnadenstoß von mir. Mit dem Wissen konnte mich dein Enkelsohn leider erpressen!“

Matthäus Mendossa hebt die Augenbraue überrascht an und meint spöttisch: „Stell dir vor, ich glaube dir Miststück deine Geschichte sogar. Das bestätigt auch meine Vermutung, dass du am Tod meines Enkels Julio und deines Ehemannes doch beteiligt bist. Vielleicht hast du sie sogar eigenhändig erschossen oder gegeneinander aufgehetzt. Was zu dir passen könnte. Ihr Weiber seid zu feige zum Kämpfen!“

„Nicht vielleicht, ich habe sie alle erschossen!“, erklärt Magdalena stolz.

„Also doch. Respekt. Du hast nur das getan, was ich sonst getan hätte. Sie wollten mich an dem bewussten Tag ganz aus dem Geschäft drängen. Die Männer haben dich alle gewaltig unterschätzt. Aber du bist auch eine verdammte Hure, die für Geld alles macht. Du bist ohne Moral, Anstand und ohne jedes Gewissen. Mein Enkelsohn hat dich hemmungslos gefickt, da warst du längst verheiratet und von deinem Mann schwanger. Du Miststück hast vor Geilheit meinem Enkel ins Gesicht gepinkelt. Ich habe Beweise!“

„Ich gebe es zu, Julio hat mich wie sein Eigentum behandelt. Er fand es geil, wenn er mich vor der Kamera demütigen konnte. Er verlangte, dass ich Abartiges vor der Kamera für ihn tue. Nur sein Tod hat mich von ihm und der Schande erlöst. Gott sei es gedankt!“, klagt Magdalena, bekreuzigt sich und heuchelt tiefe Reue.

Der Patriarch ist beeindruckt und ihre zur Schau gestellte Frömmigkeit zeigt die erhoffte Wirkung. Er stimmt ihr zu: „Ich weiß, er war ein Schwein. Dass du als Weib von Gott bestimmt bist, dem Mann zu gehorchen, befreit dich zwar nicht von deiner Todsünde, aber mildert Gottes Strafe. Wenn er nicht schon tot wäre, hätte ich ihn auch dafür umbringen lassen. Du warst nur Gottes Hand. Darum vergebe ich dir deine Verbrechen. Irgendwie mordest du sogar mit Stil. Respekt. Die Polizei so perfekt zu täuschen, hat was. Die Männer, die ich alle umlegen ließ, werden mir bis heute angelastet. Nur mein Name und mein Geld haben mich bisher vor Strafverfolgung geschützt!“

„Danke, danke, dass du mir vergibst!“, erwidert Magdalena erleichtert. Sie kniet jetzt vor ihm nieder und küsst seinen Siegelring auf der Hand. Die nicht weichende Angst, dass der Mann sie dennoch töten lassen könnte, lässt sie trotz der Tageshitze frieren.

Der Blick des Patriarchen wird auffallend kalt und er sagt: „Danke mir nicht voreilig. Ich erwarte von dir blinden Gehorsam. Bist du mir ergeben, darfst du weiter leben. Verweigerst du dich mir, bist du praktisch tot!“

„Ich gehorche dir bis in den Tod. Alles tue ich, was du von mir verlangst. Sag, was soll ich tun?“, erwidert Magdalena sklavisch. Sie überlegt gleichzeitig, wie sie den alten Zausel gefahrlos töten kann.

Matthäus Mendossa grinst und sagt: „Dann beweise es mir!“

„Wie kann ich dir dienen?“, fragt Magdalena unterwürfig.

Matthäus Mendossa grinst und sagt recht leise: „Höre, was ich von dir verlange. Du lässt dich von mir so lange ficken, bis du von mir schwanger bist. Eine Krankenschwester und einer meiner Männer kontrollieren dich ständig, ob du nicht doch eine Schwangerschaft verhinderst. Bist du schwanger, wirst du meinen zweiten stockschwulen Enkelsohn heiraten. Bekommst du ein Mädchen, werde ich dich so lange ficken, bis ich von dir einen Sohn bekomme. Wie entscheidest du dich?“

Magdalena braucht nicht nachzudenken. Sie steht auf, lässt mit einem Handgriff ihr Badetuch fallen. Nackt steht sie vor dem Mann. Sie kämmt mit den Fingern der Hand ihr Schamhaar und sagt mit belegter Stimme: „Das passt. Ich habe gerade meine fruchtbaren Tage. Wir können sofort mit der Besamung meiner Möse beginnen! Ich bin dafür bereit!“

