„Der Künstler Marc Brandenburg arbeitet seit annähernd drei Jahrzehnten an einem zeichnerischen Gesamtkunstwerk. Dabei erweitert er stetig die Grenzen des tradierten Mediums und überführt es in unsere heutige Gegenwart – immer auch an der Schnittstelle zur Fotografie, dem bewegten Bild, Sound oder Performance. Seine Kunst schlägt eine Brücke zum Städel Museum als Museum der Bilder, das allein mit mehr als 100.000 Arbeiten auf Papier eine der bedeutendsten grafischen Sammlungen Deutschlands bewahrt. Das Publikum des Städel Museums ist eingeladen, mit Marc Brandenburg eine unverwechselbare künstlerische Stimme unserer Gegenwart zu erleben“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.
Im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Marc Brandenburg steht die Zeichnung. Seit Anfang der 1990er-Jahre entwickelt der Künstler sein zeichnerisches Werk, das auch als eine schier endlose Serie aufgefasst werden kann. Dafür greift er auf einfachste Mittel zurück: die Kamera, einen Kopierer, später Computer sowie Papier und Bleistift. Als Ausgangspunkt für seine Zeichnungen dienen ihm überwiegend selbst aufgenommene Fotografien, aber auch Fremdmaterial. Mithilfe des Kopierers oder eines Bildbearbeitungsprogramms invertiert er diese Fotografien und überträgt die so ins Negativ verkehrten Bildmotive in die Zeichnungen. Mal führt er dabei den Hintergrund genauestens aus, mal ist das Motiv freigestellt; mitunter ist es auf den leeren Bildgrund montiert, sodass es im Raum zu schweben scheint. Die Präsentation seiner Werke in Schwarzlicht erweitert die Bleistiftzeichnungen um eine zusätzliche Ebene und vereinheitlicht die unterschiedlichen Inhalte zu einer einzigen Flut an Bildern – oder wie es der Ausstellungstitel beschreibt: einem Hirnsturm.
„Es ist diese Idee des inneren Sturms, von herumwirbelnden Bildern, Erinnerungen und Eindrücken, die im Zentrum der Ausstellung steht. Dazu gehört auch, dass die Zeichnungen in einem nicht definierten, dunklen, ‚grenzenlosen‘ Raum schweben. Das kann wie ein Trip wirken oder an eine Nahtoderfahrung erinnern. Meine Zeichnungen haben kaum biografische Bezüge, ich zeichne nicht meine eigenen Erinnerungen, bedeutsame Momente oder Gegenstände. Trotzdem ist meine Biografie präsent, aber transformiert, immer mit einer gewissen Distanz“, so Marc Brandenburg über die ausgestellten Werke. Den Themen und Akteuren seiner Motive begegnet der Künstler in seinem urbanen Umfeld: von banalen Gegenständen wie Plastikspielzeug über Idole aus der Popkultur und kostümierte Menschen, die zu Fantasiewesen mutiert zu sein scheinen, bis hin zu Demonstranten oder Schlafplätzen von Obdachlosen. Es schwingt immer eine gewisse Doppeldeutigkeit mit. Heitere Themen können abgründig wirken, während beklemmende Lebenswelten eine eigentümliche Schönheit ausstrahlen. Brandenburg bewertet nicht, sondern hält fest, was er sieht.
Auch in seiner Videoinstallation Camouflage Pullover von 2018 geht es unverstellt um Lebensrealitäten. Brandenburg blickt aus der Perspektive einer deutschen, schwulen Person of Color auf eine von Rassismus und Vorurteilen geprägte Welt: Durch die Verhüllung mittels einfacher Pullover mit angestrickten, rassistisch-stereotypen Gesichtern und Händen legt er diese Missstände schonungslos offen. Wer wirklich hinter der Maske steckt, bleibt den Passanten verborgen – ein nur scheinbar spielerisches Hinterfragen von Identitäten, wie es vielen Menschen im realen Leben nicht möglich ist. Camouflage Pullover ist eine Weiterführung einer bereits 1992 entstandenen Strickarbeit, Tarnpullover für Ausländer, die damals unter dem Eindruck der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen entstand. Für die Videoarbeit entwickelte der Künstler tragbare Masken aus Wolle, die von Freunden des Künstlers in Berliner Parks und Straßen getragen wurden. Er inszenierte Situationen ohne klare Handlung und fing die Irritation der Passanten ein.
„Es war mir vor allem wichtig, dass alle möglichen Hautschattierungen unter den Masken stecken. Und ganz wichtig war die Reaktion der Passanten. Dass die Menschen, die an den Camouflage-Akteuren vorbeilaufen, nicht ihr Handy rausholen und filmen, sondern einfach reagieren müssen. Ich wollte, dass die Masken-Figuren nur gestikulieren und dass man dadurch das Gefühl bekommt, sie würden miteinander kommunizieren. Dass man wirklich alles reinlesen kann, was und worüber sie sich unterhalten,“ so Marc Brandenburg.
Marc Brandenburg lebt und arbeitet in Berlin. Der gebürtige Berliner (*1965) verbrachte den Großteil seiner Kindheit zwischen 1968 und 1977 in den USA, bevor er und seine Familie 1977 nach West-Berlin zurückkehrten. Schon früh kam er als junger Erwachsener mit der Berliner Clubszene der 1980er-Jahre in Kontakt, arbeitete als Türsteher, bis er sich schließlich Ende der 1980er autodidaktisch erst der Mode und ihrem Design widmete und schließlich Anfang der 1990er-Jahre zur bildenden Kunst überging. Neben den Zeichnungen, die von Beginn an seine künstlerische Tätigkeit dominierten, gehören die Tarnpullover für Ausländer von 1992 zu seinen frühesten Arbeiten. Sie wurden in einer seiner ersten Ausstellungen im Künstlerhaus Bethanien 1993 präsentiert und 2018 mit der Videoinstallation Camouflage Pullover in unsere Jetztzeit überführt.
Der vieldeutige Ausstellungstitel „Hirnsturm“ führt unter anderem auf eine gleichnamige Einzelausstellung von 2002 in der New Yorker Galerie Paul Morris zurück. Wichtige Soloprojekte im letzten Jahrzehnt waren unter anderem im Denver Art Museum 2010, in der Hamburger Kunsthalle 2011, der Städtischen Galerie Wolfsburg 2012, dem Kunstraum Potsdam 2018 und jüngst 2021 im PalaisPopulaire der Deutschen Bank in seiner Heimatstadt Berlin zu erleben. Seine Werke sind in bedeutenden öffentlichen Institutionen vertreten, darunter das Museum of Modern Art in New York, die Hamburger Kunsthalle, das MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, die Kupferstichkabinette in Berlin und Dresden, die Sammlung der Bundesrepublik Deutschland oder die Städtische Galerie Wolfsburg. In Frankfurt war Brandenburg zuletzt 2004 und 2006 im Frankfurter Kunstverein und im MMK Museum für Moderne Kunst zu sehen.
Eine Ausstellung in Kooperation mit dem PalaisPopulaire, Berlin.
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