Ungeachtet der erheblichen Sicherheitsmängel in Biblis ist erneut ein Castor-Transport mit sechs Behältern hochradioaktiver Abfälle aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield auf dem Weg in das hessische Zwischenlager. Der Umgang mit dem Atommüll erscheint im Lichte der Corona-Krise noch verantwortungsloser. Es wird hier leichtfertig die Gesundheit von Sicherheitskräften sowie Demonstrierenden aufs Spiel gesetzt, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). 

BUND-Vorsitzender Olaf Bandt: „Trotz der sich zuspitzenden Corona-Situation den gefährlichen hoch radioaktiven Atommüll in das unsichere Zwischenlager in Biblis transportieren zu lassen, ist eine fahrlässige und unverantwortliche Gefährdung von Menschenleben. Dabei ist die Gefährdungslage auf der Castorstrecke das eine, das andere sind die schweren Sicherheitsmängel im Zwischenlager Biblis, auf die der BUND seit Jahren immer wieder hinweist. Ohne Frage muss deutscher Atommüll nach Deutschland zurück. Doch muss die Sicherheit von Mensch und Natur oberste Priorität haben.“ 

Bereits im Frühjahr war ein Transport abgesagt worden, jetzt sind die Infektionszahlen mehr als doppelt so hoch. Sowohl die Polizeigewerkschaften in Deutschland als auch der niedersächsische Innenminister hatten erfolglos eine Verschiebung der Transporte gefordert. Rund 6000 Polizisten werden nun einem doppelten Risiko ausgesetzt: durch die besonders gefährlichen Neutronenstrahlen aus den Castor-Behältern und dem Infektionsrisiko. Und das dauerhafte Risiko unbeherrschbarer Störfälle bleibt während der Lagerung der Behälter in Biblis auf Jahrzehnte bestehen. 

Werner Neumann, BUND-Atomexperte: „Die Richter des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs konnten nach eigener Aussage aufgrund unvollständig eingereichter Unterlagen nicht beurteilen, ob die nach Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden gewährleistet sei. Dennoch wurde wegen eines angeblich drohenden ‚Millionenschadens‘ ein erneutes Verschieben des Castor-Transports abgelehnt – trotz der gesetzlich gebotenen Vorsorge gegen Atomgefahren.“

Der BUND Landesverband Hessen hat eine umfangreiche Mängelliste der Zwischenlagerung vorgelegt und Klage gegen die Einlagerung eingereicht. Unter anderem weist der Transport des nur durch einen Deckel gesicherten Atommülls in Glaskokillen hohe Risiken bei einem Unfall der Castorbehälter auf. Für eingelagerte Castoren gibt es kein belastbares Reparaturkonzept. Wenn dann Undichtigkeiten des Primärdeckels auftreten, kann der Behälter nicht zeitnah repariert werden, da eine sogenannte „Heiße Zelle“ fehlt, ein Raum, in dem die Behälter mit ihrem hochradioaktiven Inhalt möglichst sicher bearbeitet werden können. 

Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie im Auftrag des BUND zeigt, weisen die deutschen Zwischenlager weiterhin erhebliche Unsicherheiten auf. Anstatt dieser planlosen Herangehensweise fordert der BUND schon lange ein belastbares Zwischenlagerkonzept – transparent erarbeitet und mit Beteiligung der Öffentlichkeit.

Hintergrund:
Die Genehmigungsbehörde für die Transporte, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) sowie die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) unterstehen dem Bundesumweltministerium. Somit hätte es das Ministerium in der Hand gehabt, angesichts der Zunahme der Coronafälle den Bitten der Polizeigewerkschaften um Aufschub zu entsprechen. Das Bundesinnenministerium hatte zuvor ein Ersuchen des niedersächsischen Innenministers um Verschiebung abgelehnt. 

Dabei gibt es Berichte, dass es schon bei der Beladung der Castoren in Sellafield zu Abweichungen von den Vorschriften kann. Ein Primärdeckel, der neben dem darüber liegenden Sekundärdeckel die Abfälle sichert, konnte nicht korrekt aufgesetzt werden. Entgegen den Vorschriften oder Spezifikationen waren innere Tragkörbe der Glaskokillen verdreht. Abfälle aus der Wiederaufarbeitung werden in Stückzahl Glaskokillen beziffert. Diese stellen die hochradioaktiven Abfalllösungen dar, die vorbehandelt, verglast und in zylinderförmige Kokillen verfüllt werden. 

Der Transport war bereits im März angesichts der damaligen Corona-Situation verschoben worden. Trotz der sich wieder verschlimmernden Lage sind Proteste entlang der Strecke angekündigt. Es wird erwartet, dass die Castoren an diesem Wochenende im niedersächsischen Nordenham vom Schiff zum Weitertransport auf den Zug umgeladen werden.

Vier weitere Castor-Transporte sind bis 2024 geplant. Dabei sollen 20 Behälter aus Sellafield und fünf aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Frankreich in die Zwischenlager Biblis, Philippsburg (Baden-Württemberg), Isar/Ohu (Bayern) und Brokdorf (Schleswig-Holstein) transportiert werden.

Weitere Informationen: 
Mängelliste des BUND Hessen: https://www.bund-hessen.de/fileadmin/hessen/Themen/Mensch-und-Umwelt/Klimaschutz_Energiewende/AKW-Biblis/2020_Widerspruch_Castor-Einlagerung_Biblis/2020-02-10_Widerspruch_BASE-Castor28M-Biblis_BUND-Hessen.pdf 

Zwischenlager-Studie des BUND: www.bund.net/zwischenlagerstudie-2020

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