Zwischen 9 und 23 Millionen Tonnen Plastik wurden im Jahr 2016 weltweit in Ozeane, Flüsse und Seen gespült, 13 bis 25 Millionen Tonnen landeten in terrestrischen Ökosystemen – Abfallmengen, die sich bis zum Jahr 2025 noch verdoppeln werden, wenn sich nichts ändert im Umgang mit Plastik. Lediglich an wenigen, zumeist sehr gut zugänglichen Orten kann der Mensch Plastikabfall beispielsweise durch das Säubern von Stränden noch aus der Umwelt entfernen. Zum Problem wird der Plastikeintrag insbesondere durch seine Langlebigkeit und weil der Kunststoff durch physikalische, chemische und biologische Verwitterungsprozesse in feinste, oft nur Mikro- oder Nanometer große Partikel zersetzt wird, er freie Chemikalien abgibt und sich damit kaum sichtbar für das menschliche Auge weltweit in Ökosystemen verteilt. "Das Problem in den Ozeanen ist, dass sich Plastikabfall an jenen Stellen ablagert, die für den Menschen kaum erreichbar sind: in tiefen Wasserschichten der offenen Ozeane, am Meeresboden oder an abgelegenen Küsten. Dort kann Plastik kaum mehr entfernt werden", sagt Mitautorin Prof. Annika Jahnke, UFZ-Umweltchemikerin und Professorin für "Exposomanalytik" an der RWTH Aachen University. Verstärkend kommt hinzu, dass Plastik, wenn es erst mal auf den Meeresboden gesunken ist und damit nicht mehr so stark der Verwitterung infolge Sonneneinstrahlung oder höherer Temperaturen ausgesetzt ist, eine hohe Langlebigkeit hat. "In der dunklen und kalten Tiefsee wird Plastik nur extrem langsam verwittern", sagt sie.
Der dauerhafte Verbleib des Plastiks in der Umwelt sorgt folglich für zahlreiche Probleme, nicht nur weil fortlaufend Chemikalien aus den Plastikteilchen abgegeben werden, die der Umwelt schaden. Die Partikel verschärfen beispielsweise auch die Folgen des Klimawandels, weil sie in den Ozeanen die biologische Kohlenstoffpumpe stören. Dieser natürliche Mechanismus sorgt eigentlich dafür, dass Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre von Blaualgen und Phytoplankton gebunden wird und nach deren Absterben in die Tiefe sinkt. Kleine Plastikpartikel in den oberen Schichten der Meere, dem Lebensraum der Blaualgen und des Phytoplanktons, können jedoch deren Wachstum hemmen – etwa aufgrund eingeschränkter Nahrungsaufnahme oder stärkerer Trübung des Wassers. Das hätte zur Folge, dass weniger Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre gebunden würde und weniger Nährstoffe in die Tiefsee gelangen. Absinkende Plastikpartikel hingegen verstärken den Transport von Kohlenstoff in Tiefseesedimente, aber deren Nahrungsgehalt für Tiefseelebewesen ist vermutlich sehr gering.
Auswirkungen haben die Kunststoffabfälle in den Ozeanen auch für die Biodiversität. "Forscherinnen und Forscher konnten Plastikmüll in mehr als 2.600 Tier- und Pflanzenarten sowie Mikroorganismen nachweisen. In hunderten von Studien sind die negativen Auswirkungen auf Meeresorganismen etwa zur Toxizität, Sterblichkeit, zu Verhaltensänderungen, zur Mobilität oder zum Sauerstoffverbrauch beschrieben", sagt Mitautorin und AWI-Wissenschaftlerin Mine Tekman mit Verweis auf das AWI-Online-Portal LITTERBASE, wo wissenschaftliche Studien zum Thema Meeresmüll zusammengetragen werden. So sind beispielsweise bei der seltenen Mittelmeer-Mönchsrobbe, von der nur noch 600 bis 700 Individuen vorkommen, Plastikschlingen und beim Fischfang verloren gegangene Fischernetze die zweithäufigste Todesursache.
Die Plastikverschmutzung verstärkt damit die Belastung der Ozeane, die ohnehin bereits dem Temperaturanstieg, der Versauerung, der Überfischung und der Eutrophierung ausgesetzt sind. "Gelangt das langlebige Plastik in die Meere, werden durch Verwitterung über die Zeit unaufhaltsam immer kleinere Plastikteilchen erzeugt und Chemikalien freigesetzt, die toxische Effekte hervorrufen können, die sich dann nicht mehr rückgängig machen lassen und die Ozeane zusätzlich schädigen. Lässt sich diese Emission nicht drastisch reduzieren, könnte bei der globalen Plastikverschmutzung bald ein Kipppunkt erreicht werden", sagt Annika Jahnke.
Weil sich vor allem kleine Plastikpartikel in den Weiten der Ozeane oder auf dem oft mehrere tausend Meter tiefen Meeresboden nur schwer beproben und nachweisen lassen, fehlen meist Daten, mit denen sich die Entwicklung der Plastikverschmutzung in den Ozeanen genauer vorhersagen lassen. UFZ-Forscherin Annika Jahnke koordiniert deswegen das Projekt MICRO-FATE. In dessen Rahmen passierte sie mit dem gesamten Projektteam und weiteren Wissenschaftlern im Jahr 2019 an Bord des deutschen Forschungsschiffs "Sonne" den Pazifik, um mehr zum Verbleib und zum Vorkommen von Mikroplastik herauszufinden. "Schätzungen beruhten bislang vor allem auf Computermodellen, Einzeldaten und Beobachtungen aus der Luft. Um die Modelle weiter zu verfeinern, untersuchen wir, was mit dem Plastik im Ozean passiert und welche Effekte Mikroplastik auf die Umwelt hat", erklärt sie. Bis Ende des Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen.
Mehr Forschung ist ein Ansatz, um die negativen Auswirkungen des Plastikabfalls in der Umwelt besser zu verstehen. Trotzdem ist schon jetzt genug Wissen über die Problematik von Plastik in der Umwelt bekannt, um den Verbrauch von Kunststoff drastisch zu reduzieren. "Notwendig sind Maßnahmen wie etwa die Begrenzung der Produktion von neuen Kunststoffen, um den Wert von recyceltem Kunststoff zu erhöhen, oder ein Exportverbot von Kunststoffabfällen in Länder, die keine guten Recyclinginfrastrukturen haben", sagt AWI-Forscherin Mine Tekman. Wichtig sei vor allem, schnellstmöglich zu handeln, um die Plastikverschmutzung drastisch zu reduzieren.
Publikation:
Matthew MacLeod, Hans Peter H. Arp, Mine B. Tekman, Annika Jahnke: The Global Threat from Plastic Pollution, Science, DOI: 10.1126/science.abg5433
https://doi.org/10.1126/science.abg5433
Ergänzende Informationen:
Forschungsprojekt MICRO FATE: www.ufz.de/micro-fate
UFZ-PM zum Start von MICRO FATE: www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=23/2019
Blog-Beiträge zur Expedition der "Sonne": https://blogs.helmholtz.de/on-tour/category/micro-fate
Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
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Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
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