Der Wirkstoff AR101, ein Erdnussproteinpulver in definierter Dosis, ist für die orale Dauertherapie von Patientinnen und Patienten mit einer diagnostisch bestätigten Erdnussallergie zugelassen, die zu Beginn der Therapie 4 bis 17 Jahre alt sind. In einer frühen Nutzenbewertung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nun untersucht, ob die Substanz den Betroffenen einen Zusatznutzen bietet.

Das Fazit des Instituts: Abgesehen von einem artifiziellen Surrogatendpunkt hat die neuartige Behandlung in patientenrelevanten Endpunkten ausschließlich Nachteile, daher gibt es einen Beleg für einen geringeren Nutzen von AR101 gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie.

Zwei Studien zusammengefasst

Das Dossier des Herstellers enthält Daten zweier randomisierter, doppelblinder Zulassungsstudien, in denen AR101 mit Placebo verglichen wurde. In beiden Studienarmen war jeweils eine erdnussvermeidende Diät vorgeschrieben, und bei allergischen Symptomen war jeweils der Einsatz von Medikamenten wie Antihistaminika oder Adrenalin erlaubt. Dies entspricht der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie. Die Unterschiede zwischen den Studien waren so gering, dass sie in einer Metaanalyse zusammengefasst werden konnten.

Bei einer Hyposensibilisierung mit AR101 schließt sich an eine initiale Dosis eine Steigerungsphase von 20 bis 40 Wochen an, bis die Erhaltungsdosis von 300 mg pro Tag erreicht ist. In den Studien wurde die Medikation nach einer Erhaltungsphase von weiteren 12 bis 28 Wochen beendet; im Alltag muss die Medikation jedoch dauerhaft fortgesetzt werden. Aufgrund des Risikos allergischer Reaktionen finden der Behandlungsbeginn und die Dosissteigerung unter ärztlicher Aufsicht statt. Wer das Mittel einnimmt, kann zudem weder auf eine erdnussvermeidende Ernährung noch auf einen Adrenalin-Pen verzichten.

Provokationstest-Ergebnis als artifizieller Surrogatendpunkt

In den Studien traten keine Todesfälle auf. In der Kategorie Morbidität gab es beim patientenrelevanten Endpunkt „allergische Reaktionen infolge versehentlicher Exposition mit Erdnüssen“ keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Studienarmen: Solche Reaktionen traten in der längeren Studie im AR101-Arm bei 8,6 Prozent und im Vergleichsarm bei 10,5% der Betroffenen auf, in der kürzeren Studie bei 2,3 Prozent mit und 4,7 Prozent ohne AR101-Behandlung. Etwa ein Drittel dieser allergischen Reaktionen waren jeweils systemisch. Ein Zusatznutzen ist damit in diesem Endpunkt nicht belegt.

Erhoben wurde auch die Symptomfreiheit in einer doppelblinden, placebokontrollierten Provokationstestung mit 1000 mg Erdnussprotein am Ende der Erhaltungsphase. Ob dieser Surrogatendpunkt Vorhersagen über allergische Reaktionen nach versehentlicher Erdnussexposition im Zuge einer außerklinischen Hyposensibilisierungstherapie bei Erdnussallergie erlaubt, steht jedoch nicht fest: Möglicherweise können im Alltag auch kleinere Mengen Erdnussprotein allergische Reaktionen hervorrufen, etwa wenn die Betroffenen sich körperlich angestrengt oder heiß geduscht haben, ihr Magen leer ist oder sie zugleich einen Infekt haben.

Der in den Studien beobachtete Vorteil im Surrogatendpunkt schlug sich nicht in einem Rückgang der allergischen Reaktionen nach versehentlicher Erdnussexposition oder der allergischen Reaktionen insgesamt nieder. Stattdessen wurde – auch noch in der Erhaltungsphase – ein Anstieg der allergischen Reaktionen gegenüber dem Vergleichsarm beobachtet.