„Ich wusste doch, dass du eine Hure bist!“, freut sich Matthäus Mendossa grinsend, steht auf und betrachtet sie schon erregt. Recht zaghaft bohrt er einen Finger in ihre Scheide. Er leckt danach den Finger ab und behauptet: „Du schmeckst gut. Ich stimme dir zu. Wir fangen mit der Besamung gleich an!“

Nackt wie sie ist, nimmt sie den Mann an die Hand und steuert mit ihm ihr Schlafzimmer an. Dabei geht es ihr durch den Kopf, dass der Mann mindestens fünfzig Jahre älter sein muss als sie. Er muss nicht durch ihre Hand sterben. Der alte Bock geht ganz von alleine, beruhigt sie ihren erneuten Wunsch, auch ihn zu töten. Sie ist hier für solche Männer nur Lustobjekt und Gebärmaschine. Der alte Sack will einen Sohn von ihr. Vielleicht ist er schon lange unfruchtbar und will es selber nicht wahrhaben! Egal, jetzt muss sie sich dem Mann hingeben, gerade so wie jede Hure auf der Welt. Manchmal verflucht sie sich, dass sie eine Frau ist. Immer muss sie für geile Schwänze funktionieren. Niemand will wissen, was sie eigentlich will.“

Erstmals 1980 veröffentlichte Gerhard Branstner im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig „Der indiskrete Roboter. Utopische Erzählungen“: Die Raumlotsen der Station für außerordentliche Ereignisse sind manch heikler Situation ausgesetzt: Abenteuern, in die der technische Unternehmungsgeist der Menschen führt, und unerwarteten Streichen des Roboters Oskar. So kann der kosmische Leuchtturm zunächst nicht planmäßig in Betrieb genommen und Gustavs Geburtstagsfeier zum 70. muss verschoben werden, weil Oskar den Leuchtturm zum Anlass für ein ganz besonderes Geschenk nimmt; die hohe Temperatur im Kumosee ist zwar nach dem Geschmack einiger Urlauber, aber nicht nach den Vorstellungen der Wissenschaftler in der lädierten Kapsel auf dem Grund des Sees; und Fredys Eifersucht wird zur Ursache zahlreicher, nicht immer komischer Verwicklungen. Da jedoch zu Oskars Zeit die Menschen maschinenfreundlich sind (denn sie haben die Maschinen menschenfreundlich konstruiert), bekommt der Roboter die Streiche weniger mit dem Hammer heimgezahlt als mit einer schmerzlosen Programmkorrektur. Es geht heiter zu im Buch, so heiter und unbeschwert, wie sich Gerhard Branstner den Umgang der Menschen miteinander in Zukunft – und nicht nur für die allzu ferne – wünscht. Im Moment scheint es aber einige – sagen wir Missverständnisse – zwischen den Menschen und Oskar, der Maschine, zu geben:

„Der Schaltraum des Energiepostens sah aus wie nach einer Zimmerschlacht. Schranktüren hingen schief in den Angeln, herausgerissene Schubladen lagen umher, der Boden war von Papieren bedeckt, rote und gelbe Signallämpchen blinkten ununterbrochen. Zwei Männer in weißen Kitteln, der Ingenieur und sein Assistent, hielten den Roboter an den Armen fest, der Ingenieur am linken, der Assistent am rechten Arm.

„So begreif doch endlich“, beschwor der Ingenieur den Roboter, „ohne Parole dürfen wir die Unterlagen nicht herausgeben.“

„Fredy hat mir keine Parole gegeben“, erklärte Oskar stupide, „also brauche ich keine.“

„Wir müssen den Kerl unschädlich machen“, meinte der Assistent, „was andres bleibt uns nicht übrig.“

„Er ist ein Eigenbau“, gab der Ingenieur zu bedenken, „bei denen weiß man nie …“ Der Ingenieur ließ Oskar los und massierte sich nachdenklich das Kinn. „Vielleicht ist es doch das kleinere Risiko, wenn wir die Unterlagen hei ausgeben.“

Der Roboter nutzte die Nachdenklichkeit des Ingenieurs, stieß dem Assistenten den Ellenbogen in die Seite und stürzte sich wieder auf die Schubladen. Der Assistent kam ins Stolpern und schlug gegen das Schaltpult. Die Signallämpchen erloschen und ein schriller Signalton setzte ein. Der Assistent rappelte sich hoch, und der Ingenieur rief:

„Jetzt reicht es!“

Die beiden Weißkittel warfen sich wie auf Kommando auf den Roboter, doch Oskar schien jetzt auch die Geduld verloren zu haben. Er überwältigte die beiden nach einem kurzen Handgemenge, schleppte einen nach dem anderen in den angrenzenden Raum, schloss die aus Gitterstäben bestehende Tür ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche.

