Erwerbstätigkeit von Frauen und insbesondere Müttern ist in Westdeutschland seit 1990 gestiegen – Gesetzliche Rentenleistungen in Ostdeutschland höher als im Westen, bei Frauen im Durchschnitt um 50 Prozent, aber gesamte Alterseinkommen der Ostdeutschen deutlich niedriger – In Corona-Krise erweisen sich jüngere Generationen in Ostdeutschland krisenresilienter als im Westen und gegenüber Älteren

In den vergangenen 30 Jahren haben sich Ost- und Westdeutschland in vieler Hinsicht angenähert. Stellt sich die Frage, wie es in den Bereichen aussieht, in denen die beiden deutschen Staaten sehr unterschiedliche Wege gegangen sind, wie bei der Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit. Welchen Einfluss hat dies auf die heutige Rentensituation und die psychischen Verfasstheiten? Diesen Fragen gehen mehrere Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) anlässlich des 30. Jahrestags der deutschen Wiedervereinigung nach.

Vielfach wurde in den neunziger Jahren davor gewarnt, dass die Deutsche Einheit für Ostdeutschland zunächst einen Rückschritt, insbesondere bei der Gleichstellung von Mann und Frau, bedeute. „Die ehemalige BRD hinkte beim Thema Gleichberechtigung im Erwerbsleben stark hinterher. Hier herrschte lange Zeit das Alleinernährermodell mit dem in Vollzeit erwerbstätigen Mann vor“, berichtet Studienautorin C. Katharina Spieß. „Doch über die Jahre haben sich die Erwerbsquoten der westdeutschen Mütter an die der ostdeutschen angeglichen, wobei letztere immer noch sehr viel häufiger Vollzeit arbeiten als Mütter im Westen.“ Betrug der Unterschied bei der Erwerbsquote Anfang der neunziger Jahre noch 22 Prozentpunkte, lag er zuletzt bei nur noch vier Prozentpunkten, wie Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergaben. Bemerkenswert ist aber auch, so Studienautorin, Katharina Wrohlich, „dass Frauen jüngerer Alterskohorten in beiden Landesteilen einer Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern weniger zustimmen als ältere“.

Eine weitere Studie zeigt darüber hinaus, dass sich die Erwerbstätigkeit westdeutscher Frauen vor allem dort erhöht hat, wo viele Menschen aus der ehemaligen DDR zugezogen sind. „Die sozialen und kulturellen Normen in westdeutschen Regionen haben sich durch den Zuzug offenbar verändert“, erklärt Studienautor Felix Weinhardt. „In der DDR sozialisierte Menschen, die nach Westdeutschland zogen, könnten neben dem Umfang der Erwerbstätigkeit also auch die Einstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Westdeutschland beeinflusst haben.“

„Jüngere Kohorten im Osten erweisen sich als resilienter als ihre AltersgenossInnen im Westen und insbesondere ältere Generationen im Osten“ Stefan Liebig

Vermögen und private Renten im Westen deutlich höher

Aufgrund von Unterschieden in der Erwerbstätigkeit sind naturgemäß auch Unterschiede in der Rente zu erwarten – zwischen Ost und West, zwischen Frauen und Männern. Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass im Durchschnitt ostdeutsche Männer und noch ausgeprägter ostdeutsche Frauen höhere Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen als vergleichbare Personen in Westdeutschland. Bei den Männern betrug der Unterschied acht Prozentpunkte, bei den Frauen sogar 50 Prozentpunkte. Dennoch beziehen die Westdeutschen insgesamt sehr viel höhere Alterseinkommen, wenn auch andere Einkommenskomponenten, insbesondere die privaten und betrieblichen Renten sowie die Vermögenseinkommen, berücksichtigt werden. „Den heutigen Rentnerinnen und Rentnern, die vor allem in der DDR erwerbstätig waren, fehlte meist die Möglichkeit, Vermögen oder private Rentenanwartschaften aufzubauen“, erklärt Studienautor Peter Haan. Um die jüngeren Generationen besser zu wappnen und die Renteneinheit voranzutreiben, empfehlen die Autoren beispielsweise eine geeignete Kombination aus verpflichtender privater oder betrieblicher Altersvorsorge und finanzieller Unterstützung durch den Staat.

Im Osten lebende Frauen deutlich stärker von Krise betroffen

Anhand der Entwicklungen während der Corona-Krise zeigen die Autorinnen und Autoren einer vierten Studie auf, ob sich das Wohlbefinden der Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland unterscheidet. Zwar haben sich Ost- und Westdeutsche in Hinblick auf die allgemeine Lebenszufriedenheit in den vergangenen 30 Jahren deutlich angenähert. Mit dem Beginn der Maßnahmen zum Infektionsschutz in der Corona-Krise zeigen sich aber wieder unterschiedliche Entwicklungspfade: Bei den Ostdeutschen steigt zunächst die Einsamkeit stärker an als im Westen – fällt aber wiederum rascher ab als im Westen. Im Osten lebende Frauen sind stärker mental betroffen als Männer und Frauen in Westdeutschland. „Allerdings erweisen sich jüngere Kohorten im Osten als resilienter als ihre AltersgenossInnen im Westen und insbesondere ältere Generationen im Osten“, erklärt Studienautor Stefan Liebig.

Insgesamt zeigen die vier Berichte, dass sich in den vergangenen 30 Jahren die beiden Teile Deutschlands angenähert haben, wenn es um die Erwerbstätigkeit und die Erwerbseinstellungen von Frauen und insbesondere Müttern geht. So haben sich Entwicklungen im Westen an die des Ostens angepasst, aber auch umgekehrt. Die deutsche Einheit ist nach 30 Jahren in vieler Hinsicht vollzogen – dennoch gibt es in manchen Bereichen Nachbesserungsbedarf: bei der Familienpolitik, um Paaren, die eine Vollzeiterwerbstätigkeit mit Familie vereinbaren wollen, dies zu ermöglichen, ebenso wie beim langfristigen Vermögensaufbau zur Vermeidung von Altersarmut.

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