Dabei betonte er, wie wichtig es sei, seine Arbeit als ressortübergreifende Tätigkeit zu begreifen: „Gute Politik für Menschen mit Behinderungen ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Lebensfelder und damit alle Ressorts betrifft. Es geht um selbstbestimmte Teilhabe, so gestaltet, dass sie passend ist für jede Lebensphase, jede Lebenssituation. Denn auch Menschen mit Behinderungen sind keine homogene Gruppe. Die Bedarfe und Bedürfnisse sind höchst unterschiedlich, so wie bei jedem und jeder von uns“, so Jürgen Dusel. Deswegen sei es Pflicht des Staates, diese Teilhabe für die 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland zu gewährleisten und für umfassende Barrierefreiheit und damit ein menschenwürdiges Dasein zu sorgen. Besonders die Pandemie habe deutlich gemacht, wo es überall noch Handlungsbedarf im Bereich der Inklusion gebe.
Dusel weiter: „Ich bin froh, dass die Regierungskoalition diesen ressortübergreifenden Ansatz in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Jetzt muss es darum gehen, die anstehenden Aufgaben systematisch und im Sinne der Menschen mit Behinderungen anzugehen. Nicht kleckern, sondern klotzen, muss die Devise sein.“
Dusel benannte sechs Themenfelder: Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Familien mit chronisch kranken und schwerbehinderten Kindern, Gewaltschutz und Arbeit.
Thema Wohnen
Hier ist es aus Sicht des Beauftragten wichtig, ausreichend bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Es darf keine einzige öffentlich geförderte Wohnung mehr geben, die nicht barrierefrei gebaut wird. Auch im privaten Sektor muss deutlich mehr barrierefrei gebaut werden. Verschiedene Studien zeigen, dass barrierefreies Bauen langfristig und auch volkswirtschaftlich betrachtet deutlich die Sozialleistungsträger entlastet, insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Barrierefreiheit macht bei Neubauten nur einen Bruchteil der Gesamtbaukosten aus. Untersuchungen zeigen, dass viele Kriterien für Barrierefreiheit sogar ganz ohne Mehrkosten erreichbar sind – wenn von Anfang an intelligent geplant wird. Die Kosten für Barrierefreiheit sind im Neubau weitaus günstiger als ein späteres Nachrüsten.[1]
Thema Mobilität
Sowohl im Öffentlichen Personennahverkehr als auch bei der Deutschen Bahn bzw. bei privaten Anbietern gibt es noch immer große Einschränkungen für Menschen mit Behinderungen. Beispiele sind der oft unflexible Mobilitätsservice der Deutschen Bahn, fehlende Blindenleitsysteme, Lautsprecherdurchsagen, visuelle Informationen, fehlende Informationen in Leichter Sprache. Jürgen Dusel fordert, dass die klaren gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit eingehalten werden. So müssen mehr Investitionen in Barrierefreiheit getätigt werden, auch müssen mehr Mittel vom Bund für Barrierefreiheit an kleineren und mittleren Bahnhöfen bereitgestellt werden. Bleiben die Förderprogramme in bisherigem Umfang bestehen, braucht es noch rund 30 Jahre, bis alle Bahnhöfe in Deutschland barrierefrei sind. Das ist nicht hinnehmbar. Außerdem müssen Menschen mit Behinderungen stärker als bisher an der Entwicklung von Programmen zur Barrierefreiheit beteiligt werden.
Thema Gesundheit
Das Gesundheitssystem in Deutschland hat ein Qualitätsproblem: Es ist nicht barrierefrei. Dabei haben Menschen mit Behinderungen dasselbe Recht auf ortsnahe gesundheitliche Versorgung in derselben Bandbreite und derselben Qualität wie andere Menschen auch. Das betrifft die ambulante wie die stationäre Versorgung, also Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, ärztliche Praxen und Therapeut*innen. Es gibt nicht nur bauliche Barrieren, sondern es geht auch um nicht barrierefreie Webseiten, fehlende Informationen in Leichter Sprache, Gebärdensprache, vernünftige Blindenleitsysteme. Die Bundesregierung hat sich einen Aktionsplan für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen vorgenommen, der bis Ende des Jahres stehen soll. Jürgen Dusel unterstützt diesen Prozess gerne.