Mehr Behandlungsabbrüche und Nebenwirkungen

Eine Behandlung mit AR101 wurde häufiger wegen unerwünschter Ereignisse abgebrochen als die zweckmäßige Vergleichstherapie; etwa jede bzw. jeder Zehnte beendete die Behandlung mit AR101 vorzeitig: ein Beleg für einen höheren Schaden. Auch systemische allergische Reaktionen traten nach Gabe des AR101-Erdnussproteinpulvers häufiger auf als nach Gabe des Placebos, nämlich in der längeren Studie bei 14,3 Prozent gegenüber 3,2 Prozent der Betroffenen und in der kürzeren bei 12,1 Prozent gegenüber 2,3 Prozent. Das ist ebenfalls ein Beleg für einen höheren Schaden.

Zudem zeigten sich in den Endpunkten „Bauchschmerzen“, „Bauchschmerzen im Oberkörper“, „Juckreiz im Mundraum“, „Parästhesie oral“, „Engegefühl im Hals“ und „Erkrankungen des Ohrs und des Labyrinths“ Nachteile, aus denen sich jeweils ein Beleg für einen höheren Schaden von AR101 im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ergibt. All diese Symptome sind typische allergischen Reaktionen auf Erdnussprotein. Eine Therapie mit AR101 führt somit zu einem vermehrten Auftreten genau der Symptome, die durch eine Hyposensibilisierung vermieden werden sollen.

In den Endpunkten „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“, „schwere unerwünschte Ereignisse“ sowie „schwere systemische allergische Reaktionen“ gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsarmen.

Keine geeigneten Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität

Neben den Symptomen wurde auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer abgefragt, doch die Fragebögen wurden nicht adäquat eingesetzt. Beispielsweise kann man mit einer einmaligen Befragung am Ende der Therapie weder die Belastung in den verschiedenen Therapiephasen noch die Belastung durch die Allergie nach dem Hyposensibilisierungsversuch angemessen erfassen. Für die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist daher ein Zusatznutzen nicht belegt.

„Dabei wären Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität besonders wichtig, um den Einfluss der Dauertherapie auf die Patientinnen und Patienten zu beurteilen“, hält Daniela Preukschat aus dem IQWiG-Ressort Arzneimittelbewertung fest. „Schließlich müssen sie sich weiterhin erdnussfrei ernähren und in ihrer Kost und Lebensweise alles vermeiden, was die Schwelle zur allergischen Reaktion absenken kann. Zum Beispiel sollen sie unmittelbar vor und drei Stunden nach der Behandlung körperliche Anstrengung vermeiden.“ Auch die systemischen allergischen Reaktionen traten in den Studien bis zuletzt, einschließlich der Erhaltungsphase, häufiger auf als unter der Vergleichstherapie. All das kann sich auf die Lebensqualität auswirken.

Nachbeobachtungsdaten fehlen

„Unklar bleibt auch, wie lange die Behandlung fortgesetzt werden sollte“, so Preukschat. „Grundsätzlich wären bei Nahrungsmittelallergien Informationen zu allergischen Reaktionen nach einem Abbruch der Behandlung vonnöten. Denn selbst wenn eine Hyposensibilisierung eine gewisse Toleranz bewirkt, könnte diese womöglich kurze Zeit nach Behandlungsabbruch wieder verschwinden. Solange dazu keine Daten vorliegen, müssen die Nachteile der Therapie auch vor dem Hintergrund einer potenziell lebenslangen Einnahme betrachtet werden. Aussagekräftige Daten sind dringend notwendig, da zahlreiche Menschen sehr auf eine wirksame Therapie ihrer Allergien hoffen.“

Da die Behandlung mit AR101 – abgesehen von einem artifiziellen Surrogatendpunkt – ausschließlich negative Effekte hatte, lautet das Fazit: Für Patientinnen und Patienten mit bestätigter Diagnose einer Erdnussallergie, die zu Behandlungsbeginn 4 bis 17 alt sind, gibt es auf Basis der derzeit vorliegenden Evidenz einen Beleg für einen geringeren Nutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie.

G‑BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens

Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der G‑BA verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G‑BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens.

Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem allgemein verständliche Informationen.

Über Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können

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