„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte Oskar, „aber ich muss die rote Mappe haben, und da ihr ein Hindernis seid, musste ich euch überwinden.“

„Red keinen Blödsinn!“, rief der Assistent, „du bist ein Roboter und darfst dich nicht an Menschen vergreifen. Das verlangen die Regeln.“

„Ich bin ein Eigenbau und habe meine eigenen Regeln“, entgegnete Oskar. „Und gebrochen habe ich euch doch nichts.“

Der Assistent gab jedoch noch nicht auf. „Du hast mich gegen das Schaltpult gestoßen, und dabei habe ich den Haupthebel der Energieemission heruntergedrückt.“

„Und was hat das zur Folge?“, fragte Oskar neugierig.

„Die Stromversorgung des kosmischen Leuchtturms ist unterbrochen.“

„Interessant“, meinte Oskar, „ich sehe mal nach.“ Er trat zum Schaltpult. „Dieser hier?“

„Ja.“

Oskar fummelte an dem Hebel herum, gab es aber bald auf. „Er lässt sich nicht bewegen, scheint verbogen zu sein.

„Eine Katastrophe!“ Der Ingenieur fuchtelte mit den Armen verzweifelt in der Luft herum. „Wir müssen ihm die Unterlagen geben! Die sind doch jetzt ohne Bedeutung, wo der Leuchtturm ohne Strom ist.“

Der Assistent hatte indessen eine andere Idee. Während Oskar sich wieder über die Schubladen hermachte, schlich er zu der von dem Roboter nicht einsehbaren Seite des Raumes, wo sich das Haustelefon befand. Da die Anlage auf Separatenergie basierte, musste sie noch funktionieren.

„Willst du den Mechaniker rufen?“, fragte der Ingenieur.

Der Assistent nickte und legte den Finger auf den Mund.

„Ich möchte wissen“, flüsterte der Ingenieur, „wo sich der Kerl die ganze Zeit herumtreibt. Er müsste doch den Spektakel bemerkt haben und längst hier sein.“

„Er wird im Versuchsraum sein, da hört und sieht er nichts.“ Der Assistent wählte die Nummer des Versuchsraum und tatsächlich meldete sich der Mechaniker mit unbekümmerter Stimme. „Hör jetzt mal gut zu“, flüsterte der Assistent ins Telefon. „Wir sind in einer verrückten Situation. Stell keine Fragen. Du musst uns helfen. Wir sitzen im Nebenraum der Schaltzentrale gefangen. Schleich dich durch Gang C zu uns heran. Im Schaltraum ist ein Roboter, er darf dich nicht sehen. Ach so: Zieh dich aus, bring aber die Sachen mit.“´

Die spannende Frage ist zunächst, ob und wie es dem Ingenieur und dem Assistenten gelingt, sich aus der Gewalt des Roboters zu befreien und alles wieder in Ordnung zu bringen. In Ordnung gebracht werden muss allerdings auch in den anderen Sonderangeboten einiges – jedoch auf durchaus unterschiedliche Weise. Und manchmal ist am Ende der Handlung alles ganz anders als man vielleicht gedacht hatte. Aber genau darin liegen nicht selten Spannung und Vergnügen literarischer Texte. Wer sollte und wollte denn schon etwas lesen, wenn man von Anfang an wüsste, wie es am Ende der Geschichte ausgeht?

In diesem Sinne viel Spannung und Vergnügen beim Lesen, weiter eine gute, gesunde und Corona-freie Zeit sowie einen schönen und vielleicht bald wieder etwas wärmeren Sommer und bis demnächst. Ach, und Oskar, der menschenfreundliche Roboter, der lässt auch noch schön grüßen und freut sich, Sie bald kennenzulernen oder umgekehrt …

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