Thema Familien mit chronisch kranken und schwerstbehinderten Kindern
Besonders Familien, in denen chronisch kranke und schwerstbehinderte Kinder leben, stehen unter großen Belastungen. Dabei geht es um die medizinische und pflegerische Grundversorgung des Kindes, aber auch die frühkindliche Förderung und Schulbegleitung. Die Pandemie hat gezeigt, wie schwierig es ist, wenn eingespielte Betreuungsstrukturen plötzlich wegbrechen. Für Eltern von pflegebedürftigen Kindern ist das Alltag – auch außerhalb der Pandemie. Wenn zum Beispiel die Schulbegleitung oder der Pflegedienst ausfallen, ist eine Beschulung nicht möglich. Nicht jeder Arbeitgeber hat Verständnis oder kann Ausfälle kompensieren. Hier stehen also auch Jobs und Existenzen auf dem Spiel, Familien geraten nicht selten in prekäre Situationen bis an die Armutsgrenze. Familien mit schwerstbehinderten und chronisch kranken Kindern müssen sich permanent mit Ärzten, Pflegediensten, unterschiedlichen Therapeuten und Hilfsmittelanbietern, Kranken- und Pflegekassen, Jugendämtern, Kitas und Schulen auseinandersetzen. Die gesetzlichen Leistungsansprüche sind zwar grundsätzlich gut, sie müssen aber viel niedrigschwelliger und unbürokratischer zu den Familien gebracht werden.
Thema Gewaltschutz
Menschen mit Behinderungen haben ein hohes Risiko, Opfer von Gewalterfahrungen in allen Lebensbereichen zu werden. Insbesondere das Thema Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe ist Jürgen Dusel ein Anliegen. In Deutschland leben rund 200.000 Menschen mit Behinderungen in sogenannten besonderen Wohnformen. Rund 316.000 sind in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt. Auch wenn diese Einrichtungen eigentlich ein sicheres und geschütztes Lebens- und Arbeitsumfeld bieten sollen, sieht die Realität häufig anders aus – dies zeigen auch Studien[2]. Die Bewohner*innen und Werkstattbeschäftigten empfinden ihr Leben oft als fremdbestimmt und erleben unterschiedliche Formen von Gewalt – auch untereinander. Auch unrechtmäßige Freiheitsentziehungen bspw. während der Pandemie sind ein Thema. Die neue Regierungskoalition hat eine ressortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt geplant, die die Gewaltprävention und die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen soll. Diesen Prozess wird Jürgen Dusel gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte eng begleiten.
Thema Arbeitsmarkt
Menschen mit Behinderungen profitieren systematisch weniger von Aufschwüngen am Arbeitsmarkt, zudem gibt es für sie eine größere Gefahr von Langzeitarbeitslosigkeit, besonders im Alter über 50. Die Arbeitslosenzahlen sinken nicht so schnell wie bei Menschen ohne Behinderungen. So lag die Zahl der Langzeitarbeitslosen bei schwerbehinderten Menschen 2021 bei rund 47 Prozent, die allgemeine Langzeitarbeitslosenquote dagegen nur bei rund 39 Prozent. Auch die Corona-Pandemie zeigt: Die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderungen erholt sich langsamer als für Menschen ohne Behinderungen. 2021 waren im Durchschnitt 172.484 Menschen mit Behinderung arbeitslos – erneut mehr als im Vorjahr. Das sind 11,5 Prozent mehr Arbeitslose mit Behinderungen als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie im Jahr 2019.
Daher braucht es vermehrt Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt, damit Menschen mit Behinderungen die Chancen erhalten, die sie brauchen. Zudem muss in dieser Legislatur die Ausgleichsabgabe erhöht und eine vierte Stufe eingeführt werden – für die Unternehmen, die keinen einzigen Menschen mit Behinderung einstellen. Immerhin ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Unternehmen.
1 Studie „Barrierefreies Wohnen im Kostenvergleich“ (Terragon Wohnbau)
Dienstsitz der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
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