Stattdessen legen alle Beteiligten ihre ganz eigenen Fangmengen fest – mit der Folge, dass diese nordostatlantischen Fischbestände deutlich über der von der Wissenschaft empfohlenen Fangmenge befischt werden. 2019 lag die Gesamtfangmenge des atlanto-skandischen Herings bei 777.000 Tonnen – ein Drittel über der vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) empfohlenen Menge. Auch dieses Jahr, so der jüngste ICES-Bericht vom 30. September, ist erneut mit einer Überschreitung der wissenschaftlich empfohlenen Fangmenge um 32 Prozent zu rechnen.
Zwar zeigt der ICES-Bericht auch, dass der atlanto-skandische Heringsbestand noch nicht in den „roten Bereich“ der überfischten Bestände gerutscht ist (in dem laut FAO 34 Prozent der weltweiten Fischbestände liegen). Doch damit genau das auch morgen nicht passiert, ist dringendes Handeln erforderlich. Und zwar heute.
Regierungen verhandeln im Oktober – MSC drängt und hofft auf positive Resultate
Diese Woche hat das Jahrestreffen der nordostatlantischen Küstenstaaten begonnen, ab dem 19. Oktober wird dort über den atlanto-skandischen Hering verhandelt. Eine Chance für die beteiligten Regierungen, das Problem der fehlenden Einigung auf verbindliche Höchstfangmengen zu lösen und den künftigen Schutz der so wichtigen wie weitwandernden Schwarmfischbestände im Nordostatlantik zu gewährleisten.
Erin Priddle, MSC-Programmdirektorin für Nordeuropa, sagt:
„Wir appellieren an die Teilnehmer des internationalen Regierungstreffens im Oktober, sich zu einer Quotenaufteilung zu verpflichten, die der wissenschaftlichen Empfehlung entspricht. Nur so können wir die Stabilität des atlanto-skandischen Heringsbestands kurz-, mittel- und langfristig gewährleisten. Einzelne Fischereien betreiben einen enormen Aufwand, ihre Nachhaltigkeit zu verbessern. Doch alleine können sie es nicht schaffen. Weit wandernde Fischbestände, wie der des atlanto-skandischen Herings, achten nicht auf Landesgrenzen. Daher benötigen wir internationale Vereinbarungen, die Ökosysteme als Ganzes und entlang wissenschaftlicher Richtlinien managen, anstatt die Fischerei national zu verwalten.”
Tiefgreifende Auswirkungen für den deutschen Markt
In Deutschland ist Hering nach Lachs, Alaska Seelachs und Thunfisch die viertbeliebteste Fischart. Ein großer Teil des hierzulande verkauften Herings kommt aus nachhaltiger, MSC-zertifizierter Fischerei – allein im Einzelhandel waren es im vergangenen Jahr knapp 100.000 Tonnen.
Der Bezug von Fisch und Fischprodukten aus nachhaltiger Quelle ist mittlerweile ein fester und zunehmend wichtiger Bestandteil der Einkaufspolitik fast aller deutschen Einzelhändler. Auch in der Erwartung der VerbraucherInnen ist Nachhaltigkeit fest verankert: Laut einer aktuellen Umfrage finden 81 Prozent, dass Supermärkte alle Produkte mit nicht nachhaltig gefangenem Fisch aus ihrem Angebot nehmen sollten[ii].
Wenn nach dem Ostsee-Hering nun auch der atlanto-skandische Hering, welcher rund 50 Prozent des gesamten MSC-zertifizierten Heringsvolumens ausmacht, das blaue Umweltsiegel verliert, weil seine langfristig nachhaltige Befischung ohne verbindliche Fangmengenregelungen nicht möglich ist, so hat dies weitreichende Implikationen für den Markt. Werden Einzelhändler und VerbraucherInnen in Zukunft weniger Hering anbieten respektive kaufen, oder werden sie sich für Hering aus nicht nachhaltigem Fang entscheiden?
Die unglückliche Geschichte eines großen Bestands darf sich nicht wiederholen
Obwohl die Bestände kleiner pelagischer Fischarten, wie dem Hering, oft groß sind, schwanken sie von Natur aus und können durch schlechte Jahrgänge, aber auch durch den zunehmenden Klimawandel, stark beeinträchtigt werden. Dass sie zusammenbrechen können, wenn sie längere Zeit überfischt werden, zeigt die Historie des atlanto-skandischen Herings selbst: Der Bestand, der zu den größten der Welt gehört, brach in den 1960er Jahren infolge jahrelanger Überfischung zusammen. Ganze 20 Jahre dauerte es damals, bis er sich wieder erholt hatte.
Heute geht es darum, eine Wiederholung dieser Geschichte zu vermeiden. Ohne ein gutes Bestandsmanagement, das alle Fangnationen miteinbezieht, ist die Gefahr der Überfischung real. Sofern die Staatengemeinschaft ein solches Management weiterhin nicht gewährleistet, werden am 30. Dezember 2020 sämtliche Fischereien auf Blauen Wittling und atlanto-skandischen Hering ihr MSC-Zertifikat für nachhaltigen Fischfang verlieren. So wie 2019 bereits die nordostatlantischen Makrelenfischer.
[ii] Repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GlobeScan im Frühjahr 2020, im Auftrag des MSC
Der MSC (Marine Stewardship Council) ist eine internationale gemeinnützige Organisation. Unsere Vision sind gesunde Meere, deren Ertragsfähigkeit für die heutige wie für künftige Generationen gesichert ist. Unser Zertifizierungsprogramm und das MSC-Siegel belohnen nachhaltige Fischereien und helfen dabei, ein positives Umdenken bei Fischereien herbeizuführen und ökologische Verbesserungen für unsere Meere zu erwirken.
Ein effektives Bestandsmanagement ist eine der drei Säulen des MSC-Standards und Programms. Es ist wichtig, um die langfristige Stabilität und Gesundheit von Fischbeständen zu sichern und zu gewährleisten.
Das MSC-Siegel auf Produkten bedeutet, dass:
– die Fische und Meeresfrüchte aus Fischereien stammen, die unabhängigen Gutachtern bewiesen haben, dass sie die strengen Nachhaltigkeitskriterien des MSC erfüllen. Welche Kriterien das sind, erfahren Sie in diesem Video.
– die Rückverfolgbarkeit bis zum Ursprung gewährleistet ist.
409 Fischereien in 36 Ländern sind aktuell nach dem MSC-Umweltstandard für nachhaltige Fischerei zertifiziert. Zusammen fangen diese Fischereien fast 13 Millionen Tonnen Fisch und Meerestiere pro Jahr – das sind 15 Prozent der weltweiten marinen Fangmenge. Weitere Informationen unter www.msc.org/de.
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